Beinahe täglich erreichen uns inzwischen Bilder des voranschreitenden Klimawandels: Wirbelstürme, Überschwemmungen, schmelzende Gletscher. Doch obwohl das Thema so präsent ist, bleibt es für viele Menschen immer noch abstrakt und weit entfernt. Dabei sind die Auswirkungen steigender Temperaturen auch hier zu Lande kaum noch zu übersehen. Eine Bestandsaufnahme aus dem Hainich-Nationalpark.
Rund ein Drittel von Deutschland ist mit Wald bedeckt. Nach Fichten und Kiefern sind Buchen die am häufigsten vorkommenden Bäume in den deutschen Wäldern. Und wie Fichten und Kiefern sind die Buchen akut bedroht. Die extreme Trockenheit der vergangenen zwei Sommer macht vor allem ihnen zu schaffen. Besonders dramatisch sichtbar wird der Klimawandel aktuell im Hainich-Nationalpark, einem rund 75 km2 großen Waldgebiet im Westen Thüringens, das Teil der UNESCO-Weltnaturerbestätte »Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas« ist. Hier nimmt ein Jenaer Forschungsteam die Bäume von oben ins Visier. Was die Aufnahmen der Forscher zeigen, ist alarmierend: Die Buchen sterben in großer Zahl.
Jeder zweite Baum ist geschädigt
Die beiden extrem trockenen Sommerperioden 2018 und 2019 haben den Wald in einen gefährlichen Zustand versetzt. »Über große Bereiche ist praktisch bereits jeder zweite Baum geschädigt oder sogar tot«, sagt PD Dr. Sören Hese. Der Wissenschaftler weist auf einen Monitor in seinem Büro im Institut für Geographie der Friedrich-Schiller-Universität. Darauf sind Luftbildansichten des Waldes von oben zu sehen: Das dichte Grün der Baumkronen ist gemasert mit einer Vielzahl grauer Flecken (Foto oben). »Diese grauen Areale sind entlaubte Kronen, vor allem von Buchen«, sagt Hese.
Im Rahmen eines laufenden Kooperationsprojekts mit der Verwaltung des Hainich-Nationalparks und »ThüringenForst« untersuchen der Erdbeobachtungsexperte und seine Kollegen vom Lehrstuhl für Fernerkundung die Wälder im Schutzgebiet aus der Vogelperspektive. Mittels einer Drohne vermessen sie die Waldoberfläche - und das zentimetergenau. Dafür lassen sie die etwa anderthalb Kilo schwere und 45 Zentimeter im Durchmesser große Vermessungsdrohne auf etwa 100 Meter Höhe aufsteigen und vollautomatisch zuvor exakt festgelegte Flächen abfliegen. Rund fünf Quadratkilometer Wald werden so am Tag kartiert.
Mehrere Tausend Einzelbilder nimmt die Drohne während der Befliegungskampagnen auf, die regelmäßig zwischen Juli und November stattfinden. »Die Bildausschnitte sind so gewählt, dass die Flächen der Einzelbilder zu rund 80 Prozent mit denen der jeweils vorherigen und der folgenden Aufnahme überlappen«, erläutert Sören Hese. Die Einzelbilder werden später zu einer Gesamtaufnahme verrechnet. Dieses Verfahren ermöglicht es zudem, detailreiche zentimetergenaue Höhenmodelle der Waldoberfläche zu erstellen, da die Drohne jeden Punkt aus unterschiedlichen Perspektiven aufnimmt und ihre Position in Echtzeit messen kann.
Die Aufnahmen aus dem Jahr 2019, die Hese gerade auswertet, um die Veränderung des Waldes seit dem Hitzesommer 2018 zu kartieren, vermitteln ein dramatisches Bild. Auch außerhalb der Hotspots an exponierten Hanglagen sterben die Buchen in großer Zahl. »Bis zu 30 Prozent der Bäume sind in einigen Bereichen bereits tot«, konstatiert Hese. Das bestätigen auch aktuelle Untersuchungen vom Waldboden aus, die die Nationalparkverwaltung vornimmt. Ob sich Bäume, die bisher nur teilweise entlaubt sind oder nur wenige ganz kleine Blätter entwickelt haben, im nächsten Jahr wieder erholen, bleibt abzuwarten.
Älteste Bäume sterben als erste
Besonders gefährdet sind die Buchen, die ihre Kronen im sogenannten Oberstand, in der höchsten Ebene des Waldes, haben. Diese großen Bäume sind bis zu 180 Jahre alt, einzelne Bäume auch älter. »Es sind gerade diese, die jetzt als erste sterben«, sagt Hese, während er am PC ein animiertes Höhenmodell des Hainich-Nationalparks aus 1,2 Milliarden Höhenpunkten startet. Aus der Perspektive der Drohne sind beim Flug über die Wald-Animation deutlich die entlaubten Buchenkronen zu erkennen, die als einzelne Spitzen aus dem darunterliegenden Blätterdach ragen. Dass es vor allem die Buchen trifft, könnte daran liegen, dass sie weniger tief wurzeln als zum Beispiel Eichen. Dadurch gelangen Buchen nicht an tiefer liegende Wasserreserven im Boden heran.
Neben der umfassenden Bestandsanalyse für die Nationalparkverwaltung sind die Messdaten für die Fernerkundungsexperten auch in anderer Hinsicht nützlich. Sie dienen als Referenz für Satellitendaten, mit denen sie Veränderungen in der Waldvegetation registrieren. »Wir nutzen dafür Daten von den ESA-Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-2A und Sentinel-2B«, erklärt Hese. Die beiden Satelliten messen fortlaufend von der Erde und der Atmosphäre reflektiertes Licht in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen, etwa im Infrarot und dem sichtbaren Bereich. »Wir schauen uns Zeitserien dieser spektralen Aufnahmen an und können daran die Veränderungen von Waldflächen über das Jahr ablesen«, so Hese. Das Blattwachstum im Frühjahr und Sommer sowie die Entlaubung im Herbst und Winter, aber auch der Trockenstress verändern die Satellitensignale. »Welche konkreten Veränderungen an den Bäumen aber welche Veränderungen in den Satellitensignalen hervorrufen, das können wir nur anhand der Drohnenaufnahmen und direkter Analysen vor Ort abgleichen.«
Ein Blick auf Satellitenaufnahmen, die im Sommer 2018 und 2019 zur gleichen Jahreszeit aufgenommen worden sind, macht das Ausmaß der aktuellen Veränderungen deutlich (Abbildung unten). Die Aufnahmen zeigen ein rund 25 Quadratkilometer großes Gebiet im West-Hainich. Dargestellt sind die Satellitendaten aus dem kurzwelligen Infrarot, dem nahen Infrarot und dem roten Spektrum des Lichts. »Die Unterschiede sind erheblich«, erläutert Sören Hese. Zeigen sich die Waldflächen auf der Aufnahme von 2018 noch vorwiegend grün in der Falschfarbendarstellung, ist die Aufnahme von 2019 durchzogen von großen dunkelbraun gefärbten Flächen. Hier zeigen sich Veränderungen durch die fehlende Absorption im roten Wellenlängenbereich, da die Chlorophylle in den toten Blättern nicht mehr aktiv sind oder die Blätter schlicht fehlen. Auch im nahen Infrarotbereich ist das Reflexionsvermögen verändert, dies liegt an der reduzierten oder fehlenden Blattfläche und deren eigentlich hohem Reflexionsgrad im nahen Infrarot durch intrazelluläre Zwischenräume. Schließlich ist die Absorption im kurzwelligen Infrarot reduziert, weil die Wasserabsoption durch den Trockenstress nochmals geringer ist als im Sommer 2018.
Die Hitzesommer 2018 und 2019 haben den Hainich auf Jahre hinaus verändert
Wie es für die Buchenwälder im Hainich wohl weitergehen wird? Das hänge entscheidend davon ab, wie sich das Klima in den kommenden Jahren entwickelt und ob sich einige Buchen im nächsten Jahr erholen können, sagt Sören Hese. Eines stehe jedoch jetzt schon fest: Die Hitzesommer 2018 und 2019 haben das Erscheinungsbild des Hainichs auf Jahre hinaus verändert.
Text: Ute Schönfelder