Die Kommunikationsforscher haben alle Studienteilnehmer einem bestimmten Gruppentypus zugewiesen.

Erreicht der wissenschaftliche Corona-Diskurs die breite Öffentlichkeit?

In einer aktuellen Studie haben Jenaer Kommunikationswissenschaftler untersucht, inwiefern sich Laien in ihrer Einschätzung der Corona-Pandemie von wissenschaftlichen Experten unterscheiden.
Die Kommunikationsforscher haben alle Studienteilnehmer einem bestimmten Gruppentypus zugewiesen.
Grafik: Liana Franke

COVID-19 sei gefährlicher als die saisonale Grippe, das Risiko daran zu sterben, würde überschätzt, das Einatmen heißer Luft helfe bei der Heilung. Mit diesen und weiteren Aussagen zum Coronavirus hat ein Forschungsteam aus der Kommunikationswissenschaft sowohl wissenschaftliche Fachleute als auch Laien konfrontiert.

Um herauszufinden, wie viel von der wissenschaftlichen Diskussion um das Coronavirus in der breiten Bevölkerung ankommt, hat ein Forschungsteam um Prof. Dr. Tobias Rothmund vom Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Jena eine repräsentative Stichprobe von 1.500 Personen befragt und diesen 15 Behauptungen über COVID-19 vorgelegt. Unter den Aussagen waren sowohl technisch-medizinische Behauptungen wie „Die Einnahme von Ibuprofen oder Aspirin kann eine COVID-19-Erkrankung verschlimmern“ als auch Risiko-Einschätzungen wie „An COVID-19 sterben auch junge Menschen ohne Vorerkrankungen“. Mit einem statistischen Verfahren konnten die Teilnehmenden anhand ihres Antwortmusters in vier Gruppen unterteilt werden, die sich in ihrer Bewertung der Pandemie voneinander unterscheiden:

Die Mainstreamer

Die Gruppe der Mainstreamer.
Die Gruppe der Mainstreamer.
Grafik: Liana Franke

Wer zur Mainstream-Gruppe gehört, ist über den wissenschaftlichen Diskurs zum Coronavirus in der Regel gut informiert und zeigt sich gegenüber Verschwörungserzählungen kaum anfällig. Die Positionen der Mainstreamer stimmen im Wesentlichen mit den Expertenmeinungen überein.

Die Besorgten

Die Gruppe der Besorgten.
Die Gruppe der Besorgten.
Grafik: Liana Franke

Die Besorgten schätzen das von COVID-19 ausgehende Risiko zumeist noch höher ein als Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft. Im Vergleich zum Durchschnitt der Befragten ist diese Gruppe etwas älter und besser gebildet. Sie ist ebenfalls gut über das Virus informiert und nutzt vor allem klassische Medien als Informationsquelle.

Die Zweifler

Die Gruppe der Zweifler
Die Gruppe der Zweifler
Grafik: Liana Franke

In den Urteilen der Zweifler drückt sich ein hohes Maß an Unsicherheit aus, egal ob es sich bei den Behauptungen um wissenschaftlich plausible oder unplausible Aussagen handelt. Wer zu den Zweiflern gehört, besitzt meist einen niedrigeren Bildungsabschluss, informiert sich zu großen Teilen in Online-Medien und hat ein vergleichsweise starkes Bedürfnis nach einfachen Antworten – was möglicherweise erklärt, wieso diese Gruppe eher bereit ist an Verschwörungserzählungen zu glauben.

Die Leugner

Die Gruppe der Leugner.
Die Gruppe der Leugner.
Grafik: Liana Franke

Leugner schätzen das medizinische Risiko, das vom Coronavirus ausgeht, wesentlich geringer ein als Expertinnen und Experten. Statistisch gesehen sind Leugner häufiger berufstätig als der Durchschnitt, befinden sich im mittleren Alter und halten sich für überdurchschnittlich gesund. Ideologisch neigen sie zu rechtskonservativen und anti-elitären Positionen, was sich auch in ihrer Ablehnung des politischen Krisenmanagements und öffentlich-rechtlicher Medien ausdrückt.

Die Experten

Die Experten.
Die Experten.
Grafik: Liana Franke

Neben den vier Gruppen haben Prof. Rothmund und sein Team promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befragt, die an universitären Instituten für Virologie und Epidemiologie tätig sind. 128 promovierte Forschende haben an der Befragung teilgenommen.

Wie haben die Gruppen auf einzelne Behauptungen reagiert?

  • Behauptung 1: COVID-19 ist gefährlicher als die saisonale Grippe.
    Behauptung 1: COVID-19 ist gefährlicher als die saisonale Grippe.
    Grafik: Liana Franke
  • Behauptung 2: Das Risiko an COVID-19 zu sterben, wird überschätzt.
    Behauptung 2: Das Risiko an COVID-19 zu sterben, wird überschätzt.
    Grafik: Liana Franke
  • Behauptung 3: Eine Infektion mit COVID-19 ist nur einmal möglich, dann ist der Körper immun.
    Behauptung 3: Eine Infektion mit COVID-19 ist nur einmal möglich, dann ist der Körper immun.
    Foto: Liana Franke
  • Behauptung 4: Solange ich 10 Sekunden die Luft anhalten kann, bin ich nicht mit COVID-19 infiziert.
    Behauptung 4: Solange ich 10 Sekunden die Luft anhalten kann, bin ich nicht mit COVID-19 infiziert.
    Foto: Liana Franke

Zentrales Studienergebnis:

Prof. Dr. Tobias Rothmund
Prof. Dr. Tobias Rothmund
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Unsere Studie zeigt, dass sich insgesamt 73 Prozent der Befragten, die Mainstreamer und die Besorgten, an den Einschätzungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu COVID-19 orientieren. Dieses Ergebnis ist positiv zu bewerten und zeigt, dass die Vermittlung wissenschaftlicher Einschätzungen zu COVID-19 bei drei Vierteln der Deutschen angekommen ist. Auf der anderen Seite stehen die restlichen 27 Prozent, die aus Zweiflern und Leugnern bestehen. Sie unterscheiden sich in ihren Einschätzungen substanziell von der Expertengruppe, misstrauen der Wissenschaft und neigen dazu, mehr oder weniger stark an Verschwörungserzählungen zu glauben.

Prof. Dr. Tobias Rothmund

Hinweis

Rothmund, T., Farkhari, F., Azevedo, F., & Ziemer, C. (2020, July 13). Scientific Trust, Risk Assessment, and Conspiracy Beliefs about COVID-19 - Four Patterns of Consensus and Disagreement between Scientific Experts and the German Public: https://psyarxiv.com/4nzuy/Externer Link

Text: Till Bayer
Grafik: Liana Franke, Susanne Bukatz