Die Corona-Pandemie begann in Deutschland mit leeren Toilettenpapier-Regalen in den Supermärkten. Plötzlich gingen die Nudeln aus und Hygieneprodukte wurden vielerorts rationiert. Was war da los? »Bei vielen Menschen ging der Beginn der Pandemie mit einer starken Verunsicherung, einem Kontrollverlust einher«, sagt Deliah Bolesta von der Universität Jena. Ausgelöst sei dieser Kontrollverlust durch den Mangel an realen Möglichkeiten, der Krise zu begegnen, so die 30-jährige Psychologin, die am Schumpeter-Zentrum der Universität Jena zu den Grundlagen politischer Einstellungen forscht. Deliah Bolesta, die gerade an ihrer Promotion arbeitet, untersucht beispielsweise die Einflüsse von Gruppenzugehörigkeit auf politische Ansichten.
Die Corona-Krise bot willkommenes Forschungsmaterial. »Die Hamsterkäufe sind der Versuch, sich neue Möglichkeiten zu erschließen, sich selbst als aktiv wahrzunehmen«, so Bolesta. Dass es ausgerechnet Toilettenpapier und Nudeln waren, sei dem Schneeballprinzip zuzurechnen gewesen: Als die ersten Meldungen gerade diesen Mangel bekanntgaben, verstärkte es die Nachfrage noch zusätzlich. Aber hieß es nicht, in Frankreich würden Rotwein und Kondome gebunkert? Hier sei wohl vor allem ein Klischee bedient worden, mutmaßt Deliah Bolesta. Bestimmt sei auch in Frankreich die Nachfrage nach Toilettenpapier gestiegen, das ebenso wie Nudeln sehr lange haltbar ist. Ergo sagten sich viele Menschen, ein größerer Vorrat davon könne ja nicht schaden.
Einen Kontrollverlust wie jetzt in der Corona-Krise erleben Menschen sonst beispielsweise bei einer existenziellen Bedrohung oder der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit. Im Journal „PLOS ONE“ sei dazu jüngst eine StudieExterner Link veröffentlicht worden. Ein Befund dabei: Insbesondere ältere Menschen und solche mit höherem Bedürfnis nach Struktur und Sicherheit neigen zu Vorratskäufen.
Eine weitere Begleiterscheinung der Krise sind die munter ins Kraut schießenden Verschwörungstheorien und Fake News. Deliah Bolesta unterscheidet grundsätzlich zwei Arten von Verschwörungstheoretikern. Das seien zum einen Menschen, die einer konkreten Theorie anhängen, etwa Ungereimtheiten zu 9/11 vermuten. Die andere Gruppe ist eher misstrauisch und glaubt an die diffuse Möglichkeit einer »verdeckten Wahrheit«. »Medial werden diejenigen am meisten wahrgenommen, die am lautesten schreien«, sagt Deliah Bolesta. Dabei seien die meisten derjenigen, die nur grundsätzlich misstrauisch sind, keineswegs für den Diskurs verloren. Es helfe durchaus, mit diesen Menschen das Gespräch zu suchen, sagt Deliah Bolesta. Dabei dürfe jedoch nicht der Fehler gemacht werden, sich um Detailfragen zu streiten. Besser sei es, eine Metaebene zu suchen und beispielsweise zu fragen, weshalb die Person diese Ideen verfolgt.
Gibt es positive Entwicklungen in der Krise? Natürlich, konstatiert Deliah Bolesta. Die Psychologin zählt die vielerorts aktiv gelebte Nachbarschaftshilfe dazu – auch das ist eine Art, dem gefühlten Kontrollverlust zu begegnen. Die zweite gute Nachricht sei die Renaissance der Wissenschaft in der Öffentlichkeit. »Der öffentliche Dialog zwischen Politik und Wissenschaft sollte über die Zeit der Pandemie hinaus fortgeführt werden«, so Bolesta. Er sei zu beiderseitigem Vorteil und wohltuend für die Gesellschaft.
Text: Stephan Laudien