Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Jena und Cambridge entwickeln hybride Glaswerkstoffe mit neuartigen Eigenschaften. Dafür kombinieren sie metallorganische und anorganische Gläser und stellen Kompositgläser her, die schlag- und bruchfest wie Kunststoff und gleichzeitig hart wie Glas sind.
Text: Ute Schönfelder
Verbundstoffe aus organischen und anorganischen Materialien sind in der Natur häufig zu finden. Beispielsweise bestehen Knochen aus dem organischen Strukturprotein Kollagen und dem anorganischen Mineral Apatit. Diese Kombination macht Knochen biegsam und fest zugleich, was durch nur einen Materialtyp allein nicht möglich wäre.
Bei der Herstellung von Hybridmaterialien mit solchen Eigenschaften ist die Natur der technologischen Materialentwicklung allerdings noch weit überlegen; ähnlich funktionale Hybridmaterialien künstlich herzustellen, ist noch immer eine große Herausforderung. Forschenden der Universitäten Jena und Cambridge ist es nun jedoch gelungen, eine neue Klasse hybrider Glaswerkstoffe herzustellen, die ebenfalls organische und anorganische Komponenten vereint und den Werkstoffen ganz besondere mechanische Eigenschaften verleiht. Sie nutzen dafür Materialkombinationen, in denen metallorganische und anorganische Gläser chemisch verbunden sind. Seine Arbeit hat das Forschungsteam im renommierten Fachmagazin »Nature Communications« vorgestellt.
Metallorganisches Netz als Grundgerüst des neuen Materials
Werkstoffe aus metallorganischen Netzwerken, sogenannte MOF-Materialien (engl.: metal-organic frameworks), er fahren seit einigen Jahren ein stark steigendes Forschungsinteresse. Sie können beispielsweise als Trennmembranen oder Speicher für Gase und Flüssigkeiten, als Träger für Katalysatoren oder für elektrische Energiespeicher eingesetzt werden.
Der Vorteil der MOF-Materialien liegt darin, dass ihre Gitterstruktur bis in den Größenbereich einiger Nanometer hinein genau eingestellt werden kann. Dadurch kann zum Beispiel eine Porosität erreicht werden, die sowohl bezüglich der Größe der Poren und ihrer Durchströmbarkeit als auch hinsichtlich der an den Porenoberflächen vorherrschenden chemischen Eigenschaften an eine Vielzahl von Anwendungen angepasst werden kann.
»Das chemische Design von MOF-Materialien folgt einem Baukastenprinzip, nach dem anorganische Teilchen über organische Moleküle miteinander zu einem dreidimensionalen Netzwerk verbunden werden«, erläutert Louis Longley von der Universität Cambridge. Daraus ergibt sich eine große Vielfalt möglicher Strukturen, so der britische Forscher. Einige dieser Strukturen könnten durch Temperaturbehandlung in einen glasigen Zustand überführt werden. »Während klassische MOF-Materialien typischerweise in Pulverform vorliegen, ermöglicht der Glaszustand vielfältige Verarbeitungsformen des Materials.«
»Indem wir MOF-abgeleitete Gläser mit klassischen, anorganischen Glaswerkstoffen kombinieren, können wir das Beste beider Welten miteinander verbinden«, sagt Courtney Calahoo von der Universität Jena.
Chemische Verbindung mit anorganischem Glas bringt neue Eigenschaften
Solche Kompositgläser weisen deutlich verbesserte mechanische Eigenschaften auf als bisherige Gläser, da sie die Schlagfestigkeit und Bruchzähigkeit von Kunststoffen mit der hohen Härte und Steifigkeit anorganischer Gläser verbinden.
Entscheidend dafür ist, dass die beteiligten Materialien nicht einfach nur miteinander gemischt werden, sondern dass im Kontaktbereich zwischen dem metallorganischen Netzwerk und dem herkömmlichen Glas echte chemische Bindungen ausbilden. »Nur auf diese Weise können wirklich neue Eigenschaften entstehen, zum Beispiel in der elektrischen Leitfähigkeit oder der mechanischen Widerstandsfähigkeit«, ergänzt der Jenaer Glaschemiker Prof. Dr.- Ing. Lothar Wondraczek, der die Studie geleitet hat.
Original-Publikation:
Metal-organic framework and inorganic glass composites. Nature Communications (2020), DOI: 10.1038/s41467-020-19598-9Externer Link