Umweltfreundlich, kostengünstig und gesundheitlich unbedenklich – das Trinkwasser in Deutschland. Doch neue Mikroschadstoffe belasten zunehmend den Wasserkreislauf.

Die Suche nach der sauberen Lösung

Neue Wege zur nachhaltigen Sicherung unserer Trinkwasserqualität.
Umweltfreundlich, kostengünstig und gesundheitlich unbedenklich – das Trinkwasser in Deutschland. Doch neue Mikroschadstoffe belasten zunehmend den Wasserkreislauf.
Foto: Jan-Peter Kasper (Universität Jena)

Klares sauberes Wasser, direkt aus der Leitung, verfügbar in jedem Haushalt. Was von den meisten mittlerweile als Selbstverständlichkeit angesehen wird, ist genau das gerade nicht: selbstverständlich. Denn Klimawandel, Industrie und Landwirtschaft und nicht zuletzt unsere Lebensweise gefährden die kostbare Ressource. Chemikerinnen und Chemiker suchen im Wassercluster »ThWIC« nach neuen Wegen, Schadstoffe im Abwasser aufzuspüren, zuverlässig zu entfernen und so die Qualität unseres Trinkwassers nachhaltig zu sichern.

Text: Ute Schönfelder


Aus der Dusche, der Waschmaschine, der Toilettenspülung – tagtäglich fließen allein in Deutschland 27 Millionen Kubikmeter Abwasser in die Kanalisation. Rund 96 Prozent davon werden in Kläranlagen wiederaufbereitet. Mechanische und biologische Reinigungsverfahren entfernen Unrat, Kies und Sand, Fette und Öle, aber auch gelöste organische Substanzen, Schwermetalle, Nitrate und Phosphate. Rund zehn Milliarden Kubikmeter werden jedes Jahr in den etwa 10.000 Kläranlagen in Deutschland gereinigt und gelangen zurück in den natürlichen Wasserkreislauf.

Doch nicht für alle im Abwasser vorkommenden Substanzen und Rückstände gibt es in den bestehenden Kläranlagen eine saubere Lösung. Vielmehr nimmt die Zahl und Menge bislang unberücksichtigter Schadstoffe im Abwasser stetig zu, wie Dr. Patrick Bräutigam betont.

Medikamente, Pestizide, Antibiotika - immer mehr Schadstoffe im Abwasser

»Hier stehen wir vor einem wachsenden Problem«, sagt der Chemiker vom Institut für Technische und Umweltchemie der Universität Jena und dem Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme. »Vor allem Medikamentenrückstände, Antibiotika, Pestizide aus der Landwirtschaft sowie Industriechemikalien lassen sich mit den bisherigen Anlagen oft nicht oder nur marginal entfernen.«

Oftmals ist das, was durch die Kanalisation in den Klärwerken ankommt, ein wahrer Chemie-Cocktail. Weltweit werden immer mehr und immer neue Substanzen in den Verkehr gebracht und landen damit potenziell auch im Abwasser. In der EU sind derzeit rund 100.000 verschiedene Chemikalien zugelassen. Sie stecken in Kunstoffen, Arzneimitteln und Pflegeprodukten, in Textilien und Papierbeschichtungen. »Viele davon kommen in sehr geringen Konzentrationen vor und lassen sich im Abwasser bislang nicht wirksam entfernen«, so Bräutigam. Mit der immer älter werdenden Bevölkerung wachse beispielsweise die Menge an Arzneimittelrückständen stetig; bis zum Jahr 2045 wird der Medikamentenverbrauch allein in Deutschland, laut Entwurf der Bundesregierung zur Nationalen Wasserstrategie, um 70 Prozent zunehmen – und damit die Belastung des Wasserkreislaufs.

Manche Schadstoffe lassen sich vermeiden oder durch unbedenkliche biologisch abbaubare Alternativen ersetzen. Ein weiterer zukunftsweisender Ansatz, die Gewässerbelastung zu reduzieren, ist es, Wasser – etwa in der Industrie – in geschlossenen Kreisläufen zu recyceln und damit Abwasser komplett zu vermeiden. »Doch für viele Chemikalien, vor allem Medikamente, ist das nicht möglich«, sagt Bräutigam. Neue effiziente Verfahren der Abwasseranalyse und -reinigung sind daher dringend notwendig.

Und genau hier setzen Dr. Bräutigam und seine Teams an Universität und Fraunhofer-Institut an – und das künftig auch im Wassercluster »ThWIC«, dessen Sprecher Bräutigam ist. Die Jenaer Umweltchemikerinnen und -chemiker forschen an einer Vielzahl von Methoden, Wasser so zu behandeln, dass alle Schadstoffe entfernt werden. »Daneben entwickeln wir Möglichkeiten, das Auftreten von selbst geringsten Belastungen kontinuierlich zu erfassen«, so Bräutigam weiter, »denn nur dann kann in der Kläranlage angemessen reagiert werden.« Das setze auch voraus, dass es für unterschiedliche Schadstoffe jeweils spezifisch angepasste Behandlungsverfahren gibt und sich anhand der chemischen Struktur vorhersagen lässt, welche Methode zum Abbau der nachgewiesenen Chemikalie am besten geeignet ist - ein Thema, das die Forschenden ebenfalls bearbeiten.

Keramische Filter entfernen Schadstoffe und lassen sich leicht recyceln

Um Mikroschadstoffe aus dem Abwasser zu entfernen, gibt es unterschiedliche Ansätze: Bereits im Einsatz sind Verfahren, die versuchen, diese durch Bindung an Oberflächen, etwa von Aktivkohle, aus dem Wasser zu entfernen. Doch das funktioniert nicht für alle Chemikalien effizient. »Hinzu kommt, dass die Aktivkohle anschließend wieder entfernt, transportiert und verbrannt bzw. die Substanzen anschließend von der Aktivkohle wieder entfernt werden müssen, was aufwendig ist und viel Energie kostet«, so Bräutigam. Er und sein Team arbeiten daher an neuen Materialien, die hocheffektiv Schadstoffe binden und sich »auf Knopfdruck« selbst reinigen. »Dafür entwickeln wir schaltbare Keramiken«, erläutert der Jenaer Chemiker.

Schaltbar heißt, dass die Keramiken durch Änderung von äußeren Parametern wie pH-Wert, Licht oder eine Temperaturänderung ihre Oberflächeneigenschaften ändern. In ihrem Ursprungszustand sind diese zum Beispiel wasserabweisend: wird Abwasser durch einen solchen Adsorber geleitet, haften die gelösten Schadstoffe an der Oberfläche. Das Wasser verlässt die Adsorber gesäubert. Anschließend wird das Material durch Änderung der Umgebungsparameter in einen wasserabsorbierenden Zustand überführt und die gebundenen Substanzen können wieder abgewaschen und als Konzentrat entsorgt werden. Mit solchen schaltbaren Materialien lassen sich zukünftig auch Textilien beschichten und als keimabweisende Arbeitskleidung etwa im medizinischen Bereich einsetzen.

Umweltchemiker Dr. Patrick Bräutigam ist einer der beiden Sprecher des neuen Wasserclusters »ThWIC«.

Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Keramische Adsorber lassen Schadstoffe »auf Knopfdruck« anhaften oder als Konzentrat freisetzen.

Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Filtern durch das Nanosieb

Ebenfalls aus Keramik sind die mikroskopisch feinen Filter, mit denen sich Substanzen nach ihrer Molekülgröße und -struktur aus dem Wasser abtrennen lassen. Das Verfahren lässt sich zum Beispiel dazu nutzen, um Öl-Wasser-Emulsionen zu trennen. »Aktuell arbeiten wir mit einem Industriepartner in einem Projekt zur Rückgewinnung von Schmierstoffen aus der Metallverarbeitung in der Automobilindustrie«, sagt Patrick Bräutigam. Schmierstoffe, die auf den Metalloberflächen haften, werden mit Hilfe von Seifen abgewaschen – das Waschwasser, das aus der Waschstraße kommt, muss bislang aufwendig und teuer entsorgt werden. »Unser Ziel ist es, mittels Filtration die Schmierstoffe vollständig aus dem Wasser zu entfernen, so dass dieses direkt wiederverwendet werden kann und praktisch eine abwasserfreie Fabrik entsteht.«

Mit Ultraschall und Ozon gegen schädliche Chemikalien

Neben der Abtrennung aus dem Wasser lassen sich Schadstoffe im Abwasser auch durch Oxidation unschädlich machen. »Das kann man sich als eine kalte Verbrennung vorstellen«, veranschaulicht Patrick Bräutigam. »Bei der Oxidation reagieren die Schadstoffe mit Oxidationsmitteln und werden in CO2 und Wasser umgewandelt.« Um diesen Prozess in Gang zu setzen, erzeugen die Chemikerinnen und Chemiker im Abwasser sogenannte Hydroxyl-Radikale. Diese bilden sich direkt aus dem Wasser selbst, ohne dass zusätzliche Chemikalien eingesetzt werden müssen.

Um Hydroxyl-Radikale entstehen zu lassen, testen die Forschenden diverse Verfahren. Ein Forschungsschwerpunkt in Bräutigams Team ist die Kavitation. Dabei werden im Wasser Blasen erzeugt und zum Kollabieren gebracht. Die Blasen sind sehr klein, nur wenige Mikrometer im Durchmesser. Wenn sie kollabieren, entstehen jedoch lokal extrem hohe Temperaturen – bis zu 5.000 Grad, wie auf der Sonne – wodurch die für die Oxidation benötigten Hydroxyl-Radikale entstehen. Die Kavitation wiederum initiieren die Forschenden durch Hochleistungsultraschall oder starke hydrodynamische Strömungen. Besonders effizient erweist sich die Kavitation, wenn mehrere Methoden miteinander kombiniert werden.

Die zur kalten Verbrennung benötigten Hydroxyl-Radikale lassen sich auch durch Einleiten von Ozon in das Abwasser erzeugen. Dieses aus Luftsauerstoff entstehende Gas wird dabei mit Druck im Abwasser fein verteilt. Neben den Hydroxyl-Radikalen trägt auch das Ozon selbst zur Oxidation von Schadstoffen und zum Abtöten biologischer Keime bei.

Echtzeitmonitoring mit neuen Sensoren

Neben den unterschiedlichen Möglichkeiten, Abwasser zu reinigen, entwickeln Patrick Bräutigam und seine Kolleginnen und Kollegen auch neue Sensoren, mit denen sich die Abwasserqualität kontinuierlich in Echtzeit bestimmen lässt. Dies sei vor allem mit Blick auf die neuen Mikroschadstoffe wichtig, macht Bräutigam deutlich. So weisen beispielsweise Medikamentenrückstände einen ausgeprägten Tagesrhythmus im Abwasser auf, weil Menschen ihre Arzneimittel z. B. immer morgens oder abends einnehmen. »Idealerweise lässt sich auf diese Schwankungen im Klärwerk direkt reagieren, indem die Reinigungsverfahren an den Schadstoffeintrag angepasst werden.« Voraussetzung dafür ist jedoch ein kontinuierliches Monitoring – derzeit ist das noch Zukunftsmusik.

Messen zu können, welche Substanzen, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Konzentration im Wasser vorkommen, ist nicht nur für das Monitoring des Abwassers von Vorteil. Mit solchen Verfahren könnte künftig auch die Wasserqualität von Flüssen und Seen wesentlich genauer überwacht werden. Damit ließen sich Ereignisse wie das massenhafte Fischsterben in der Oder im vergangenen Jahr wesentlich früher erkennen und rechtzeitig gegensteuern.

Reaktor, in dem Methoden zur Oxidation von Schadstoffen, wie Ultraschall und Ozonung, im Labormaßstab getestet werden.

Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

 

Leitungswasser oder Mineralwasser aus Flaschen?

In der Video-Reihe »STIMMT DAS?« erklärt Umweltchemiker Prof. Michael Stelter, welche Vorteile Leitungswasser hat.

Vorschaubild zur Folge »Stimmt das?«

Foto: Irena Walinda