Dürresommer 2022: Das ausgetrocknete Flussbett der Leutra bei Jena.

Klimawandel im Untergrund

Hydrogeologe Kai Uwe Totsche spricht im Interview über den Ursprung und die nachhaltige Nutzung des Grundwassers und welche Auswirkungen der Klimawandel darauf hat.
Dürresommer 2022: Das ausgetrocknete Flussbett der Leutra bei Jena.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

In der Werbung sprudelt Grundwasser, rein und klar aus scheinbar unversiegbaren Quellen in idyllischen Berglandschaften. Doch in Wirklichkeit befindet es sich oft nur einige Meter unter unseren Füßen und ist alles andere als unerschöpflich. Was genau ist Grundwasser? Woher kommt es? Und was können wir dafür tun, dass es uns so schnell nicht ausgeht? Antworten darauf liefert der Hydrogeologe und Sprecher des Thüringer Klimarats Prof. Dr. Kai Uwe Totsche im Interview.

Interview: Sebastian Hollstein


Hinter uns liegt ein Dürresommer, viele weitere stehen uns vermutlich bevor - welche Folgen hat der Klimawandel für das Grundwasser? 

Zum einen sehen wir – zum Teil deutlich – fallende Grundwasserspiegel. Das gilt nicht nur für das zurückliegende Jahr, sondern die vielerorts auftretenden Verluste passierten verstärkt innerhalb der zurückliegenden anderthalb Jahrzehnte. Zum anderen stellen wir Veränderungen in der Beschaffenheit des Grundwassers fest, was sich auf die Qualität auswirkt. Beispielsweise ist die Wassertemperatur angestiegen, was gleichermaßen besorgniserregend und beeindruckend ist. Besorgniserregend, da sich dadurch viele Prozesse beschleunigen, beeindruckend, da sich dafür auch das umgebende Gestein aufgeheizt haben muss, was aufgrund der Wärmekapazität des Gesteins lange dauert. Ein untrügliches Zeichen, dass der Klimawandel im Untergrund angekommen ist. An unseren Messstationen können wir beobachten, das mit der Erwärmung auch eine Veränderung der Biogeochemie des Grundwassers einhergeht. Je höher die Temperatur des Grundwassers, umso mehr lösliche Stoffe können darin enthalten sein. Das bedeutet einen höheren – und damit teureren – Aufwand bei der Trinkwasseraufbereitung.

Was ist Grundwasser eigentlich?

Grundwasser ist das Wasser, was sich in den zusammenhängenden Hohlräumen im Gesteinsuntergrund gebildet hat. Es umfasst zum einen Tiefenwässer, die in erster Linie das Produkt geochemischer Prozesse sind. Sie können Millionen Jahre alt sein und sind bisher kaum vom Menschen genutzt, was sich in Zukunft vermutlich ändern wird.

Zum anderen handelt es sich um Wasser, das sich aus dem Anteil des Niederschlags speist, der in den Boden eindringen und in die Tiefe sickern kann. Je nach Tiefe und Untergrundbeschaffenheit kann es wenige Tage bis viele Jahrzehnte dauern, bis das Sickerwasser auf eine Gesteinsformation trifft, die eine weitere Tiefensickerung verhindert. Im darüber liegenden Gestein sammelt sich dieses Wasser an: Ein Grundwasserleiter hat sich gebildet. Hervorzuheben ist dabei, das Grundwasser nicht nur »Wasser im Gestein ist«: Vielmehr sind Grundwassersysteme belebt und weisen eine große biologische Vielfalt auf, die in komplexen Nahrungsnetzen organisiert ist: Grundwassersysteme sind Ökosysteme!

Auf seinem Weg durch funktionstüchtige Böden und den tieferen Untergrund werden – im Idealfall – die im Sickerwasser enthaltenen Fremdstoffe herausgefiltert, umgewandelt oder sogar abgebaut. Ein großer Anteil des infiltrierenden Niederschlags kommt allerdings nie im Grundwasser an, sondern wird oberflächennah im Boden gespeichert, wo es unter anderem den Pflanzen zur Verfügung steht oder über die Verdunstung wieder an die Atmosphäre abgegeben wird.

In welchen Bereichen sind wir auf das Grundwasser angewiesen? 

Etwa zwei Drittel unseres Trinkwassers stammen aus dem Grundwasser – Tendenz steigend. Hierfür wird es in unseren Breiten meist aus Sedimentoder aus Kluftgestein herausgepumpt, aufbereitet und den Haushalten oder der Getränkeindustrie zur Verfügung gestellt. Zudem erhält das Thema Bewässerung in der Landwirtschaft und im Obst- und Gartenbau eine immer größere Bedeutung. Grundwasser wird außerdem in der Industrie verwendet, als Löschwasser – sowohl in Siedlungen als auch zunehmend bei Waldbränden – und es speist unsere Flüsse und ist daher auch für die Fischerei und den Binnenschiffsverkehr wichtig. 

Was erschwert neben den geringeren Niederschlagsmengen außerdem die Neubildung von Grundwasser? 

Ein zentraler Faktor für die Grundwasserbildung und -beschaffenheit ist die Landnutzung. Natürlich spielt die Bodenversiegelung dabei eine wichtige Rolle, die grundsätzlich erschwert oder sogar verhindert, dass der Niederschlag im Boden landet. Aber auch dort, wo nicht alles zubetoniert ist, kann das Wasser nicht immer so versickern, wie es soll. Wenn etwa aufgrund von starkem Druck – sogenannte Auflast – der Boden zu stark verdichtet wird, dann versickert das Wasser nicht verlangsamt, sondern schnell und konzentrierter in groben Poren und Rissen. Die Filterfunktion fällt dadurch aus und es gelangen Stoffe in die Tiefe, die da nicht hingehören wie zum Beispiel Pflanzenschutzmittel.

Um diese Stoffe abzubauen, braucht es übrigens das Ökosystem Grundwasser mit seinen vielzähligen Lebensformen und mannigfaltigen Funktionen. Dies erforsche ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Prof. Dr. Kirsten Küsel und Prof. Dr. Susan Trumbore seit rund zehn Jahren im Sonderforschungsbereich AquaDiva. Wir wollen herausfinden, wie Oberflächenökosysteme und Grundwasserökosysteme zusammenhängen und wie die Landnutzung an der Oberfläche die biologische Vielfalt sowie die Funktionen im Untergrund beeinflusst. Das Reinigungsvermögen der Grundwasserökosysteme und der darüberliegenden Schichten hängt stark von den unterschiedlichen Organismengruppen ab, die dort siedeln. Deshalb investieren wir viel Zeit und Aufwand, um mehr Licht in diese Terra incognita zu bringen.

Wie kann man die Landnutzung beeinflussen, damit sich wieder mehr und qualitativ hochwertiges Grundwasser bildet?

Grundsätzlich sollte man die Grundwasserneubildung und die Grundwasserqualität als wichtige Ziele der Landnutzung betrachten. Dann gibt es viele Wege, dies zu begünstigen – als erstes sollten wir aufhören, Boden zu versiegeln und mehr Fläche entsiegeln. Zudem müssen wir eine Landbewirtschaftung schaffen, die das Wasser im Raum hält, indem wir das Sickerungs- und Reinigungsvermögen wieder erhöhen und den Abfluss durch die Fließgewässer wieder deutlich verlangsamen.

Dafür haben wir viele Möglichkeiten – in Siedlungen, in der Landwirtschaft und auch im Wald. Ein Laubwaldökosystem beispielsweise gibt eine bedeutend höhere Grundwasserspende ab als Nadelwald. Gleichzeitig können wir nicht nur über die Vegetation Kondensationsprozesse, wie die Taubildung, oder auch die Evaporation und Transpiration – kurz gesagt: die Verdunstung – beeinflussen. Über unser Landnutzungsmanagement können wir dafür sorgen, dass mehr Wasser in den Boden sickert, anstatt wieder zurück in die Atmosphäre zu gelangen.

Welche weiteren Angriffspunkte sehen Sie, beispielsweise in der Landwirtschaft?

Wir brauchen wieder Flächen, auf denen Wasser nicht als Störelement gilt, sondern Zeit hat zu versickern. In der Landwirtschaft beispielsweise hat man während der Flurbereinigung im 20. Jahrhundert durch Drainagen große Flächen trockengelegt, um sie nutzen zu können und um Überschwemmungen zu vermeiden. Außerdem nahm die Strömungsgeschwindigkeit von fließenden Gewässern durch die Begradigung ihrer Läufe in der Vergangenheit immer mehr zu – dadurch trocknen auch die Oberböden in ihrer Umgebung aus. Unser Ziel muss aber sein, Wasser im Raum zu halten, vor allem im unterirdischen Raum. Also müssen wir solche Eingriffe wieder rückgängig machen. Viele solcher Maßnahmen würden auch der Landwirtschaft zugutekommen und bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels helfen.

Inwiefern?

Die Bodenfeuchtigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für die Humusbildung und damit elementar für fruchtbare Böden. Außerdem wird über den Humusaufbau der Atmosphäre effektiv CO2 entzogen und in Form von organischen Substanzen im Boden gespeichert. Einige der fundamentalen Prozesse hierbei untersuchen wir in meiner Forschungsgruppe MAD Soil. Im Fokus stehen dabei die kleinsten Strukturelemente in Böden, die sogenannten Mikroaggregate, die im Größenbereich von wenigen Nanometern bis 250 Mikrometern liegen und organischen Kohlenstoff besonders effektiv in Form von mineralorganischen Assoziaten binden können. Hier konnten wir unter anderem zeigen, dass Biogene Polymere als Klebstoffe und Stabilisatoren für die Bildung und die Stabilität dieser »Bodenbausteine« eine wesentliche Rolle spielen.

Die konventionelle landwirtschaftliche Nutzung hat weltweit zu einen erheblichen Humusschwund der Böden geführt und damit einen bedeutenden Anteil am Treibhausprozess. Die Landwirtschaft muss sich daher als Ziel setzen, den Bodenhumusgehalt wieder deutlich zu steigern.

Wie können Sie als Wissenschaftler und als Sprecher des Thüringer Klimarats Maßnahmen zur stärkeren Grundwasserbildung anregen und unterstützen? 

Wir helfen unter anderem dabei, neue Managementsysteme zu entwickeln – das gilt übrigens nicht zuletzt auch für die Siedlungswasserwirtschaft, bei der beispielsweise wichtig ist, den Niederschlag auf versiegelten Flächen zu sammeln. Wir arbeiten eng mit Partnern aus der Forstwirtschaft und Wasserwirtschaft zusammen und liefern Informationen, wie sich Landschaft neu gestalten lässt. Beispielsweise beobachten und modellieren wir mit digitalen Methoden die Hydromorphie und ihre Veränderungen durch den Menschen nicht nur als Basis für die Entwicklung von Managementstrategien für Grundwassereinzugsgebiete, sondern auch zur Ableitung von konkreten Maßnahmen in Forst-, Landwirtschaft und Siedlungswasserwirtschaft. Außerdem trage ich als Sprecher des Thüringer Klimarats das Thema von wissenschaftlicher Seite in die Politik und in die Öffentlichkeit, um für noch mehr Bewusstsein für die Probleme und für die Bereitschaft, diese auch anzugehen, zu sorgen.

Prof. Dr. Kai Uwe Totsche (l.) und Umweltschutztechniker Heiko Minkmar entnehmen Grundwasserproben aus einer Forschungsmessstelle im forstlich genutzten Grundwasserneubildungsgebiet bei Hummelshain.

Foto: Anne Günther (Universität Jena)