Anfang 2022 veröffentlichten US-Forschende ein vielbeachtetes Paper im Fachmagazin »Scientific Reports«. Darin wurde das angeblich abrupte Verschwinden der Hopewell-Kultur – einer Zivilisation, die sich an den Flüssen des Mittleren Westens und Nordostens des amerikanischen Kontinents ausgebreitet hatte – auf einen Kometeneinschlag vor rund 1.600 Jahren zurückgeführt. Gegen diese von großem Medienecho begleitete These erhoben der Jenaer Astrophysiker Prof. Dr. Ralph Neuhäuser und die Anthropologin Dagmar L. Neuhäuser
Einspruch, den sie im gleichen Magazin veröffentlichten. Im Interview erzählt Ralph Neuhäuser, wie es ist, den wissenschaftlichen Irrtum von Kolleginnen und Kollegen korrigieren zu müssen, der durchaus das Zeug zu einem Hollywood-Drehbuch gehabt hätte.
Interview: Sebastian Hollstein
Worauf stützte das Team um den Anthropologen Kenneth Tankersley seine These?
Tankersley und sein Team haben geophysikalische Untersuchungen in Siedlungsgebieten der Hopewell-Kultur in der Nähe von Cincinnati im US-Bundesstaat Ohio durchgeführt. Hier fanden sie eine große Zahl an Meteoritenfragmenten und ein erhöhtes Vorkommen von Platin und Iridium, das auf einen extraterrestrischen Ursprung hindeuten sollte. Etwa 1.600 Jahre alte Brandspuren betrachteten sie als Folge eines Airbursts, des explosiven Auseinanderbrechens eines in die Erdatmosphäre eingedrungenen Objektes und stellten die These auf, dass zu dieser Zeit ein Komet über dem Gebiet explodiert sei.
Diese These versuchten sie, mit Hinweisen aus dem historisch-kulturellen Bereich zu belegen: erstens, dass im dritten und vierten Jahrhundert n. Chr. eine große Zahl an Kometen der Erde besonders nah gekommen sein soll – Beobachtungen zeitgenössischer chinesischer Astronomen würden das bestätigen. Zweitens interpretierten sie künstlich geschaffene Erdwälle als Nachbildung eines möglichen Kometen mit seinem charakteristischen Schweif und drittens wurden Narrative, die sich in der mündlichen Tradition verschiedener nordamerikanischer Völker finden, als Belege angeführt.
Warum kann das aus Ihrer Sicht nicht stimmen?
Wir haben uns in unserer Replik auf solche nicht-geophysikalischen Aspekte konzentriert, die wir fachlich einschätzen können, und die den entscheidenden Ausschlag zur Kometenthese gegeben haben. Doch keines der vorgebrachten Indizien weist auf einen durch einen Kometen verursachten Airburst hin.
Für die Behauptung, in dieser Zeit habe es besonders viele Kometen in Erdnähe gegeben, wurde ein Paper aus den 1930er Jahren zitiert, in dem das keineswegs enthalten ist. Auch alle neueren Editionen und Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass es in dem betreffenden Zeitraum keinesfalls mehr Kometen gegeben hat – oder gar mehr erdnahe Kometen. In diesen zeitgenössischen Quellen, etwa bei den chinesischen Hof-Astronomen, finden sich keinerlei Hinweise über einen großen, hellen (nahen) und dann plötzlich verschwundenen (eingedrungenen) Kometen, obwohl dieser für sie auf jeden Fall sichtbar und erwähnenswert gewesen hätte sein müssen. Darüber hinaus sind die angeführten, zur Kometenform stilisierten Erdwälle nur ein kleiner Teil einer viel größeren Struktur und die Forschenden geben keine Erklärung, wie die übrigen Segmente des Bauwerks in ihre Argumentationskette passen.
Die herangezogenen traditionellen Erzählungen, deren Ursprünge sich gar nicht genau datieren lassen, sind auch ganz anders interpretierbar. Beispielsweise könnte die Geschichte vom »Tag, an dem die Sonne vom Himmel fiel« auch eine Sonnenfinsternis meinen. Die Forschenden haben die historisch-kulturellen Überlieferungen insgesamt nicht ganzheitlich betrachtet.
Was hat Sie motiviert, der These der US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen zu widersprechen und ein eigenes Paper zu verfassen?
Es geht hier um ein Thema, das unser Arbeitsgebiet und unsere Expertise betrifft: die Nutzung historischer Himmels-Beobachtungen aus diversen Kulturen für die Verwendung in den modernen Naturwissenschaften. Wir arbeiten dazu in einem transdisziplinären Team. Unserem Eindruck nach war die These fragwürdig und mit falschen Argumenten unterlegt. Und dann ist es unsere Aufgabe zu widersprechen.
Konkret: Es wurde keine eindeutige Evidenz für einen Kometen präsentiert - auch keine geophysikalische. Denn ein Komet ist im Wesentlichen ein riesiger schmutziger Schneeball, auf den die Metallfunde am Boden schwerlich zurückgeführt werden können. Das Eindringen von Kometen in die Erdatmosphäre ist extrem selten – in der menschlichen Geschichte ist kein einziger Fall bekannt. Insofern müsste eine solche These besonders gut belegt werden. Falls hier wirklich ein Ereignis extraterrestrischen Ursprungs eine Rolle spielte, dann vermutlich eher ein Asteroideneinschlag.
Haben Sie die Kolleginnen und Kollegen auf Ihre Vorbehalte aufmerksam
gemacht?
Ja, wir haben sie angeschrieben und unsere Gegenargumente vorgebracht, worauf wir eine eher zurückhaltende Reaktion erhielten. Wir haben dann unser Paper ebenfalls bei »Scientific Reports« eingereicht, in der Rubrik »Matter Arising«, die für solche Korrekturen gedacht ist. Das Magazin ließ es von sechs Gutachtenden prüfen, was sehr ungewöhnlich ist – normalerweise sind es halb so viele. Fünf von ihnen stimmten uns zu und nannten weitere geophysikalische Gegenargumente, und auch der sechste sprach sich für die Veröffentlichung unseres Widerspruchs aus. Die US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen dankten uns in einer Stellungnahme und schlossen sich inzwischen unseren Argumenten an. Sie gehen jetzt ebenfalls davon aus, dass es kein Komet gewesen sein kann.
Was nehmen Sie aus dem Vorgang mit und was können Science community und Öffentlichkeit daraus lernen?
Es zeigt, wie wichtig die Diskussion wissenschaftlicher Ergebnisse ist, durch die auch die Expertise verschiedener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Tragen kommt, die nicht an der ursprünglichen Forschung beteiligt sind. Allerdings bedauern wir, dass die öffentliche Aufmerksamkeit
doch unterschiedlich verteilt ist. Die Nachricht vom vermeintlichen Kometeneinschlag erfuhr in den USA ein großes Medienecho, Zeitungen wie die Washington Post haben darüber berichtet, möglicherweise unterstützt durch aktuelle Filme wie »Greenland« oder »Don't Look Up«, in denen Kometen in die Erdatmosphäre eindringen und explodieren bzw. einschlagen. Unsere Korrektur hat hingegen keine vergleichbare öffentlichkeitswirksame Resonanz erfahren, wenn auch – gerade von geophysikalischer Seite – sehr positive Reaktionen kamen. Ein Airburst eines Asteroiden bzw. Boliden ist jedoch wesentlich realistischer und, je nach Größe, mitunter gefährlicher – wie das Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren zeigt – oder auch die Verwüstungen und Verletzten der viel kleineren Airbursts von Tunguska 1908 oder Chelyabinsk 2013.
Original-Publikation:
Arguments for a comet as cause of the Hopewell airburst are unsubstantiated, Scientific Reports, 2022, DOI: 10.1038/s41598-022-16211-5Externer Link