Prof. Dr. Ulf Peschel und Prof. Dr. Stefanie Gräfe sind Sprecher des SFB "NOA".

Physikalische Grenzen sind nicht das Limit

Warum wissenschaftliche Erkenntnis ein theoretisches Fundament braucht
Prof. Dr. Ulf Peschel und Prof. Dr. Stefanie Gräfe sind Sprecher des SFB "NOA".
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Der Physiker Prof. Dr. Ulf Peschel und die Chemikerin Prof. Dr. Stefa­nie Gräfe leiten den Sonderforschungsbereich (SFB) »NOA«, der seit 2019 an der Universität Jena angesiedelt ist. NOA steht für »Nonline­ar Optics down to Atomic Scales«. Im Interview erläutern sie, welchen Fragen sie in dem Forschungsverbund nachgehen und warum wissen­schaftliche Erkenntnis ein theoretisches Fundament braucht.

Interview: Ute Schönfelder

Worum geht es bei NOA?

Peschel: Wir untersuchen fundamentale Prozesse der Licht-Materie-Wechsel­wirkung. Und zwar wirklich bis auf die atomare Ebene. Also wir schauen, was passiert mit den Lichtteilchen, den Photonen, und den Materieteilchen, den Elektronen, bei ihrem Aufeinandertref­fen. Die Lichtfelder, die wir einsetzen, sind so stark, dass sich die Materie durch das Licht verändert. Die Vorgän­ge, die dabei ablaufen, sind von der In­tensität des Lichts abhängig und zwar nichtlinear.

Interessant daran ist, dass durch die Wechselwirkung mit Licht nicht nur die Materie, sondern durch die angeregte Materie auch das Licht selbst wieder beeinflusst wird. Wir können also prak­tisch Licht durch Licht kontrollieren. Im SFB bearbeiten wir beide Aspekte: Wir untersuchen und bearbeiten Materie mit intensivem Licht und wir erzeu­gen und steuern Licht durch die Wech­selwirkung mit Materie. Und das alles schauen wir uns auf sehr kleinen Skalen an. 

Welche konkreten Fragen wollen Sie beantworten?

Gräfe: Es gibt eine Reihe grundlegender Fragestellungen, die uns interessieren. Zum Beispiel wissen wir schon länger, wie nichtlineare Wechselwirkungen von Licht und Materie funktionieren, etwa in nichtlinearen Kristallen. Für diese Effekte scheint es wichtig zu sein, dass die Materialien sehr homogen aufgebaut sind, also eine sehr regelmäßige, gleichverteilte atomare Struktur besitzen. Uns interessiert nun herauszufinden, wie klein diese homogenen Strukturen sein können, um die nichtlineare Wechselwirkung zu ermöglichen und wie Unebenheiten, Rauigkeit und einzelne Defekte die Wechselwirkung beeinflussen. Wenn ich ein Material habe, das zum Beispiel nur aus einer einzigen Atomlage besteht, dann hat jedes zusätzliche Atom einen enorm großen Einfluss. Außerdem interessieren uns Effekte, die erst auf diesen extrem kleinen Skalen möglich werden. Zum Beispiel können von atomar kleinen Metallspitzen Elektronen zu benachbarten Spitzen tunneln. Das bedeutet, dass sie Energiebarrieren überwinden, was nach den Vorstellungen der klassischen Physik nicht möglich wäre. Und wir wollen untersuchen, wie sich dieses Phänomen durch Licht steuern oder sogar gezielt schalten lässt. Wenn wir solche Prozesse verstehen und beherrschen, können wir sie vielleicht irgendwann auch sinnvoll anwenden.

Warum sind Nanomaterialien für die Forschung so interessant und wichtig?

Peschel: Es gibt ja bereits seit langem den Trend, technische Bauteile immer klei­ner zu machen. Das spart Material und erhöht die Effizienz. Aber unser Bestre­ben geht über diesen Aspekt weit hin­aus. Nanostrukturierte Materialien be­sitzen einfach ganz neue Eigenschaften. Mit Nanostrukturen können wir Materi­alien zum Beispiel »unsichtbar« machen oder ihnen neue Farben verleihen und so weiter. Solche Metamaterialien wer­den seit rund 20 Jahren erforscht und entwickelt. Unsere Materialien sind jetzt aber noch einmal deutlich kleiner, weit unterhalb der Wellenlänge von sicht­barem Licht. In diesen Dimensionen, auf der atomaren Ebene, spielen zuneh­mend quantenmechanische Effekte eine Rolle. Wir wollen verstehen, wie diese Effekte die Eigenschaften der Materiali­en bestimmen.

Gräfe: Ein ganz konkretes Anwen­dungsfeld von Nanomaterialien ist die Chip-Technologie. Dort haben wir heute Standard-Strukturgrößen von 13 Nano­metern. Das sind umgerechnet etwa 130 Atome. Die neuesten Chips haben nur noch sieben Nanometer Strukturbreite, also nur noch 70 Atome. Ab 2022 wird die 3-Nanometer-Technologie erwartet, also nur noch 30 Atome breit. Je kleiner diese Strukturen werden, umso relevan­ter und einflussreicher wird jedes ein­zelne Atom. Für solche Anwendungen müssen wir wissen, wie sich die atoma­ren Geometrien auf die Materialeigen­schaften auswirken und wie wir diese steuern können.

Wie groß bzw. klein sind die Struktu­ren, die Sie in den Projekten des SFB untersuchen?

Peschel: Die metallischen, sogenannten plasmonischen Nanostrukturen, die wir in verschiedenen Projekten unseres SFBs verwenden (siehe Artikel Ultimativ dünn: Halbleiter aus einer Atomlage, Wenn Licht und Elektronen gemeinsam leuchten, Chemische Reaktionen in Großaufnahme), weisen Strukturgrößen von etwa 200 Nanometern auf. Wichtig für die nicht­linear-optischen Effekte sind zumeist die Abstände zwischen diesen Nanoan­tennen. Da bewegen wir uns in einem Bereich von bis zu fünf Nanometern. Fünf Nanometer, das ist die Dicke einer Lipiddoppelschicht, der Grundstruktur von Biomembranen. Würde man diesen Abstand – um ihn sich besser vorstellen zu können – auf einen Zentimeter ver­größern, so würde sich im gleichen Ver­hältnis ein Zentimeter auf die Strecke Jena-Weimar ausdehnen.

Warum braucht es nichtlineare opti­sche Methoden, um so kleine Struktu­ren zu untersuchen?

Peschel: Atomare und andere sehr klei­ne Strukturen werden heute mit einer Vielzahl von Methoden untersucht. Der Vorteil nichtlinear-optischer Methoden ist, dass sie die Auflösungsgrenzen gän­giger optischer Methoden, die von der Wellenlänge der verwendeten Strah­lung abhängen, deutlich unterschreiten. Sprich, wir können viel kleinere Struk­turen »sehen«.

Außerdem erhält man durch die nicht­lineare Wechselwirkung des Lichtfeldes mit dem Material viel mehr Informati­onen über die untersuchten Strukturen, als durch einfache lineare Wechselwir­kung. Wir erweitern damit praktisch das Spektrum der Informationskanäle.

Gräfe: Hinzu kommt, dass es bei nichtli­nearen Methoden in der Regel weniger störende Hintergrundeffekte gibt.

Gibt es auch für nichtlineare optische Methoden Auflösungsgrenzen?

Gräfe: Ja, die gibt es. Aber sie sind nicht so absolut, wie beispielweise die Abbe­sche Auflösungsgrenze (siehe Kasten unten). Auf der atomaren Skala, auf der wir uns bewegen, spielen Quanteneffek­te eine Rolle, die die Wechselwirkung mit Licht beeinflussen. Im Detail wissen wir das aber auch noch gar nicht. Dies ist unter anderem eine Frage, die wir in unserem SFB beantworten wollen.

Peschel: Es geht bei der Beantwortung dieser Frage eigentlich gar nicht so sehr um die physikalischen Grenzen der Auflösung. Viel entscheidender für das, was wir sehen und erkennen können, sind die Grenzen unserer theoretischen Modelle und unseres Verständnisses für die Phänomene auf diesen Skalen. Wir können hier ja nicht mehr direkt »beob­achten«, sondern wir erhalten Informa­tionen aus Lichtspektren und müssen diese interpretieren.

Nichtlinear optische Phänomene las­sen sich erst experimentell bearbeiten, seit es Laser gibt, die Licht in der not­wendigen Intensität bündeln. Welche Rolle spielt – neben der Lasertechnik – die theoretische Forschung dabei?

Peschel: Wie schon angesprochen, eine ganz grundlegende. Die Herausfor­derung im Moment besteht darin, die Licht-Materie-Wechselwirkung im ato­maren Bereich konsistent zu beschrei­ben und dabei sowohl die optischen als auch die quantenmechanischen Effekte zu berücksichtigen. Wir Theoretiker ent­wickeln dafür Modelle und experimen­tell arbeitende Kolleginnen und Kolle­gen liefern Daten. Gemeinsam schauen wir dann, ob wir diese Daten mit den Modellen plausibel erklären können.

Der Erkenntnisgewinn erfolgt dabei im­mer in kleinen Schritten und die Aufga­be der Theorie ist es, ein grundlegendes Verständnis zu generieren. Dafür brau­chen wir einfache Modelle, die uns eine Vorstellung vermitteln, daraus entwi­ckeln wir Simulationen und können die­se dann experimentell überprüfen. Für dieses physikalische Grundverständnis ist die Theorie unerlässlich.

Die Abbesche Auflösungsgrenze

Ernst Abbe entwickelte 1873 seine berühmte Formel, die das Auflösungsvermögen eines Mi­kroskops wie folgt beschreibt: d = λ / 2n•sinα. 

Darin steht d für die erzielbare Auflösung als dem kleinsten Abstand, den zwei Linien mindes­tens haben müssen, damit sie im Mikroskop noch als getrennte Linien erkannt werden kön­nen; λ bezeichnet die Wellenlänge des Lichtes, n die Brechzahl des Stoffes zwischen Objekt und Objektiv und α den halben Öffnungswinkel des Lichtkegels der Strahlen, die von einem Punkt des Objektes in das Objektiv gelangen. 

Für den Term n•sinα führte Abbe den Begriff der numerischen Apertur ein (NA), der das Ver­mögen eines Systems beschreibt, Licht zu fokussieren. Abbes Formel ist daher oft auch in der Form d = λ / 2 NA zu finden. Die höchstmögliche numerische Apertur, die für Luft zwischen Objekt und Objektiv erzielt werden kann, ist 1. Für sichtbares Licht mit einer Wellenlänge von λ ≈ 400 nm ergibt sich folglich eine erzielbare Auflösung von d ≈ 200 nm. 

Inzwischen erlauben zahlreiche neuere methodische Ansätze jedoch eine Auflösung deutlich unterhalb der von Ernst Abbe begründeten Grenze.

Kontakt:

Ulf Peschel, Univ.-Prof. Dr.
Institutsdirektor
vCard
Abbeanum, Raum 107
Fröbelstieg 1
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Stefanie Gräfe, Univ.-Prof. Dr.
Arbeitsgruppenleiterin
vCard
Raum E004
Lessingstraße 4
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