Die "Weltseele" in Jena
Text: Stefan Laudien
Hoch zu Pferde reitet der Kaiser der Franzosen, Napoleon Bonaparte, am 13. Oktober 1806 durch Jena. Am nächsten Tag sollen die Waffen sprechen, die Schlacht von Jena und Auerstedt steht unmittelbar bevor. Doch die Studiosi der Salana nehmen kaum Notiz von dem berühmten Mann. Der schlichte Grund: Noch ist Semesterpause, es sind kaum Studenten in der Stadt.
Einer ihrer Professoren jedoch begegnet dem Kaiser und ist schwer beeindruckt. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel sieht Napoleon in der Johannisstraße: »den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoszieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.« Während der Kaiser am nächsten Morgen dem zahlenmäßig überlegenen Heer der Preußen und Sachsen eine empfindliche Niederlage beibringt und das Ende des alten Preußens einläutet, gilt Hegels Sorge seinem Manuskript. Gerade hat er die letzten Seiten seiner »Phänomenologie des Geistes« überarbeitet und das Buch gen Bamberg geschickt. Wehe, wenn die Seiten dort nicht ankommen; eine Zweitschrift existiert nicht.
Die Jenaer Universität bleibt von den kriegerischen Auseinandersetzungen im Herbst 1806 weitgehend verschont. Durch Plünderung und Brand geht Vermögen in Höhe von 4 005 Talern verloren hinzu kommen noch 8 722 Taler an Privatvermögen. Dank eines kaiserlichen Schutzbriefes kann der Lehrbetrieb bereits am 3. November wieder aufgenommen werden. Als Entschädigung für die Verluste bekommt die Universität ein Stück Land, das »Lindenstück« in der Blankenhainer Flur, geschenkt. Fünf Franzosen erhalten zudem die Ehrendoktorwürde. Es handelt sich um Mediziner, die im Kriegseinsatz waren.
Die Herrschaft der Franzosen wirkt sich auf den Lehrbetrieb der Universität aus. So werden vom Wintersemester 1808 an Vorlesungen über den »Code Napoléon« gehalten. Zwei Ziele werden damit verfolgt: Zum einen bleibt die Universität für jene Studenten attraktiv, deren Heimat nun zu Frankreich gehört, zum anderen werden auch in Sachsen-Weimar-Eisenach Juristen benötigt, die sich mit dem Gesetzeswerk auskennen, falls es im hiesigen Territorium Gültigkeit erlangt. Das bürgerliche Rechtsverständnis nach der Französischen Revolution fällt auch bei Jenaer Rechtsgelehrten auf fruchtbaren Boden.
Doch in Jena formiert sich auch Widerstand gegen die Fremdherrschaft: Vornehmlich der Historiker Heinrich Luden exponiert sich. Seine Vorlesung »Zur vaterländischen Geschichte« rückt die Nation in den Blickpunkt, seine anonym erschienenen »Ansichten des Rheinbundes« sind eine antinapoleonische Kampfschrift. Der Weg zur deutschen Nation soll aber keineswegs zurück zum alten Feudalstaat führen.
Napoleon selbst eilt von Jena aus von Sieg zu Sieg, ehe seine Grande Armée im Jahr 1812 in Russland eine bittere Niederlage erleidet. Einen weiteren Rückschlag fügen Deutsche, Schweden, Österreicher und Russen dem Kaiser 1813 in der »Völkerschlacht« bei Leipzig zu. Der Korse wird verbannt, kehrt zurück und wird 1815 bei Waterloo endgültig geschlagen. Auf St. Helena stirbt Napoleon Bonaparte am 5. Mai 1821, vor 200 Jahren.