Die "Weltseele" in Jena

Vor 200 Jahren ist Napoleon Bonaparte gestorben. Der General und Kaiser der Franzosen hat Spuren quer durch Europa hinterlassen – so auch in Jena. Vom Philosophen Friedrich Hegel im Herbst 1806 noch ehrfürchtig bewundert, formierte sich an der Universität während der französischen Herrschaft bald Widerstand. An diese Zeit erinnert das Kalenderblatt.

Im Universitätsarchiv befindet sich dieses Dekret des kaiserlichen Domaineninspektors Louis Alexandre Gentil vom 12. Februar 1809, das der Universität die Schenkung des »Lindenstücks« durch Napoleon mitteilt und die näheren Modalitäten bestimmt.

Foto: Uniarchiv/Uni Jena

Text: Stefan Laudien

Hoch zu Pferde reitet der Kai­ser der Franzosen, Napoleon Bonaparte, am 13. Oktober 1806 durch Jena. Am nächsten Tag sollen die Waffen sprechen, die Schlacht von Jena und Au­erstedt steht unmittelbar bevor. Doch die Studiosi der Salana nehmen kaum Notiz von dem berühmten Mann. Der schlichte Grund: Noch ist Semesterpause, es sind kaum Studenten in der Stadt.

Einer ihrer Professoren jedoch begegnet dem Kaiser und ist schwer beeindruckt. Der Philo­soph Georg Wilhelm Friedrich Hegel sieht Napoleon in der Johannisstraße: »den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoszieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu se­hen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.« Während der Kaiser am nächsten Morgen dem zahlenmäßig überlegenen Heer der Preußen und Sachsen eine empfindliche Niederlage beibringt und das Ende des al­ten Preußens einläutet, gilt He­gels Sorge seinem Manuskript. Gerade hat er die letzten Seiten seiner »Phänomenologie des Geistes« über­arbeitet und das Buch gen Bamberg geschickt. Wehe, wenn die Seiten dort nicht ankommen; eine Zweitschrift exis­tiert nicht.

Die Jenaer Universität bleibt von den kriegerischen Auseinandersetzungen im Herbst 1806 weitgehend verschont. Durch Plünderung und Brand geht Ver­mögen in Höhe von 4 005 Talern verlo­ren hinzu kommen noch 8 722 Taler an Privatvermögen. Dank eines kaiserli­chen Schutzbriefes kann der Lehrbetrieb bereits am 3. November wieder aufge­nommen werden. Als Entschädigung für die Verluste bekommt die Universi­tät ein Stück Land, das »Lindenstück« in der Blankenhainer Flur, geschenkt. Fünf Franzosen erhalten zudem die Ehren­doktorwürde. Es handelt sich um Medi­ziner, die im Kriegseinsatz waren.

Die Herrschaft der Franzosen wirkt sich auf den Lehrbetrieb der Universität aus. So werden vom Wintersemester 1808 an Vorlesungen über den »Code Napoléon« gehalten. Zwei Zie­le werden damit verfolgt: Zum einen bleibt die Universität für jene Studenten attraktiv, deren Heimat nun zu Frankreich ge­hört, zum anderen werden auch in Sachsen-Weimar-Eisenach Juristen benötigt, die sich mit dem Gesetzeswerk auskennen, falls es im hiesigen Territorium Gültigkeit erlangt. Das bürgerli­che Rechtsverständnis nach der Französischen Revolution fällt auch bei Jenaer Rechtsgelehrten auf fruchtbaren Boden.

Doch in Jena formiert sich auch Widerstand gegen die Fremd­herrschaft: Vornehmlich der Historiker Heinrich Luden exponiert sich. Seine Vorle­sung »Zur vaterländischen Ge­schichte« rückt die Nation in den Blickpunkt, seine anonym erschienenen »Ansichten des Rheinbundes« sind eine anti­napoleonische Kampfschrift. Der Weg zur deutschen Nation soll aber keineswegs zurück zum alten Feudalstaat führen.

Napoleon selbst eilt von Jena aus von Sieg zu Sieg, ehe seine Grande Armée im Jahr 1812 in Russland eine bit­tere Niederlage erleidet. Einen weiteren Rückschlag fügen Deutsche, Schweden, Österreicher und Russen dem Kaiser 1813 in der »Völkerschlacht« bei Leip­zig zu. Der Korse wird verbannt, kehrt zurück und wird 1815 bei Waterloo end­gültig geschlagen. Auf St. Helena stirbt Napoleon Bonaparte am 5. Mai 1821, vor 200 Jahren.