
Jutta Hübner ist Professorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena und sorgt mit Forschungsarbeiten, viel Öffentlichkeitsarbeit und Lehrangeboten dafür, dass die Behandlung von Krebs durch »Schulmedizin« und komplementäre Medizin zum Standard wird. Wichtig sind ihr evidenzbasiertes Wissen und Informationen für Patientinnen und Patienten, statt Heilsversprechen und Scharlatanerie. Mit ihrer »Stiftung Perspektiven« unterstützt sie Erkrankte und ihre Angehörigen dabei, aktiv den Genesungsprozess zu beeinflussen – zum Beispiel mit Tanzen.
Text: Angelika Schimmel
»Ich bin eigentlich kein Morgenmensch«, sagt Jutta Hübner schmunzelnd und nimmt noch einen Schluck Kaffee. Es ist kurz nach 8 Uhr – und das Interview für dieses Porträt ist nicht ihr erster Termin an diesem Tag. Trotzdem sitzt die Professorin für Integrative Onkologie hellwach vor dem Computer, beantwortet Mails, recherchiert, vertieft sich in wissenschaftliche Studien oder diskutiert mit ihrem Team über die jüngsten Erkenntnisse im aktuellen Forschungsprojekt. Ihr Terminkalender ist vollgepackt – trotzdem ist Jutta Hübner im Gespräch aufmerksam, konzentriert, auch nachdenklich, an manche Antwort hängt sie eine Frage, weil ihr da noch ein Gedanke gekommen ist, der einbezogen werden sollte.
Dieses Nachdenken, Nachfragen und Verknüpfen von Wissen aus verschiedensten Bereichen ist charakteristisch für sie. Nach Studium und Promotion an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf schließen sich die Facharztausbildung auf dem Gebiet der Inneren Medizin und Tätigkeiten an Kliniken in Remscheid, Kassel und Freiburg an. Da hatte sich Jutta Hübner längst für die Onkologie als ihr Fachgebiet entschieden.
Alternative Medizin ist keine Alternative
Krebs zu heilen, ist keine einfache Aufgabe und nicht immer gewinnen die Ärzte. »Jede Krebserkrankung ist anders, es gibt nicht eine Therapie für alle. Doch wir haben heute viel bessere Möglichkeiten als noch vor einigen Jahren«, sagt Jutta Hübner. Auf der Suche nach Möglichkeiten, Patientinnen und Patienten beim Umgang mit der Krankheit zu unterstützen, sie psychisch und physisch zu stärken und Nebenwirkungen von Operationen oder Chemotherapie zu minimieren, wird Jutta Hübner in der Naturheilkunde fündig, ebenso in der Chirotherapie und der Pflanzenheilkunde. Sie absolviert Ausbildungen, erwirbt ein Diplom in Akupunktur, qualifiziert sich in Ernährungsberatung und Palliativmedizin, schließt ein Fernstudium in Gesundheitsökonomie und eine Weiterbildung in Psychoonkologie ab.
Jutta Hübners Weg verläuft über viele Stationen von Klinik bis Praxis, Rehabilitations- und Privatklinik, von Bad Soden und Bonn über Frankfurt und Masserberg. Von außen betrachtet, vermutet Jutta Hübner, scheint ihr Lebensweg vielleicht nicht sehr geradlinig. Für sie selbst aber ist alles logisch und folgerichtig. »Wenn nichts Neues mehr möglich ist, dann ist es der richtige Moment für einen Wechsel.« Der führt sie schließlich nach Jena. Hier habilitiert sich Jutta Hübner 2014.
Mit der Annahme der Stiftungsprofessur für Integrative Onkologie 2017 an der Jenaer Universität kehrt sie nicht nur in den Wissenschaftsbetrieb zurück, sondern ergreift auch die Chance, ihr Wissen und ihren Enthusiasmus an die junge Ärztegeneration weiterzugeben. »Damals gab es so etwas nirgendwo sonst an einer deutschen Klinik«, erinnert sie sich. In den letzten Jahren habe sich jedoch viel getan auf dem Gebiet der Integrativen Onkologie. Diese bezieht unter anderem Erkenntnisse der Ernährungswissenschaft, Sportmedizin, Naturheilkunde, Psychologie und Gesundheitskommunikation ein.
Jutta Hübner weiß, dass viele Menschen sich auf der Suche nach schonenden, natürlichen Behandlungs- und Heilmethoden der Alternativen Medizin zuwenden. Doch für die Onkologin ist klar: Es gibt keine Naturheilmedizin, die einen Tumor tötet. Wirksam sind Operationen, Strahlen- und medikamentöse Tumortherapien. Aber die Naturheilkunde und andere sogenannte Komplementärdisziplinen halten probate Mittel bereit, die Patienten bei der Gesundung helfen oder unangenehme Therapie-Nebenwirkungen lindern können.
»Allerdings gibt es in der Alternativen Medizin hierzulande viel Scharlatanerie. Die Wirkung von Medikamenten und Therapien ist wissenschaftlich nicht oder nicht ausreichend belegt. Und trotzdem ist der Glaube etwa an die Homöopathie in Deutschland weit verbreitet und auch unter den Medizinern gibt es zahlreiche Anhänger.« Dass hierzulande sogar die mit übersinnlichen Aspekten arbeitende anthroposophische Medizin Anhänger hat, macht die redegewandte Medizinerin fast sprachlos. »Wir sind das ›Land der Dichter und Denker‹, das Nobelpreisträger hervorbrachte und so viele kluge Köpfe, deren Expertise weltweit geschätzt wird«, sagt sie kopfschüttelnd. »Aber vielleicht ist das unser Problem: Das kritische Hinterfragen und Einarbeiten von Erkenntnissen ist nicht überall gang und gäbe in der Wissenschaft in Deutschland.«
Weil sie dies auch laut sagt, reagieren manche Kritisierte heftig. Über die Sozialen Medien würden nicht nur krude Konstrukte verbreitet, wie Ärzte von der Pharmaindustrie beeinflusst würden, auch persönlich müsse sie manches abwehren. Trotzdem wird sie nicht müde, dem ihren wissenschaftlichen Ansatz entgegenzustellen. Sie tut dies unter anderem in der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen KrebsgesellschaftExterner Link, als Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen ÄrzteschaftExterner Link, ist zudem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats für das investigative Medium MedWatchExterner Link, das sich kritisch mit unseriösen Heilsversprechen und irreführenden Berichten zu medizinischen Themen auseinandersetzt.
»Statt auf alternative Medizin setzen wir auf komplementäre Medizin – also all das, was Patienten in Ergänzung zur ›Schulmedizin‹ selber tun können. Denn mit Ernährung, körperlicher Aktivität, Naturheilverfahren, aber auch Entspannungstechniken, Gesprächen, Gebeten und mehr können sie selbst Einfluss auf ihre Genesung nehmen.«
Tanz als Medizin und Rezepte für bessere Kommunikation
Jutta Hübner hat 2017 die »Stiftung Perspektiven«Externer Link gegründet, um Tumorpatienten Wege aufzuzeigen, besser mit ihrer Krankheit fertig zu werden oder mit dem Krebs zu leben. Ein Problem der modernen Medizin sei, dass Tumorerkrankungen sehr individuell und die Therapiemöglichkeiten vielfältig und langwierig sind. »Ärztinnen und Ärzte haben häufig keine Zeit mehr, den Patienten alles genau zu erklären«, weiß sie. Umso wichtiger seien Informationen und Hilfsangebote, damit Patienten und Angehörige nicht falschen Heilsversprechen aufsitzen. Hier sehe ihre Stiftung Handlungsfelder.
Sie bietet Online-Vorträge zu diversen Themenbereichen rund um Tumorerkrankungen, Faktenblätter über Substanzen und Anwendungen – von Aloe Vera über Germanium, Reiki, Traditionelle Medizin bis Weihrauch, Yoga und Zink. Die Stiftung organisiert aber auch Kommunikationsseminare – und Tanzworkshops.
Auch dafür ist die eigene Erfahrung der heute 62-jährigen Medizinerin ausschlaggebend. »Ich habe in meiner Jugend Basketball und Fußball gespielt, bin gelaufen, habe auch mit Ballett angefangen«, erzählt sie. »Dabei habe ich viel gelernt, was Körpergefühl und körpersprachliche Erfahrungen angeht.« Tanzen ist seit Jahren ihre Leidenschaft. »Auf dem Parkett kann ich abschalten und Kraft tanken«, sagt Jutta Hübner. Diese Erfahrung haben auch schon einige hundert Krebspatienten gemacht, die an den von ihr organisierten kostenlosen Tanzworkshops oder wissenschaftlich begleiteten Tanzprojekten teilgenommen haben. Tanzen wirke wie eine Medizin. Doch die werde nicht von den Kassen als Reha-Leistung bezahlt. Deshalb springe die »Stiftung Perspektiven« hier ein.
Für die Stiftung und immer wieder auch für Vorträge ist Jutta Hübner oft an den Wochenenden unterwegs. In Jena, dem Ort, an dem sie bis jetzt so lange zu Hause ist, wie sonst an keinem anderen Wirkungsort, erkundet sie die Natur gerne mit dem Rad oder zu Fuß. Und auch die Wege zwischen Büro und Hörsaal, wo sie unter anderem einen berufsbegleitenden Studiengang für Ärzte, Pflegekräfte und Gesundheitsmanager auf dem Gebiet der Integrativen Onkologie leitet, nutzt die agile Professorin, um ihr tägliches 10 000-Schritte-Soll aufzufüllen. Doch jetzt hat sie es eilig. Es ist kurz vor 9 Uhr und der nächste Termin klopft schon an.
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