Tiere, die in frühen Jahren Hunger leiden, gehen im späteren Leben höhere Risiken ein. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam der Universitäten Bielefeld und Jena in einer Meta-Studie. Die Forschenden haben darin das Risikoverhalten von über 100 Tierarten verglichen und große individuelle Unterschiede festgestellt: Wie risikobereit sich ein Tier verhält, ist zum Teil angeboren, wird aber in erheblichem Maße auch davon geprägt, unter welchen Bedingungen es heranwächst.
Text: Ute Schönfelder
Neue Lebensräume in unbekanntem Gelände erkunden, auf die Suche nach neuen Nahrungsquellen gehen und dabei Gefahr zu laufen, von einem Fressfeind erwischt zu werden: Für Tiere in der freien Wildbahn steckt das Leben voller riskanter Situationen mit ungewissem Ausgang. Nicht selten hängt von einer Entscheidung sogar das eigene Überleben ab. Wie sich das Tier entscheidet, ob es ein Risiko eingeht oder der Gefahr eher ausweicht, ist individuell ganz unterschiedlich.
»So wie es unter uns Menschen eher vorsichtige und eher draufgängerische Zeitgenossen gibt, so finden sich auch unter Tieren einer Art Individuen mit geringer oder höherer Risikobereitschaft «, sagt Prof. Dr. Holger Schielzeth. Diese Unterschiede seien zu einem gewissen Grad angeboren, zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch der individuellen Entwicklung geschuldet, so der Populationsökologe von der Universität Jena.
Studienergebnisse von über 100 Tierarten verglichen
Wie Holger Schielzeth und sein Bielefelder Kollege Prof. Dr. Klaus Reinhold mit ihren Forschungsteams in einer umfangreichen Meta-Studie zeigen, wird die Risikobereitschaft eines Tieres in entscheidendem Maße von den Ernährungsbedingungen während des Aufwachsens geprägt. Das berichten die Forscher im Fachmagazin »Biological Reviews«.
Für ihre Untersuchung haben die Forscher um Erstautor Nicholas Moran über 120 experimentelle Studien mit mehr als 100 Tierarten ausgewertet und deren Ergebnisse analysiert, darunter beispielsweise Untersuchungen an Spinnen, Insekten, Krebsen, Fischen, Amphibien und Vögeln. Allen Einzelstudien gemein war, dass die Tiere Phasen guter oder schlechter Nahrungsversorgung durchlebt hatten und später im Leben ihre Risikobereitschaft gemessen wurde. Dass die Lebensbedingungen und Erfahrungen einzelner Tiere einen Einfluss auf ihr Verhalten haben, und also auch das Risikoverhalten prägen, haben die Wissenschaftler im Vorfeld bereits vermutet. Wie der Einfluss genau aussieht, dazu gab es jedoch gegensätzliche Hypothesen: »Zum einen konnte man annehmen, dass Tiere, denen es immer gut ging und die daher in besserem Zustand sind, mehr zu verlieren haben und sie deshalb weniger risikobereit sind«, erklärt Klaus Reinhold. Zum anderen, so der Evolutionsbiologe von der Universität Bielefeld weiter, könne aber umgekehrt ein besserer Ernährungsstatus dazu führen, dass sie einer riskanten Situation leichter entkommen und sie ein Risiko deswegen eher eingehen können
Deutlicher Effekt in allen untersuchten Arten
Die Auswertung der Ergebnisse aller untersuchten Studien brachte nun Klarheit. Ein schlechter Versorgungszustand bringt die Tiere dazu, höhere Risiken einzugehen: Um durchschnittlich 26 Prozent steigt die Risikobereitschaft an, wenn die Tiere zu einem früheren Zeitpunkt hungern mussten. »Dieses Ergebnis hat uns in seiner Deutlichkeit überrascht«, sagt Holger Schielzeth. Der Zusammenhang gelte praktisch für alle untersuchten Verhaltenskontexte, wie Explorationsverhalten, Abwanderung, Nahrungssuche mit Risiko quer durch alle untersuchten Arten. Natürlich gäbe es auch Variationen in der Stärke des Effektes.
Ob ein ähnlicher Zusammenhang zwischen Furchtlosigkeit und individueller Entwicklung auch beim Menschen bestehe, können die Ökologen derzeit nur vermuten. Holger Schielzeth zumindest geht davon aus, immerhin sei der Mensch ja auch eine Tierspezies.
Original-Publikation:
Poor nutritional condition promotes high-risk behaviours: a systematic review and meta-analysis, Biol. Rev. (2020), DOI: 10.1111/brv.12655Externer Link