Ein Adeliepinguin springt von einer Eisscholle. Seine Artgenossen schauen hinterher.

Hunger macht draufgängerisch

Meta-Studie: Schwierige Lebensverhältnisse verleihen Tieren im späteren Leben eine höhere Risikobereitschaft
Ein Adeliepinguin springt von einer Eisscholle. Seine Artgenossen schauen hinterher.
Foto: Oliver Krüger

Tiere, die in frühen Jahren Hunger leiden, gehen im späteren Leben höhere Risiken ein. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam der Universitäten Bielefeld und Jena in einer Me­ta-Studie. Die Forschenden haben darin das Risikoverhalten von über 100 Tierarten verglichen und große individuelle Unterschiede festgestellt: Wie risikobereit sich ein Tier verhält, ist zum Teil angeboren, wird aber in erheblichem Maße auch davon geprägt, unter welchen Bedingun­gen es heranwächst.


Text: Ute Schönfelder

Neue Lebensräume in unbekanntem Gelände erkunden, auf die Suche nach neuen Nahrungsquellen gehen und da­bei Gefahr zu laufen, von einem Fress­feind erwischt zu werden: Für Tiere in der freien Wildbahn steckt das Leben voller riskanter Situationen mit unge­wissem Ausgang. Nicht selten hängt von einer Entscheidung sogar das eige­ne Überleben ab. Wie sich das Tier ent­scheidet, ob es ein Risiko eingeht oder der Gefahr eher ausweicht, ist individu­ell ganz unterschiedlich.

»So wie es unter uns Menschen eher vorsichtige und eher draufgängerische Zeitgenossen gibt, so finden sich auch unter Tieren einer Art Individuen mit geringer oder höherer Risikobereit­schaft «, sagt Prof. Dr. Holger Schielzeth. Diese Unterschiede seien zu einem ge­wissen Grad angeboren, zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch der indivi­duellen Entwicklung geschuldet, so der Populationsökologe von der Universität Jena.

Studienergebnisse von über 100 Tier­arten verglichen

Wie Holger Schielzeth und sein Biele­felder Kollege Prof. Dr. Klaus Reinhold mit ihren Forschungsteams in einer um­fangreichen Meta-Studie zeigen, wird die Risikobereitschaft eines Tieres in entscheidendem Maße von den Ernäh­rungsbedingungen während des Auf­wachsens geprägt. Das berichten die Forscher im Fachmagazin »Biological Reviews«.

Für ihre Untersuchung haben die For­scher um Erstautor Nicholas Moran über 120 experimentelle Studien mit mehr als 100 Tierarten ausgewertet und deren Ergebnisse analysiert, dar­unter beispielsweise Untersuchungen an Spinnen, Insekten, Krebsen, Fischen, Amphibien und Vögeln. Allen Einzel­studien gemein war, dass die Tiere Pha­sen guter oder schlechter Nahrungsver­sorgung durchlebt hatten und später im Leben ihre Risikobereitschaft gemessen wurde. Dass die Lebensbedingungen und Erfahrungen einzelner Tiere einen Einfluss auf ihr Verhalten haben, und also auch das Risikoverhalten prägen, haben die Wissenschaftler im Vorfeld bereits vermutet. Wie der Einfluss genau aussieht, dazu gab es jedoch gegensätz­liche Hypothesen: »Zum einen konnte man annehmen, dass Tiere, denen es im­mer gut ging und die daher in besserem Zustand sind, mehr zu verlieren haben und sie deshalb weniger risikobereit sind«, erklärt Klaus Reinhold. Zum an­deren, so der Evolutionsbiologe von der Universität Bielefeld weiter, könne aber umgekehrt ein besserer Ernährungssta­tus dazu führen, dass sie einer riskan­ten Situation leichter entkommen und sie ein Risiko deswegen eher eingehen können

Deutlicher Effekt in allen untersuchten Arten

Die Auswertung der Ergebnisse aller untersuchten Studien brachte nun Klar­heit. Ein schlechter Versorgungszustand bringt die Tiere dazu, höhere Risiken einzugehen: Um durchschnittlich 26 Prozent steigt die Risikobereitschaft an, wenn die Tiere zu einem früheren Zeitpunkt hungern mussten. »Dieses Ergebnis hat uns in seiner Deutlichkeit überrascht«, sagt Holger Schielzeth. Der Zusammenhang gelte praktisch für alle untersuchten Verhaltenskontexte, wie Explorationsverhalten, Abwanderung, Nahrungssuche mit Risiko quer durch alle untersuchten Arten. Natürlich gäbe es auch Variationen in der Stärke des Ef­fektes.

Ob ein ähnlicher Zusammenhang zwi­schen Furchtlosigkeit und individueller Entwicklung auch beim Menschen be­stehe, können die Ökologen derzeit nur vermuten. Holger Schielzeth zumin­dest geht davon aus, immerhin sei der Mensch ja auch eine Tierspezies.

Schwarzspitzenriffhai inmitten eines Fischschwarms.

Foto: Oliver Krüger
Information

Original-Publikation:

Poor nutritional condition promotes high-risk behaviours: a systematic review and meta-analysis, Biol. Rev. (2020), DOI: 10.1111/brv.12655Externer Link

Kontakt:

Holger Schielzeth, Prof. Dr.
Head of the Population Ecology Group
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Raum 410
Dornburger Straße 159
07743 Jena Google Maps – LageplanExterner Link