Auch wenn es vielen nicht bewusst sein dürfte, Quanten und ihre Eigenschaften prägen unser Alltagsleben schon seit einiger Zeit. Bereits in den 1950er Jahren lieferte uns die sogenannte »erste Quantenrevolution« die physikalischen Grundlagen für die Entwicklung von Computerchips oder Lasern. Heute erleben wir nun schon die »zweite Quantenrevolution«: Neue Anwendungen, die zu den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts zählen, stehen kurz vor dem Durchbruch. Was die Zukunft bringt und welche Rolle der Standort Jena einnimmt, darüber spricht der Physiker Prof. Dr. Andreas Tünnermann im Interview.
Interview: Till Bayer
Herr Tünnermann, im Sonderforschungsbereich »NOA« leiten Sie ein Projekt, in dem nichtlineare Eigenschaften von Nanomaterialien untersucht werden. Worum geht es dabei und was hat das mit Quantentechnologie zu tun?
Einerseits erforschen wir grundlegende Phänomene der Quantenphysik, andererseits wenden wir unsere Forschungsergebnisse bereits an. Seit ihren Anfängen vor fast 100 Jahren hat die Quantenphysik Technologien wie Computerchips, mikroelektronische Bauelemente oder Laser als neuartige Lichtquellen hervorgebracht. Im Sonderforschungsbereich greifen wir auf Kenntnisse aus diesen drei Bereichen zurück.
Im Projekt meines Teams geht es darum, Licht-Materie-Wechselwirkung in Systemen zu untersuchen, die nur aus wenigen Atomlagen bestehen. Interessant sind dabei zum Beispiel sogenannte Tunnelphänomene: Ein Teilchen kann dabei durch Licht über eine Potenzialbarriere bewegt werden, die den Transport elektrischer Ladungen eigentlich verhindert. Das ist nur möglich, indem wir uns quantenphysikalischer Phänomene auf atomarer Skala bedienen.
Mit welchen anderen Projekten treiben Sie die Erforschung von Quantentechnologien in Jena voran?
Der modernen Quantenforschung ist es gelungen, selbst einzelne Quantenteilchen mit hoher Präzision zu kontrollieren. Sowohl am Institut für Angewandte Physik der Universität als auch am Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF verfolgen wir eine Reihe von Projekten, die auf dieser Errungenschaft aufbauen. Ein prominentes Beispiel ist QuNET, eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Darin erforschen wir im Rahmen einer großen Kooperation, wie wir mittels Quantenphänomenen unsere Kommunikation hochsicher gestalten können. Das betrifft sowohl die Verschlüsselung als auch die Übertragung von Informationen.
Das zweite große Thema liegt im Bereich der Bildgebung. Hier forschen wir zum Beispiel an Analyseverfahren, die auf den Quanteneffekte der verschränkten Photonenzustände basieren. Derlei Verfahren erlauben die Analyse von Proben, die auf bestimmte Arten von Strahlung sensibel reagieren und mit herkömmlichen Systemen nicht möglich sind. Insbesondere in der Medizin kann dieses Verfahren hilfreich sein, indem es zum Beispiel die Strahlenbelastung bei Gewebeaufnahmen reduziert.
Warum beschäftigen Sie sich überhaupt mit der Quantenwelt? Was fasziniert Sie daran?
Aus meiner Perspektive ist vor allem interessant, dass die präzise Kontrolle von Quantensystemen neue Anwendungsbereiche in der Sensorik, der Kommunikation und im Computing ermöglicht. Mich treibt die Herausforderung an, diese Technologien weiterzuentwickeln, damit am Ende volkswirtschaftliche Mehrwerte entstehen.
Ich hatte die Chance, bereits die Ergebnisse der sogenannten ersten Quantenrevolution nutzen und daran anknüpfend in den 1980er und 90er Jahren beim Aufbau der Lasertechnik mitzuwirken zu können. Damals haben wir es geschafft, in Deutschland eine Community aufzubauen und Unternehmen zu Weltmarktführern zu machen. Heute kommen fast 50 Prozent aller Hochleistungslaser für industrielle Produktion und Medizintechnik aus Deutschland.
Ich hoffe, dass wir mit dem gesammelten Wissen der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie der Innovationskraft der Unternehmen die zweite Quantenrevolution, wie wir sie jetzt gerade erleben, in ähnlicher Weise gestalten können, um einen Mehrwert für Gesellschaft und Wirtschaft zu schaffen.
Vor allem Quantencomputer lassen aufhorchen, weil sie konventionellen Rechnern in Sachen Rechenleistung weit überlegen sein können. Wie ist der Entwicklungsstand bei dieser Technologie?
Um Quantencomputer ist ein Hype entstanden und wir müssen unsere Erwartungen zügeln. Theoretisch sind sie klassischen Computern an verschiedenen Stellen überlegen, weil sie ein anderes Skalierungsverhalten besitzen. Es fällt ihnen etwa leichter, eine sehr große Zahl in Primzahlfaktoren zu zerlegen, womit sich Verschlüsselungssysteme brechen lassen. Quantencomputer werden aber auch den Weg bereiten für völlig neue Entwicklungen, etwa im Bereich der Materialforschung.
Praktisch gesehen, ist der Weg zum universellen Quantencomputer aber noch sehr weit. Ich denke, dass es zunächst einen konventionellen Computer mit Quanteneinschub geben wird, der spezielle Rechenoperationen ermöglicht. Wir müssen jedenfalls davon ausgehen, dass noch viele Jahre Entwicklungszeit nötig sind. Trotzdem handelt es sich um eine Technologie, die langfristig das größte Potenzial besitzt.
Wie lange wird es dauern, bis Quantentechnologien spürbar in unser Leben Einzug halten?
Wir alle werden bereits in wenigen Jahren mit neuen Quantentechnologien im Alltag in Berührung kommen, zum Teil mittelbar und zum Teil ganz direkt. Am offensichtlichsten wird das im Bereich der Datenverschlüsselung passieren, die ein gesellschaftliches Grundrecht berührt. Moderne Systeme verwenden schon heute sogenannte Quantum Number Generators. Es darf aber nicht übersehen werden, dass wir bereits in einer Gesellschaft leben, die quantenmechanische Phänomene für sich nutzt. Ein klassisches Beispiel ist die CD, für deren Abspielen ein Laser benötigt wird.
Allein mit dem aktuellen Konjunkturpaket investiert die Bundesregierung zwei Milliarden Euro in die Entwicklung von Quantentechnologien. Ist Deutschland bei der Förderung der Quantenforschung gut aufgestellt?
In Deutschland besitzen wir eine hervorragende Grundlagenforschung, die den internationalen Vergleich nicht scheuen muss. Das liegt vor allem an der langfristigen Förderung, die bereits seit Jahrzehnten läuft, etwa durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Momentan zielen alle Fördermaßnahmen darauf ab, das Wissen in die Entwicklung neuer Anwendungen zu transferieren. Insbesondere die Förderung qualifizierten Nachwuchses ist hier ein relevanter Faktor. Die Bundesregierung will dafür extra Programme ins Leben rufen. Diese sollen Wissenschaft und Wirtschaft vernetzen, die Ausbildung verbessern oder konkrete Bereiche wie das Quantenengineering fördern.
Wichtig ist, dass alle diese Maßnahmen schnell umgesetzt werden, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Ich bin aber guten Mutes, weil wir in Deutschland einen entscheidenden Vorteil haben: Den innovativen Mittelstand, der neue Anwendungen zügig auf den Markt bringen kann.
Gibt es dennoch etwas, das getan werden kann, um die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern?
Wissenschaft basiert nicht nur auf Wettbewerb, sondern auch auf Kooperation. Momentan können wir jedoch beobachten, dass Kooperationen weltweit eingeschränkt werden. Das gilt nicht nur für die Quantenforschung, sondern auch für andere Forschungsfelder. Diese Tendenz finde ich bedenklich. Kooperationen müssen über Ländergrenzen hinweg möglich sein. Jegliche nationalistischen Bestrebungen werden langfristig nur dazu führen, sowohl den wissenschaftlichen Fortschritt als auch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung auszubremsen.
Über meine Netzwerke versuche ich, genauso wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Welt, dem gegenzusteuern. In Jena forsche ich mit jungen Teams, in denen Menschen aus Europa, Asien, Afrika und Amerika zusammenkommen. Auch innerhalb Europas kooperieren wir eng mit verschiedenen Forschungsgruppen. Außerdem unterhalten wir eine Graduiertenschule mit Kanada und haben eine weitere zusammen mit Australien beantragt.
In Jena beschäftigen sich zahlreiche Akteure mit Quantentechnologien, nicht zuletzt Sie und Ihre Teams an Universität und Fraunhofer-Institut. Wie wird sich die Region und Thüringen in Sachen Quantenforschung weiterentwickeln?
In Thüringen existiert eine große Anzahl an wettbewerbsfähigen Gruppen. Jena ist schon heute ein Hotspot der Photonik und Quantentechnologien. An der Universität planen wir als nächstes eine neue Physikprofessur, die ihren Forschungs- und Lehrschwerpunkt in der angewandten Quantenphysik haben wird.
Auch wenn wir damit sehr gut aufgestellt sind, halte ich es für notwendig, die beteiligten Akteurinnen und Akteure noch stärker miteinander zu vernetzen. Ich würde mich freuen, wenn der Freistaat Thüringen standortübergreifende Aktivitäten unterstützt und so die Sichtbarkeit der Thüringer Quantenforschung verbessert. Es wird wichtig sein, unsere Kompetenzen in Thüringen synergetisch zusammenführen und auch die Wirtschaft mit einzubinden.
Zur Person
Prof. Dr. Andreas Tünnermann ist seit 1998 Professor für Angewandte Physik der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Direktor des Instituts für Angewandte Physik. Er forscht auf den Gebieten der Photonik und Quantentechnologien. Weiterhin leitet er das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF in Jena. Seit 2009 gehört Andreas Tünnermann dem Direktorium des Helmholtz-Instituts Jena und des Abbe Centers of Photonics an.