WEITERDENKEN
Promotion eines »furchtbaren Juristen«
Institutionen wie Universitäten oder Forschungsinstitute schmücken sich gern mit den Namen herausragender Akteure ihrer Geschichte. Ein Beispiel ist der einstige Professor und Dichter der Freiheit Friedrich Schiller, dessen Namen die Universität Jena seit 1934 trägt. Problematisch hingegen ist der Umgang mit jenen Angehörigen, die ihren Universitäten keine Ehre machen, etwa weil sie vom rechten Weg abkommen. Ein prominentes Beispiel aus der Jenaer Universitätsgeschichte ist der spätere Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler.
Der aus Celle stammende Freisler schrieb sich 1912 im Fach Jura an der Universität Jena ein. Freisler hatte in Aachen und Kassel das Gymnasium besucht und sein Abitur als Jahrgangsbester absolviert. Zwei Jahre später, am 4. August 1914, meldete sich Freisler zum Militärdienst, der Erste Weltkrieg war ausgebrochen. Sechs Jahre später, im Sommer 1920, kehrte Roland Freisler an die Universität zurück. Nach zwei Jahren im Kriegseinsatz war er in russische Gefangenschaft geraten. Im Jahr 1922 wurde er mit der Schrift »Grundsätze der Betriebsorganisation« promoviert, für die er das Prädikat »summa cum laude« erhielt.
Wie wurde Freisler zum fanatischen NS-Juristen?
Eine Kommission aus Fakultätsmitgliedern der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat die Aufgabe übernommen, die Zeit Freislers an der Universität Jena zu untersuchen und zu dokumentieren.
Diese Kommission lud im Mai 2018 den Historiker Thomas Clausen nach Jena ein. Clausen promoviert bei Christopher Clark in Cambridge. Thema seiner Arbeit: »Roland Freisler (1893-1945): an intellectual biography«. Diese Arbeit über den „furchtbaren Juristen“ (Rolf Hochhuth) Freisler stellte Clausen in Jena vor. Sein Vortrag ist zentraler Bestandteil des Buches „Promotion eines furchtbaren Juristen“, das die Professoren Walter Pauly und Achim Seifert von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena herausgegeben haben.
Die Publikation kreist um die Frage, wie Freisler zu dem wurde, was er zuletzt war und welchen Anteil seine Ausbildungsstätte, die Universität Jena, daran hatte. Das Fazit in dieser Frage fällt indes ernüchternd aus: Ein allgemeingültiges Rezept, Absolventen vor dem Abdriften ins Extreme zu bewahren, gibt es offensichtlich nicht! Fest steht wohl, dass Freislers politische Ansichten maßgeblich durch seinen Doktorvater Justus Wilhelm Hedemann geprägt worden waren. Der Zivil- und Wirtschaftsrechtler war selbst nicht kriegstauglich, gehörte jedoch zu den lautesten Kriegsbefürwortern in der Jenaer Professorenschaft. Die Verbindungen zwischen Freisler und Hedemann hielten lange über ihr Lehrer-Schüler-Verhältnis hinaus.
Roland Freisler wandelte sich nach einem Intermezzo als mäßig erfolgreicher Anwalt zum fanatischen NS-Juristen. Schon früh in die NSDAP eingetreten, wurde die Verquickung von Recht und Unrecht sein Markenzeichen. Als Präsident des Volksgerichtshofs spielte er besonders in den als Schauprozessen inszenierten Verfahren gegen die Verschwörer vom 20. Juli 1944 eine unrühmliche Rolle. Am 3. Februar1945 starb er in einem schweren Bombenangriff durch die US-Luftwaffe.
Text: Stephan Laudien
Willentliche Selbstbeunruhigung an eigener Geschichte
Wirklich tiefgreifende Auseinandersetzung mit Geschichte führt oft in neue, mitunter auch schmerzhafte Einsichten. Das gilt zumal für die Zeit des Nationalsozialismus, der Shoah und anderer extremer Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, die von Deutschen gewollt und – gegen den Widerstand von Minderheiten – gesellschaftlich ermöglicht worden sind. Wie soll unsere Gegenwart mit dieser Vergangenheit vernünftig umgehen? Welche Formen der Vergegenwärtigung sind politisch, pädagogisch und ästhetisch angemessen? Warum ist „Erinnerung“ heute längst nicht mehr der Königsweg für deutsche Selbstaufklärung? Der Historiker, Geschichtsdidaktiker und Psychoanalytiker Volkhard Knigge hat solche Fragen seit den frühen 1990er Jahren gestellt und in Interviews, Reden, Aufsätzen und mit Interventionen prägnant beantwortet – als Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und seit 2008 zudem als Inhaber der Professur für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Mai ging er in den Ruhestand, jetzt würdigt ein bildreiches Buch sein Denken und Handeln als Wissenschaftler und Hochschullehrer: „Geschichte als Verunsicherung. Konzeptionen für ein historisches Begreifen des 20. Jahrhunderts.“
Vermittlung im Vordergrund
Bereits Knigges Texte aus den späten 1980er Jahren lassen die Programmatik erkennen: Fragen der Vermittlung standen stets im Vordergrund: sei es im Unterricht mit Schülerinnen und Schülern, bei der Aufklärung mit Hilfe von historischen Artefakten oder in der Reflexion auf Kunst und Literatur. Eines von Knigges leidenschaftlichen Anliegen war der angemessene Umgang mit Überresten und Denkmalen an historischen Orten. Wenn immer man solche Relikte wiederherstellt und konserviert, ihre Präsentation sollte so angelegt sein, „dass sie vom Gebrauch eigener historischer Vorstellungskraft nicht entlasten, deren Entwicklung aber fördern“, heißt es in einem Beitrag über die Gedenkstätte Buchenwald.
An der Geschichte der Gelände einstiger Konzentrationslager zeigt Knigge beispielhaft, wie die Gesellschaften in Deutschland Ost wie West versuchten, mit dieser Vergangenheit klarzukommen. Während im Osten Deutschlands in den 1950er Jahren die historisch-politische Deutung „durch Sterben und Kämpfen zum Sieg“ zur Leitlinie für kommunistische Denkmalsarchitekturen wurde, ließen westdeutsche Verantwortliche buchstäblich Gras und Bäume über die einstigen Sterbeorte tausender Häftlinge wachsen: Waldfriedhöfe wie etwa in Bergen-Belsen.
Erinnerung braucht Wissen und Orientierung auf Werte
Volkhard Knigge hat das Ringen um die Deutung von Gesellschaftsverbrechen nicht nur begleitet, sondern gab immer wieder Denkanstöße für die Debatte, forderte Begriffsschärfe, wurde zu einer prägenden Figur über Deutschland hinaus. Knigges Konzepte sind getragen von der Sorge, die zunehmende Institutionalisierung des Gedenkens führe in formelhafte Routinen. Weil diese Verbrechen, die unverzeihlich bleiben, die Menschen dauerhaft verunsichern, hat der Historiker „willentliche Selbstbeunruhigung“ als das Ziel historischen Lernens in Deutschland beschrieben. Ein „negatives Gedächtnis“, das dabei entsteht, sei indes nicht Last, sondern bietet Gründe und Orientierungswissen für ein gemeinsames Streben nach besserem und gerechtem Leben für alle. Sein Credo: „Erinnerung braucht Wissen und Orientierung auf Werte“.
Zu den berührendsten Texten im Buch gehören die Beiträge über die Schriftsteller und Buchenwald-Überlebenden Jorge Semprún und Imre Kertész. Volkhard Knigge beschreibt beide als Zeugen, die in ihrer Kunst das selbst erlebte Grauen beschreiben und dabei die Abgründe dessen ausloten, wozu Menschen fähig und bereit sind.
Auswahl und Arrangement der 48 Beiträge im Buch hat der Historiker Axel Doßmann vorgenommen, langjähriger Mitarbeiter an Volkhard Knigges Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ein Register erleichtert den systematischen Zugriff auf das Œvre.
Text: Stephan Laudien
Bibliographische Angaben:
Walter Pauly/Achim Seifert (Hg.): Promotion eines furchtbaren Juristen. Roland Freisler und die Juristische Fakultät der Universität Jena, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2020, 101 Seiten, 34 Euro, ISBN 978-3-16-159237-9
Volkhard Knigge. Geschichte als Verunsicherung. Konzeptionen für ein historisches Begreifen des 20. Jahrhunderts, hg. von Axel Doßmann im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Wallstein Verlag, Göttingen 2020, 630 Seiten, 129, z. T. farbige Abb., 38 Euro, ISBN 978-3-8353-3696-4