Katja Bär ist CCO der Universität Jena und Vorsitzende des Bundesverbandes Hochschulkommunikation e. V.

Das Ende der Neutralität?

Ein Kommentar von Katja Bär
Katja Bär ist CCO der Universität Jena und Vorsitzende des Bundesverbandes Hochschulkommunikation e. V.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Kriegerische Auseinandersetzungen, Klimawandel, Flucht und Migration – auch nach der Corona-Pandemie prägen vielfältige Krisen unsere Welt. Populisten nutzen die Verunsicherung und versprechen einfache Lösungen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt oder gar die Demokratie gefährden. Auf der Suche nach Orientierung und Halt stehen Hochschulen zunehmend im Fokus, gefordert, nicht nur rasch und mit wissenschaftlicher Expertise, sondern auch als Organisation mit klarer Haltung zu kommunizieren.


Die Universität Jena wurde in den vergangenen Jahren immer wieder aufgefordert, öffentlich Stellung zu beziehen: nach der Invasion russischer Truppen in die Ukraine, nach dem gewaltvollen Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Iran, nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien und nicht zuletzt nach den Correctiv-Enthüllungen zu Jahresbeginn.

»Sind sie zu bunt, bist du zu braun«

In der Kommunikationswissenschaft ist das Phänomen nicht neu. Haltungskommunikation wird die Strategie genannt, mit der Unternehmen, Marken oder Führungskräfte sich zu sozialen, ethischen oder politischen Fragen positionieren. Fisherman’s Friend setzte bereits 2015 mit der Kampagne »Sind sie zu bunt, bist du zu braun«, ein Zeichen für Toleranz und Vielfalt.

Von den Berliner Verkehrsbetrieben über Getränkehersteller wie Fritz Cola bis hin zu Supermarktketten wie Edeka – in Unternehmen wird Haltungskommunikation zunehmend als Bestandteil der Unternehmensstrategie angesehen. Immer mehr Konsumenten erwarten von Marken nicht nur Qualität, sondern auch einen Beitrag zu sozialen oder ökologischen Zielen. Ermutigt, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, äußern sich nicht nur Leitungen, sondern auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als »Corporate Influencer« zu Unternehmenswerten wie Nachhaltigkeit und Diversity entlang ihres Leitbildes.

Universitäten dagegen blieben lange Zeit selbstgewählt leitbildlos und die politische Kommunikation der Forschenden ist aufgrund ihrer Wissenschaftsfreiheit individuell begründet. »Ist nicht schon die Prämisse, daß ein unübersichtliches Gebilde wie das moderne Hochschulsystem von der gemeinsamen Denkungsart ihrer Mitglieder durchdrungen und getragen werden müsse, unrealistisch?«, fragte Jürgen Habermas schon 1986 anlässlich der 600-Jahrfeier der Universität Heidelberg [1]. Die historische »Idee der Universität« blieb in den über den Umweg des »New Public Management« in den vergangenen Jahren entstandenen Leitbildern ebenso eine Leerstelle wie eine Haltung.

»Hippieesk«: das Leitbild der Universität

Das Leitbild der Universität Jena sticht jedoch heraus. Die Universität hat explizit ihre Verantwortung formuliert, sich in öffentliche Debatten einzumischen, wenn ihre Grundsätze angegriffen werden. Auch wenn in der FAZ der Anspruch und die Werte der Universität Light, Life, Liberty als »hippieesk« [2] verspottet wurden, so definieren sie eine neue Idee der Universität, die sich als Ort der Freiheit, Vielfalt, Inklusion und Toleranz versteht und in Verteidigung ihrer Grundsätze politisch handelt [3].  Im partizipativen Prozess der Leitbildentwicklung wurde beschlossen, rassistische Diskriminierung als Beispielfall zu nennen, bei dem die Universität sich positionieren muss.

Der Senat und das Präsidium der Universität Jena haben nicht als einzige entschieden, sich an Initiativen für Weltoffenheit wie »weltoffenes Thüringen«Externer Link oder #Zusammenland zu beteiligen. Auch andernorts treten Universitäten für die Werte dieser neuen politischen Universität ein. Hochschulleitungen in Deutschland und Österreich rufen in ihren Städten zu Demonstrationen auf und sprechen sich gegen Fremdenfeindlichkeit aus. An der Universität Jena hat die Leitung die Sicherheit, dass ihre Universität die parteipolitische Neutralität der öffentlichen Einrichtung nicht mit politischer Enthaltsamkeit verwechselt.

Auch die Hochschulkommunikation, die täglich in den Sozialen Medien die Werte der Universität und die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigt, kann sich dabei auf das Leitbild beziehen. Dennoch muss die Haltung der Universität bei jeder Positionierung neu gefunden werden. Dazu ist mitunter ein möglichst breiter Austausch notwendig, weshalb sich allzu schnelle Reaktionen bei komplexen Themen verbieten. Das Leitbild verleiht zudem kein allgemeinpolitisches Mandat, sondern das politische Sprechen und Handeln bleibt auf die Universität bezogen. Klar ist: Man kann nicht nur nicht kommunizieren, sondern auch nicht ohne Haltung sein. Auch Schweigen ist eine Position und will wohlüberlegt sein.

[1] Zeitschrift für Pädagogik 32 (1986) 5, S. 704
[2] FAZ, https://www.faz.net/-in9-ajgmhExterner Link
[3] DUZ Wissenschaft & Management 07/2021