Angesichts endlicher fossiler Energieträger, des Klimawandels und weltweiter Verteilungskrisen stehen Wirtschaftsunternehmen vor wachsenden Herausforderungen. Setzten Politik und Wirtschaft in Krisenzeiten bislang vor allem auf die Selbstregulierungskräfte des freien Marktes, sind aktuell immer häufiger Stimmen zu hören, die eine deutlich stärkere, proaktive staatliche Lenkung der Wirtschaft fordern. Was passiert da gerade? Ein Exkurs mit dem Jenaer Wirtschaftsexperten Uwe Cantner.
Gerade sind die Nobelpreise 2019 verliehen worden: Unter den Geehrten sind drei Ökonomen, die für ihre Arbeiten zur Linderung der weltweiten Armut den Wirtschaftsnobelpreis erhalten haben. Für Prof. Dr. Uwe Cantner ist diese Wahl keine Überraschung. »Wie schon 2018, als der Preis für Arbeiten zu den Folgen des Wirtschaftswachstums für das Klima vergeben wurde, sind auch 2019 Arbeiten gewürdigt worden, die sich mit den negativen Folgen unseres Wirtschaftssystems auseinandersetzen«, so der Wirtschaftsexperte.
Ökologische und soziale Folgen im Fokus proaktiver staatlicher Politik
Bislang galt unter Ökonomen vor allem der Grundsatz der Selbstregulation des Marktes, mit eher sparsamen Eingriffen des Staates. Doch in der Ökonomik vollzieht sich ein grundlegender Wandel. »Ich stelle fest, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr und mehr dazu übergehen, dem Staat eine stärkere Rolle zuzumessen. Das war vor zwanzig Jahren noch anders«, sagt Cantner, der an der Universität Jena die Professur für Mikroökonomik innehat. »Der Markt soll sicherlich auch heute und in Zukunft seine wohlfahrtssteigernden Aufgaben wahrnehmen, aber entlang gesellschaftlich und staatlich vorgegebener Missionen, zum Beispiel der Energiewende.« Die ökologischen und sozialen Folgen des Wirtschaftens dürften nicht nachrangig behandelt werden, sondern müssten von politischer Seite über Missionen proaktiv angegangen werden.
Wie der Staat diese neue Rolle bei der Förderung von Innovationen ausfüllen kann, ist eine der aktuellen Forschungsfragen von Uwe Cantner und seinen Jenaer Kolleginnen und Kollegen. Auch in Bezug auf die Generierung und Verbreitung von Innovationen habe der Staat in der Vergangenheit eine zurückhaltende, eher einem »Reparaturbetrieb« entsprechende, Rolle gespielt. »Das ist angesichts der komplexen sozialen, ökologischen und demografischen Herausforderungen nicht mehr ausreichend«, so Cantner. »Der Staat muss nunmehr als Gestalter fungieren, als Wegweiser. Er muss Entwicklungen so steuern, dass Wirtschaft, Umwelt und soziales Gefüge zusammenpassen.« So sollten etwa Innovationen, die radikale Veränderungen mit sich bringen, wie die Elektromobilität oder Technologien zur Nutzung regenerativer Energieträger, bereits heute mit Überlegungen für die Zukunft sozial abgefedert werden.
Das bedeute keineswegs das Ende des freien Wettbewerbs. Die Wissenschaftler sehen die Rolle des Staates vielmehr als Katalysator, der beim Beispiel Energiewende, die Entwicklung nicht-fossiler Technologien intensiv fördert, während er Investitionen in fossile Technologien nicht unterstützt. »So lenkt der Staat in gewünschte Richtungen, die Unternehmen können aber weiter eigenverantwortlich wirtschaften.« Entscheidend sei, dass im Dialog mit der Gesellschaft Missionen entwickelt werden, die nicht nur Ziele der politischen Eliten sind, sondern Wünsche und Bedenken der Bevölkerung aufgreifen.
Das sei mühsam und brauche Zeit. Zum einen weil die gesellschaftlichen Ziele keineswegs einhellig vertreten werden. Und zum anderen, weil die Koordination von Politik in den politischen Strukturen selbst oft mühsam ist. »Missionen müssen ressortübergreifend etabliert, abgestimmt und nach echtem Outcome evaluiert werden. Sie müssen Wahlzyklen überdauern«, so Cantner.
Text: Ute Schönfelder