Wollen wir den Klimawandel aufhalten und die Erderwärmung begrenzen, müssen wir den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren. Das ist mittlerweile weitgehend Konsens. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 ist beschlossen, der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch wächst. Dennoch ruft der Kohleausstieg auch Widerstand hervor, vor allem in den Kohleregionen selbst. Jenaer Soziologinnen und Soziologen unternehmen im Braunkohlerevier der Lausitz eine soziologische »Tiefenbohrung« und gehen den Ursachen dieser Skepsis auf den Grund.
Laut Empfehlung der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung – kurz Kohlekommission genannt – wird im Jahr 2038 das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland den Dienst einstellen. Sieben Jahre zuvor soll der letzte Braunkohletagebau schließen. Besonders in der Lausitz wird das enorme Veränderungen in Gang setzen, sind doch derzeit besonders viele Beschäftigte, Unternehmen und Kommunen in der Region von diesem Industriezweig abhängig. Das betrifft nicht nur ökonomische Bereiche – auch die Gesellschaft an sich bleibt nicht unberührt. Wie in einem Brennglas lassen sich hier im Osten Brandenburgs bereits entstehende Transformationskonflikte beobachten, die sich in unserer Gesellschaft im Zuge der ökonomischen Veränderungen – hervorgerufen durch den Kampf gegen den Klimawandel – bilden.
Stolz der Bergleute auf die Kohle ist das »Rückgrat der Lausitz«
Angeregt und finanziell gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung untersuchten deshalb Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener deutscher Forschungsinstitute für die Studie »Nach der Kohle«Externer Link die Alternativen für einen Strukturwandel in der Lausitz. Zum einen beschäftigten sie sich dabei mit quantitativen und statistischen Analysen der wirtschaftlichen Situation vor Ort und damit verbundenen möglichen Zukunftschancen – nicht zuletzt für den Arbeitsmarkt. Zum anderen fragten Jenaer Soziologinnen und Soziologen im Rahmen einer qualitativen Teilstudie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ansässigen Bergbauunternehmens und Energieversorgers LEAG GmbH, was sie über den Kohleausstieg denken. Für ihre »soziologische Tiefenbohrung«, wie Projektleiter Klaus Dörre das Projekt bezeichnet, interviewte das Jenaer Team in der Lausitz 20 Angestellte aus allen Unternehmensebenen.
Dabei erhielten sie ein relativ homogenes Bild großer Skepsis gegenüber dem eingeleiteten Kohleausstieg – aus ganz unterschiedlichen Gründen. »Prinzipiell ist mit der Kohle und dem Beruf des Bergmanns ein großes Identifikationspotenzial verbunden. Der Tagebau prägte Traditionen und Familien über Generationen«, sagt Jakob Köster, der an der Studie beteiligt war. »Dieser sogenannte Produzentenstolz ist im ganzen Unternehmen zu spüren. Einer unserer Gesprächspartner bezeichnete es als ›Rückgrat der Lausitz‹.« Im Verschwinden der Kohle sehen die Beschäftigten demzufolge einen erheblichen eigenen Bedeutungsverlust. Darüber hinaus sorgten die guten Arbeitsbedingungen und die relativ hohen Löhne für eine große Identifikation mit dem Arbeitgeber. Vereinzelt übten die Angestellten zwar auch Kritik am eigenen Unternehmen, das es versäumt habe, sich schon frühzeitig neue Geschäftsfelder zu erschließen. Doch grundsätzlich passe kein Blatt Papier zwischen Belegschaft, Betriebsrat und Management, sagt Arbeitssoziologe Köster.
Viele Angestellte sehen den Kohleausstieg auch deshalb kritisch, weil sie ihn vorrangig als überhastete, politisch motivierte und technisch nicht fundierte Entscheidung betrachten, die praktisch nicht umsetzbar sei, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Sie halten das Ende der Energiegewinnung durch Braunkohle für verfrüht, da die Alternativen noch nicht ausgereift seien. Grundsätzlich äußerte ein Großteil der Befragten durchaus Verständnis für die Gründe des Ausstiegs und will nicht als »ewiggestrig« wahrgenommen werden. »Nur weil ich in der Kohle arbeite, muss ich ja jetzt nicht den Klimawandel leugnen«, sagte einer der Arbeiter. Mit dem Zeitplan sei man allerdings nicht einverstanden. Es habe bereits Pläne gegeben, den Tagebau bis in die 2040er Jahre erheblich zu reduzieren. Nur eine Minderheit der Befragten äußerte generelle Zweifel am vom Menschen gemachten Klimawandel und betrachtet die Diskussionen darüber als ideologisch. Die Kritik richtet sich dabei nicht nur gegen politische Entscheidungsträger. Auch die Medien – vor allem die lokalen und regionalen – würden eher kontra Kohle und dementsprechend nicht im Sinne der Region berichten, lautet der Vorwurf.
Wendeerfahrung prägt Vorstellung eines Strukturwandels
Den sich ankündigenden Strukturwandel sehen die Befragten vor allem deshalb negativ, da sie sich an ihre Erfahrungen aus der Nachwendezeit erinnert fühlen. »Die Erinnerungen an diese Zeit sitzen nach wie vor tief«, berichtet Sophie Bose, die gemeinsam mit Köster und weiteren Kollegen die Interviews geführt hat. »Jeder kennt jemanden, der damals seinen Arbeitsplatz verloren hat und nicht wieder auf die Beine gekommen ist.« Dabei fürchteten die Befragten selten um die eigene Anstellung, da sie 2038 bereits das Ruhestandsalter erreicht haben. Aber nach der Schließung vieler Fabriken und dem Abbau ganzer Industriezweige, wie der Textilindustrie in den 1990er Jahren, herrscht die Angst vor einer Wiederholung der Geschehnisse und einem weiteren Abstieg der Region. »Wenn die Kohle weg ist, dann gibt es gar nichts mehr – das haben wir häufiger gehört«, sagt Bose.
Für viele Betroffene steht das gute Leben in Frage
Das Gefühl der sozialen Missachtung projiziere sich sowohl auf die Region als auch auf die eigene Lebenswelt. Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit seien beispielsweise konfrontiert mit sich auflösenden sozialen Strukturen. »Beziehungen, die auf Vertrautheit beruhen und nicht von Ellenbogenmentalität oder Vorteilsstreben geprägt sind, sind zentraler Bestandteil gängiger Vorstellungen vom guten Leben«, schreiben die Soziologen in ihrer Auswertung. »Wer die Lausitz missachtet, stellt für viele Befragte zugleich deren Entwurf vom guten Leben infrage.«
Um das Stimmungsbild zu vervollständigen, haben die Soziologinnen und Soziologen im Sommer 2019 außerdem Menschen in der Lausitz befragt, die eher »auf der anderen Seite« stehen. Diese Studie wird aktuell ausgewertet. Unter den Interviewpartnern waren Lokalpolitiker, Umweltschützer, Aktivisten und direkt von den Folgen des Bergbaus Betroffene, beispielsweise Bewohner, die Angst haben, ihren Ort an den Tagebau zu verlieren. Hier zeichnet sich zwar eine deutliche Gegenposition zu der der Bergleute ab, ohne die Leistungen der Vergangenheit abzuwerten. »Die Kohle hatte ihre Zeit – und die ist nun vorbei. Das bedeutet nicht, dass das alles schlecht war«, so der Standpunkt einiger Befragter, berichtet Sophie Bose. »Hier sehen wir eine Position, die die Region wieder zusammenbringen kann.« Denn das scheint dringend nötig. Gerade die zweite Interviewgruppe berichtete von einer deutlichen gesellschaftlichen Spaltung, Einwohner von Dörfern redeten nicht mehr miteinander, das soziale Leben komme teilweise zum Erliegen.
Neben Zahlen und Fakten veranschaulichen solche subjektiven Einschätzungen die sozial-ökologischen Transformationskonflikte, die mit dem Strukturwandel einhergehen. Die Lausitz steht dabei exemplarisch für weitere Regionen und Industriezweige. Auch in der Automobilindustrie werden sich Strukturen verändern. Regionen, die von ihr stark abhängig sind, könnten ähnliche Entwicklungen erleben. Deshalb gelte es, die Menschen vor Ort rechtzeitig einzubeziehen. »Wir haben während unserer Gespräche immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es den Menschen wichtig ist, gehört zu werden«, sagt Bose. »Sie sollten die Veränderungsprozesse aktiv mitgestalten können.«
Text: Sebastian Hollstein
Original-Publikation: Nach der Kohle. Alternativen für einen Strukturwandel in der Lausitz (2019),
www.rosalux.de/publikation/id/40518/nach-der-kohle/Externer Link