Chemiker Lars Henning Heß beim Bau elektrochemischer Zellen in einer mit Argon gefüllten Glovebox.

Hohe Leistung aus Abfallprodukten

Chemiker entwickeln aus Bioabfällen leistungsfähige und nachhaltige Superkondensatoren
Chemiker Lars Henning Heß beim Bau elektrochemischer Zellen in einer mit Argon gefüllten Glovebox.
Foto: Anne Günther (Universität Jena)
Prof. Dr. Andrea Balducci und sein Team suchen nach Wegen, nachhaltige Rohstoffe für Energiespeicher nutzbar zu machen.
Prof. Dr. Andrea Balducci und sein Team suchen nach Wegen, nachhaltige Rohstoffe für Energiespeicher nutzbar zu machen.
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Superkondensatoren sind Energiespeicher, die – anders als Akkus – in Sekundenschnelle aufgeladen sind und dabei eine nahezu unbegrenzte Lebensdauer aufweisen. Sie kommen heute schon überall dort zum Einsatz, wo innerhalb kurzer Zeit hohe Leistung gebraucht wird: beispielsweise in Defibrillatoren, beim Schalten der Start-Stopp-Automatik sowie in Nutzbremsen von Fahrzeugen. Um Superkondensatoren auch für weitere Anwendungen verfügbar zu machen, forschen Teams der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Ruhr-Universität Bochum an neuen Materialien für diese Energiespeicher. In einer Studie präsentieren sie ein Konzept, mit dem sich der Herstellungsprozess von Superkondensatoren wesentlich nachhaltiger als bisher gestalten lässt.

Dafür nutzt das Forschungsteam aus Jena und Bochum nicht nur nachwachsende Rohstoffe als Ausgangsmaterial für die Elektroden der Superkondensatoren. »Wir haben auch das Herstellungsverfahren so weiterentwickelt, dass es praktisch ohne Abfälle auskommt, weil entstehende Nebenprodukte nicht verworfen werden, sondern in den weiteren Produktionsprozess eingehen«, erläutert Prof. Dr. Andrea Balducci. Durch das Upcycling von Nebenprodukten steige die Produktivität des Prozesses — Fachleute sprechen von Atomeffizienz — um das 15-fache, so der Professor für Angewandte Elektrochemie der Universität Jena.

Kohlenstoff in Bioabfall ist ein hochwertiges Material

Superkondensatoren oder auch Doppelschichtkondensatoren bestehen aus zwei Aktivkohle-Elektroden. Zwischen den beiden Kohleschichten befindet sich eine Elektrolytflüssigkeit mit beweglichen Ladungsträgern. »Das Besondere an der Aktivkohle ist ihre enorm große innere Oberfläche«, erläutert Balducci. Ein Gramm des porösen Materials weise eine Fläche von bis zu 2.500 Quadratmetern auf – das entspricht einer Größe von zehn Tennisfeldern. Diese große Elektrodenoberfläche ist entscheidend für die Kapazität des Kondensators und bestimmt damit die Energie- und Leistungsdichte.

Als Ausgangsmaterial für die Aktivkohleelektroden nutzen die Chemiker Kohlenstoff aus Bioabfällen wie abgelaufenen Milchprodukten oder Abfällen aus der Papierproduktion, aber auch Kokosnussschalen oder Pflanzenfasern sind geeignet. »Diese Abfälle werden ansonsten einfach kompostiert oder verbrannt«, sagt Lars Henning Heß aus Balduccis Team. »Doch der darin enthaltene Kohlenstoff ist ein hochwertiges Material, das sich sinnvoller nutzen lässt«, macht der Doktorand deutlich, der gemeinsam mit der Nachwuchschemikerin Desiree Leistenschneider Hauptautor der Studie ist.

Probenhalter mit eingesetzter Kohlenstoffelektrode vor dem Elektronenmikroskop. Auf dem Bildschirm im Hintergrund ist die Vermessung von Kohlenstoff zu sehen.
Probenhalter mit eingesetzter Kohlenstoffelektrode vor dem Elektronenmikroskop. Auf dem Bildschirm im Hintergrund ist die Vermessung von Kohlenstoff zu sehen.
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Abfallprodukte werden zu Ausgangsmaterialien

Für ihre nachhaltigen Kondensatoren extrahieren die Chemiker durch chemische und thermische Verfahren kohlenstoffhaltiges Material aus den Bioabfällen, das anschließend in einer chemischen Reaktion aktiviert wird. Die dabei verwendeten Chemikalien sammeln sich in den zahlreich entstehenden Poren der Aktivkohle an. »Bisher wurden diese überschüssigen Substanzen und Reaktionsprodukte aus der Aktivkohle ausgewaschen, bevor diese als Elektrodenmaterial zum Einsatz kam«, sagt Andrea Balducci. Dabei jedoch entstehen enorme Mengen flüssiger Abfälle, die aufwendig entsorgt werden müssen.

Deshalb hat das Team den Aktivierungsprozess so weiterentwickelt, dass die resultierenden Substanzen, die als »Abfall« in den Poren der Aktivkohle entstehen, nicht verloren gehen, sondern als Ausgangsbasis für die Elektrolytlösung direkt weitergenutzt werden. In ihrer jetzt vorgelegten Arbeit präsentieren die Forscherinnen und Forscher die Details ihres »in-situ Elektrolyt-Verfahrens«: Aus den wasserlöslichen Nebenprodukten in den Aktivkohleporen entstehen durch verschiedene Reaktionsschritte organische Salze, die Grundbausteine der Elektrolytlösung. »Die Aktivkohleelektroden bringen ihre Elektrolytlösung also gleich mit«, sagt Andrea Balducci.


Text: Ute Schönfelder

Lars Henning Heß bei der Feineinstellung einer sogenannten Rakel. Das Werkzeug dient zur exakten Präparation der Elektrodenfilme.
Lars Henning Heß bei der Feineinstellung einer sogenannten Rakel. Das Werkzeug dient zur exakten Präparation der Elektrodenfilme.
Foto: Anne Günther (Universität Jena)
Hinweis

Original-Publikation:

Leistenschneider D. et al. Solid-state transformation of aqueous to organic electrolyte -Enhancing the operating voltage window of ‘in situ electrolyte’ supercapacitors, Journal of the Royal Society of Chemistry (2020); DOI: https://doi.org/10.1039/D0SE00180EExterner Link.