Chemiker Dr. Michael Böhme erforscht Einzelketten-Magnete.

Die kleinsten Stabmagnete der Welt

Chemiker entwickeln theoretischen Ansatz zur besseren Vorhersage der Eigenschaften von Einzelketten-Magneten
Chemiker Dr. Michael Böhme erforscht Einzelketten-Magnete.
Foto: Jan-Peter Kasper (Universität Jena)

Magnete kennen die meisten von uns wahrscheinlich in Form bunter Buttons für die Kühlschranktür, als Knopf an der Handtasche oder als bewegliche Kompassnadel. Auch zahlreiche Elektrogeräte — vom Telefon bis zum Teilchenbeschleuniger — funktionieren nur dank elektromagnetischer Bauteile. Jenaer Chemiker erforschen noch ganz andere Formen von Magneten: Sie tüfteln an magnetischen Polymeren, die sich zur Speicherung großer Datenmengen eignen könnten.

Dr. Michael Böhme arbeitet mit Hilfe der Computerchemie an Molekülketten, die sich wie winzige Magnete verhalten. »Dabei handelt es sich um Polymere, in denen eine große Anzahl magnetischer Metallionen — etwa Kobalt — wie auf einer Perlenkette aufgereiht sind«, beschreibt der Chemiker sein Forschungsobjekt. Die einzelnen Metallzentren bilden zusammen jeweils magnetische Domänen. Diese Domänen können magnetische Informationen speichern.

Um diese magnetischen Moleküle irgendwann als Datenspeicher nutzen zu können, ist es jedoch nötig, ihre Eigenschaften genau zu verstehen und vorhersehen zu können. Das ist gegenwärtig jedoch technisch kaum möglich. »Diese Systeme sind hochkomplex«, erklärt Böhme. Zum einen seien die Ketten in der Realität nicht unendlich lang - das heißt, auch ihre Enden wirken sich auf die Eigenschaften aus. »Andererseits sind die Metallzentren nicht identisch aufgebaut. Je nachdem in welcher Reihenfolge sie angeordnet sind, wirkt sich das auch auf den Magnetismus aus, den wir am Ende im Experiment beobachten.« Das bringt sämtliche bisherigen theoretischen Modelle an ihre Grenzen, mit denen die Forscher versucht haben, die Eigenschaften der winzigen »Stabmagnete« zu interpretieren oder vorherzusagen.

Um die Berechnungen zu vereinfachen, betrachtet Böhme daher statt einer schier endlosen Molekülkette zunächst verschieden große Molekülringe. Darauf aufbauend entwickelte er mit Prof. Dr. Winfried Plass vom Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Universität Jena ein Computermodell, mit dem sich die Messdaten der realen Moleküle nun besser interpretieren und ihre magnetischen Eigenschaften genauer vorhersagen lassen.

Für die Forschung wird bis heute ein 100 Jahre altes Modell genutzt

Bis das soweit ist, gilt es jedoch noch ein weiteres Problem zu lösen. »Die bisher verfügbaren Computer sind nicht leistungsfähig genug, um die Eigenschaften langer Ketten zu berechnen. Für die sogenannten ab-initio-Berechnungen brauchen sie für ein einzelnes Metallzentrum etwa eine Woche. Eine komplette Domäne aus mehreren Zentren zu berechnen, ist mit aktuellen Computern schlichtweg nicht durchführbar«, berichtet Prof. Plass.

Bereits in den 1920er Jahren wurde das sogenannte Ising-Modell entwickelt, das magnetische Molekülketten stark vereinfacht betrachtet. »Im Wesentlichen wird das Ising-Modell seit einhundert Jahren bis heute benutzt«, sagt Plass.

Michael Böhme hat jetzt ein weniger idealisiertes Modell auf der Basis von ab-initio-Berechnungen entwickelt, das näher an der Wirklichkeit liegt als das bislang verwendete Ising-Modell. »Neben den eigentlichen Metallzentren sind auch die Bindeglieder wichtig, die die Wechselwirkung zwischen den magnetischen Zentren vermitteln«, führt Böhme aus. »Diese Informationen erhalten wir, indem wir das theoretische Modell an die tatsächlichen Messdaten anpassen. Auf diese Weise können wir schließlich die Eigenschaften der Domänen berechnen. Das erlaubt uns auch, Vorhersagen darüber zu treffen, wie sich bisher unbekannte Einzelketten-Magnete verhalten

Statt eine endlose Kette zu berechnen, wendete Böhme sein Modell auf Ringe mit drei, sechs, neun und zwölf Gliedern an. »Zwölf ist die höchstmögliche Zahl für uns, weil es hier 4.096 mögliche Zustände gibt, die berechnet werden müssen«, erklärt Michael Böhme. »Wir können aber von diesem Punkt aus die Eigenschaften längerer Ketten durch Extrapolation sehr gut vorhersagen.« Und Winfried Plass weist auf künftige Anwendungsmöglichkeiten hin: »Magnetische Materialien sind sehr gut geeignet, um Informationen zu speichern. Einzelne, magnetische Moleküle können viel mehr Information speichern als die bisherigen Medien, bei denen einzelne Bereiche magnetisiert werden

Text: Marco Körner

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Original-Publikation: How to link theory and experiment for single-chain magnets beyond the Ising model: magnetic properties modeled from ab initio calculations of molecular fragments. Chemical Science (2019), DOI: 10.1039/C9SC02735AExterner Link

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