
Mit Geschichtsrevisionismus versuchen Rechtsextreme die deutsche Geschichte umzudeuten. So präsent und vielfältig verharmlosende oder schuldumkehrende Mythen in den Sozialen Medien auftauchen, so schwierig sind sie für viele Menschen als solche zu erkennen. Was dagegen hilft, sind systematische Forschung und historisch-politische Bildung.
Kommentar: Jens-Christian Wagner
Auf den Nationalsozialismus bezogener Geschichtsrevisionismus ist kein neues Phänomen. Schon vor 1945 verbreiteten die Nationalsozialisten schuldumkehrende Legenden, sprachen von jüdischen Vernichtungsplänen gegenüber Deutschland oder davon, dass für den Zweiten Weltkrieg wahlweise die Juden, die Briten, die Polen oder die Sowjetunion verantwortlich seien.
Ziel solcher Legenden war und ist es, die deutsche Geschichte in eine Erfolgsgeschichte umzudeuten und die Verbrechen des Nationalsozialismus (wie auch des deutschen Kolonialismus) kleinzureden, zu verharmlosen und zu relativieren oder eine Schuldumkehr zu betreiben, indem die Alliierten (oder auch jüdische Verschwörer) als die eigentlichen Kriegsverbrecher und Schuldigen dargestellt werden. Wer Nationalismus und Stolz auf die deutsche Geschichte propagiert, muss versuchen, sie vom Makel der NS-Verbrechen zu befreien, sie gewissermaßen zu entkriminalisieren. Oder man schiebt sie anderen in die Schuhe. So behaupten Rechtsextreme neuerdings, die Nazis seien in Wirklichkeit Linke gewesen, schließlich nannten sie sich ja National-»Sozialisten«. Auf diese Weise versuchen sie, rechtsextremes Denken vom Stigma Auschwitz zu befreien.
In den letzten Jahren lässt sich eine deutliche Zunahme geschichtsrevisionistischer Legenden in der Öffentlichkeit feststellen. Daran hat die digitale Desinformation einen großen Anteil. Heute genügen zwei oder drei Klicks im Internet, um auf entsprechende Inhalte zu stoßen. Insbesondere in Social-Media-Kanälen gehen Holocaust-verharmlosende oder NS-verherrlichende Posts viral. Dazu trägt vor allem die rechtsoffene bis rechtsextreme Mischszene aus Reichsbürgern, »Montagsdemonstranten«, Identitären, »Freien Thüringern«, »Freien Sachsen«, Pandemieleugnern und Putin-Anhängern wie auch der Neuen Rechten bei – und die AfD. Sie ist gewissermaßen Symptom und Motor dieser Entwicklung zugleich.
Ständig werden aus den Reihen der AfD geschichtsrevisionistische Parolen verbreitet, selbst aus den Parlamenten heraus. Der AfD-Politiker Jörg Prophet diskreditierte die Gedenkstättenarbeit als »Schuldkult«, setzte die britischen Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 mit dem Judenmord in Auschwitz gleich und raunte von deutschen Opfern in den Rheinwiesenlagern. Wenn solche Thesen aus den Parlamenten heraus verbreitet werden, verleiht ihnen das eine scheinbare demokratische Legitimation. Dazu tragen auch TikTok-Videos wie die des AfD-Spitzenkandidaten zur Europawahl Maximilian Krah bei, der jungen Menschen einredete, sie sollten stolz auf ihre Ahnen sein, die keine Verbrecher gewesen seien. Diese Videos wurden hunderttausendfach geteilt und verstärkten den Rechtsruck unter jungen Wählerinnen und Wählern.
»Geschichte statt Mythen«
Häufig werden geschichtsrevisionistische Mythen, Chiffren und Signalwörter von Menschen außerhalb des Milieus gar nicht erkannt – oft, weil das historische Wissen nicht vorhanden ist. Geschichtsrevisionistische Mythen können sich so ungehindert verbreiten; entsprechende Narrative werden zunehmend normalisiert. Hier setzt das Projekt »Geschichte statt Mythen«Externer Link meines Lehrstuhls für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an. Es verbindet Forschung mit historisch-politischer Bildung: Systematisch werden durch das Monitoring von Reden, Publikationen und Social-Media-Posts geschichtsrevisionistische Positionen in der rechtsextremen und rechtsoffenen Mischszene in Thüringen erfasst und die gängigen Argumentationsmuster ausgewertet. Dabei fragt das Projekt auch nach dem Fortwirken geschichtspolitischer Positionen der SED-Propaganda. Die Ergebnisse werden fortlaufend in einem Blog veröffentlicht. Darin werden nicht nur geschichtsrevisionistische Legenden vorgestellt, sondern es wird auch deutlich gemacht, wer sie mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck verbreitet. Einträge finden sich etwa zu den AfD-Politikern Björn Höcke und Jörg Prophet, aber auch zu Erinnerungsorten der Neuen Rechten wie der »Gedächtnisstätte Guthmannshausen«, die Geschichtsrevisionismus mit Ahnen-Esoterik verbindet.
Das Blog richtet sich an die allgemeine Öffentlichkeit. Gefördert wird das Projekt von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und ZukunftExterner Link, leider vorerst nur bis April. Es ist zu hoffen, dass sich eine Anschlussfinanzierung findet, denn es ist kaum zu erwarten, dass der Geschichtsrevisionismus im Frühjahr 2025 urplötzlich von der Bildfläche verschwindet.