Beim Zieleinlauf eines 100-Meter-Rennens ist der Sieger nicht immer sofort klar: Oft passieren die Läufer Kopf an Kopf die Ziellinie, sodass es dem Beobachter unmöglich ist, ihre Reihenfolge zu erkennen – die Bewegung der Läufer ist einfach zu schnell. Mit einer Serienbild-Aufnahme lässt sich die Bewegung jedoch einfangen und zeitlich auflösen. Dieses Prinzip machen sich Physikerinnen und Physiker mit der Pump-Probe-Spektroskopie zunutze, um extrem schnelle Vorgänge in Nanomaterialien abzubilden.
Text: Ute Schönfelder
Einblicke in die winzigen Strukturen zu gewinnen, aus denen Materie besteht, ist das Ziel eines Forschungsprojekts von Dr. Maria Wächtler und Dr. Daniil Kartashov im Rahmen des Sonderforschungsbereichs »Nonlinear Optics down to Atomic Scales« (NOA). Sie untersuchen mit nichtlinear optischen Methoden elementare Grundbausteine von Halbleitern. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit der Forschenden nicht nur auf die räumliche Auflösung atomarer Strukturen, sondern auch auf die Abbildung der dynamischen Prozesse, die in ihnen ablaufen – etwa die Schwingungen von Ladungsträgern in Atomgittern, die nur wenige hundert Femtosekunden dauern.
Um extrem schnelle Vorgänge in extrem kleinen Dimensionen untersuchen zu können, müssen gleich zwei Herausforderungen gelöst werden. »Erstens benötigen wir dafür das passende Untersuchungsmaterial«, sagt Maria Wächtler. Die Chemikerin und ihr Team produzieren in ihren Labors am Leibniz-Institut für Photonische Technologien dafür nützliche Nanohalbleiter. »Die zweite Voraussetzung ist, dass wir Methoden entwickeln, die einerseits empfindlich genug sind, Wechselwirkungen mit solch kleinen Strukturen zu detektieren und andererseits ultraschnelle Vorgänge abbilden können«, ergänzt Daniil Kartashov. Er ist Experte am Institut für Optik und Quantenelektronik der Uni versität Jena für zeitaufgelöste spektroskopische Methoden.
Für ihr Projekt untersuchen die Forschenden Halbleitermaterialien, die sie in Größe, Form und Komplexität variieren. Einfachste Objekte sind Quantenpunkte: nur wenige Nanometer kleine kugelförmige Gitter, die aus wenigen Hundert bis Tausend Atomen bestehen. »Diese werden auch künstliche Atome genannt, weil sie sich in ihren elektronischen Eigenschaften wie Einzelatome verhalten«, erklärt Wächtler. Die Ladungsträger – die Elektronen – können sich aufgrund der geringen räumlichen Ausdehnung in den Kügelchen nicht frei bewegen und sind auf ganz bestimmte Energiewerte festgelegt, wodurch ihre Eigenschaften von Quanteneffekten bestimmt werden.
Die Quantenpunkte bestehen aus Cadmiumselenid und messen zwischen zwei und acht Nanometern im Durchmesser. Um sich ungefähr vorstellen zu können, wie klein ein Nanometer ist, hilft ein Vergleich: Ein Nanometer (ein Millionstel Millimeter) verhält sich zu einem Meter wie der Durchmesser einer 1-Cent-Münze zu dem des Planeten Erde. Solche Strukturen sind für linear optische Methoden praktisch »unsichtbar«.
Aus Infrarotstrahlung wird sichtbares Licht
Um herauszufinden, wie solch nanoskalige Halbleiter funktionieren, etwa wie Ladungen in ihnen transportiert werden oder sich Schwingungen im Atomgitter fortpflanzen, braucht es eine neue hochempfindliche Diagnostik-Methode. Die Forschenden um Daniil Kartashov setzen dabei auf die Erzeugung hoher harmonischer optischer Schwingungen. »Dabei handelt es sich um Schwingungen, die durch Wechselwirkung von Laserlicht mit dem zu untersuchenden Material entstehen und ein Vielfaches der Frequenz des eingestrahlten Lichtes aufweisen«, sagt Kartashov. Allerdings: Hohe Harmonische entstehen erst bei sehr hohen Feldstärken des eingestrahlten Lichts. Der Laser, der die Quantenpunkte anregt, sendet eine Leistung von 300 Milliarden Watt pro Quadratzentimeter aus. Damit das Material dabei nicht sofort verdampft, wird der Laser gepulst – nur etwa 100 Femtosekunden (Millionstel einer Milliardstel Sekunde) wirkt das Licht auf das Material ein.
»Diese kurze Zeitspanne reicht aus, um mit den Elektronen in den Atomgittern zu wechselwirken und diese zu hohen Harmonischen anzuregen«, sagt Kartashov. Der Anregungslaser sendet Pulse im mittleren Infrarotspektrum mit einer Wellenlänge von ca. 4 800 nm aus, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Die entstehenden Harmonischen schwingen mit jeweils geteilter Wellenlänge: die 3. Harmonische mit 1 600 nm, die 5. mit 960 nm und so weiter. »Wir nehmen die Spektren der erzeugten Strahlen für den Bereich der 5. bis 13. Harmonischen auf«, sagt Kartashov. Da die Signale jedoch extrem schwach sind, werden etwa 1 000 Pulse pro Sekunde auf die Probe geschossen und die Einzelaufnahmen summiert.
Auf diese Weise erhalten die Forschenden zunächst Momentaufnahmen aus dem Material. Um seine innere Dynamik beobachten zu können, kommt ein weiterer Laser ins Spiel. Dieser Anregungslaser versetzt die Elektronen im Atomgitter zunächst in Bewegung. Anschließend kommt der zweite Laserpuls mit einer variablen Verzögerung, um Schnappschüsse dieser Dynamik zu machen. Werden dabei Spektren der erzeugten Harmonischen aufgezeichnet, entsteht eine Serienbildaufnahme der Gitterdynamik, ähnlich wie in der Sportfotografie, wenn sehr schnelle Bewegungen – etwa der Zieleinlauf der Sprinter – in Einzelbildern aufgelöst werden.
Diese Pump-Probe-Spektroskopie genannte Methode wenden die Forschenden auf unterschiedliche Nanomaterialien an. Neben den Quantenpunkten untersuchen sie auch Nanodrähte und einlagige Membranen, die von Kollegen um Prof. Turchanin hergestellt werden. »So erhalten wir Informationen darüber, wie sich unterschiedliche Strukturen und Geometrien auf die optischen Eigenschaften der Halbleitermaterialien auswirken«, erläutert Maria Wächtler. Das sei aktuell noch weitgehend Grundlagenforschung, die jedoch erhebliches praktisches Anwendungspotenzial habe. »Mit diesen Erkenntnissen könnten sich photonische Halbleiter entwickeln lassen, die in photonischen Computerchips Anwendung finden«, so Kartashov. Diese hätten gegenüber elektronischen Chips den großen Vorteil, dass mit erheblich größerer Geschwindigkeit Informationen verarbeitet werden könnten: die Lichtgeschwindigkeit ist mindestens 1 000 mal höher als die Geschwindigkeit von Elektronentransportprozessen.