Eine Woche Klimabildung für alle! Mit dieser Idee starteten die »Students for Future« im November 2019 bundesweit »Public Climate Schools« – öffentliche Vorlesungen, Workshops und Diskussionen zum Klimawandel. Die Studierenden wollten zeigen, dass klimagerechtes Handeln sowohl Engagement als auch Fachwissen aus verschiedenen Disziplinen erfordert. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena fand die Klimastreikwoche breite Unterstützung aus allen Fakultäten. Wir haben uns umgehört, was die Referentinnen und Referenten der Jenaer »Public Climate School« zu sagen haben.
Prof. Dr. Andrea Marlen Esser
Die Philosophin hielt eine öffentliche Vorlesung mit dem Titel »Nach uns die Sintflut? Was fordert die Klimaethik?«
»Wer klimaschädliches Handeln vermeiden will, muss möglicherweise auf manche Gewohnheiten verzichten. Aber sind wir auch moralisch dazu verpflichtet, uns einzuschränken? Die Klimaethik fordert mit Bezug auf das Menschenrecht auf Selbsterhaltung, dass alle Menschen, aber insbesondere Staaten einen Beitrag leisten müssen. Dieser ist nach dem Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit davon abhängig, wie sehr die betreffenden Staaten die Erderwärmung zu verantworten haben, aber auch wie leistungsfähig sie sind.«
Sven Morgen
Der Politikwissenschaftler hielt ein Seminar mit dem Titel »Krise!? - Der Krisenbegriff
im Kontext von Klimawandel und (Außen-)Politik«
»Der Klimawandel als Krise fordert die Stabilität von nationalen politischen Systemen und der internationalen Ordnung heraus. Nationen spüren den Zeitdruck und ihre Handlungsmöglichkeiten verengen sich bis zum Stillstand. In der Krise kann aber auch eine Chance liegen: Verkrustete Strukturen brechen auf und eröffnen Handlungsoptionen, die heute vielleicht noch im Bereich des Unmöglichen liegen – jedoch eine umfassende Lösung des Problems versprechen.«
Prof. Dr. Friedemann Schmoll
Der Kulturwissenschaftler diskutierte zum Thema »Woher kommt das Essen – Welche Nahrung wollen wir?«
»Die Agrarindustrie versorgt uns mit Lebensmitteln, doch Monokulturen und Massentierhaltung lassen die Natur schrumpfen und funktionieren sie zu einer Zwecklandschaft um. Es ist höchste Zeit, den Stoffwechsel zwischen dem Menschen und seiner Umwelt neu zu ordnen. Ein nachhaltiger Ernährungswandel würde die biologische Vielfalt schützen und den Klimawandel bremsen.«
Prof. Dr. Gerhard G. Paulus
Der Physiker stellte in seiner Vorlesung physikalische Modelle zur Berechnung der Erdtemperatur vor.
»Schon seit 200 Jahren gibt es einfache, aber zwingende physikalische Argumente für die Existenz des Treibhauseffekts und damit auch für die Gefahr einer globalen Erwärmung bei Zunahme der Treibhausgaskonzentration. Die entscheidenden Zusammenhänge, die der steigenden Erdtemperatur zugrunde liegen, lassen sich sogar mit einer einfachen Formel darstellen.«
TErde ist die Erdtemperatur, also die gesuchte Größe, gemessen in Kelvin (°C plus 273). TSonne ist die Sonnentemperatur (5 800 Kelvin). Rho (ρ) ist die Albedo, also der Anteil des auf die Erde treffenden Sonnenlichts, den die Erde nicht absorbiert, sondern reflektiert (= 0,3). Beta (β) ist der Anteil der Wärmestrahlung der Erdoberfläche, der von der Atmosphäre absorbiert wird. Derzeit ist β gleich 0,78. Für diese Werte ergibt sich für TErde 288 Kelvin (15°C) Durchschnittstemperatur. Beta steigt jedoch mit der Treibhausgaskonzentration: Wenn β gleich 0,79 ist, erhält man 0,5 °C mehr. |
Prof. Dr. Christine Römermann
Die Ökologin und ihr Team erforschen die Auswirkungen des Klimawandels auf die pflanzliche Biodiversität
»Pflanzen reagieren besonders empfindlich auf den Klimawandel und entwickeln Strategien, um die sich verändernden Bedingungen zu meistern. Das lässt sich auch in den heimischen Ökosystemen beobachten: Viele Pflanzen blühen immer früher, wodurch die Gefahr von Frostschäden steigt und wichtige Bestäuber fernbleiben. Die Verschiebungen führen dazu, dass sich das gesamte Artenspektrum und auch die Biodiversität wandelt.«
Robert Pauli
Der Klimaaktivist von »Fridays for Future« stellte in einem Workshop gängige Argumente der Klimakrisenleugner vor und wie man sie widerlegt.
»›CO2 ist ein lebensnotwendiges Spurengas und kann daher nicht schädlich sein!‹ Dieses klassische Argument der Klimakrisenleugner missachtet weiterführende Konsequenzen. CO2 kann sehr wohl Pflanzen nutzen und gleichzeitig die Atmosphäre aufheizen. Auch der nächste Schritt wird von den Leugnern nicht mitgedacht: Den Pflanzen bringt es rein gar nichts, wenn sie zusätzliches CO2 zur Verfügung haben, aber auf ausgedörrtem, überhitztem Land stehen.«
Prof. Dr. Andreas Freytag (r.) und Prof. Dr. Hartmut Rosa
Der Wirtschaftswissenschaftler und der Soziologe führten ein Streitgespräch darüber, wie der Klimakrise in ihrer globalen Dimension adäquat begegnet werden kann.
Die Übernutzung weltweiter Ressourcen, wie der Wälder oder der Meere, bringt den Planeten schon bald an seine Grenzen. Ein »weiter so« kann es nicht geben. »Wir brauchen wirtschaftspolitische Anreize in Form von Zertifikaten, die klimanützliches Verhalten fördern«, empfiehlt Wirtschaftsexperte Andreas Freytag. Anders sieht es der Soziologe Hartmut Rosa: »Der ewige Wachstumszwang muss ein Ende haben. Es braucht einen Mentalitätswandel!«
Umfrage: Till Bayer