Menschen, die mit positiven Erwartungen auf das Alter blicken, erleben diese Lebensphase in der Regel körperlich und geistig fitter als Altersgenossen, die eine eher negative Erwartungshaltung haben.

Alter ist auch Ansichtssache

Forschungsprojekt untersucht wie biologische und psychologische Uhren »ticken«.
Menschen, die mit positiven Erwartungen auf das Alter blicken, erleben diese Lebensphase in der Regel körperlich und geistig fitter als Altersgenossen, die eine eher negative Erwartungshaltung haben.
Foto: Anna Schroll/UKJ

Man ist so alt, wie man sich fühlt, sagt der Volksmund und liegt damit durchaus richtig. Das Alter eines Menschen ist nicht allein eine Frage der verstrichenen Lebenszeit, sondern wird von vielen Faktoren beeinflusst – unter anderem auch davon, welche Vorstellungen sich Menschen vom Alter machen. Wie die verschiedenen biologischen und psychosozialen inneren Uhren „ticken“ und sich dabei wechselseitig beeinflussen, untersucht der von der Carl-Zeiss-Stiftung geförderte interdisziplinäre Jenaer Forschungsverbund IMPULS.

Text: Ute Schönfelder


Für die einen ist es das Ende auf Raten, ein steter Verlust an Haaren, Seh- und Muskelkraft, an körperlicher und geistiger Fitness. Für die anderen ist es die verlockende Aussicht auf Freiheit, Autonomie und inneren Frieden. Das Altwerden und das Altsein erlebt jeder Mensch auf seine ganz eigene Weise. Auch wenn niemand dem stetigen Verfallsprozess entkommt, der unweigerlich auf das eigene Ableben zuführt, so gibt es doch große Unterschiede, wie und in welchem Tempo Menschen altern.

»Dabei sagt das chronologische Alter, also die Spanne der bisher verstrichenen Lebenszeit, nur bedingt etwas darüber aus, als wie alt eine Person wahrgenommen wird und wie alt sich diese Person selbst fühlt«, sagt Alternsforscher Prof. Dr. Christoph Englert. Der Biochemiker ist Sprecher des interdisziplinären Forschungskonsortiums IMPULS von Universität Jena, Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) und Uniklinikum Jena. »Auch wenn sich auf biologischer Ebene in den Zellen und im Erbgut Alternsprozesse aufspüren lassen, so spiegeln diese biologischen Uhren nicht zuverlässig das Alter der Person wider«, so Englert weiter. Vielmehr zeige sich oftmals eine erstaunliche Diskrepanz zwischen biologischem und chronologischem Alter.

Altern als gestaltbarer Prozess

»Keine menschliche Altersgruppe ist so heterogen wie die der Alten«, unterstreicht Prof. Dr. Klaus Rothermund. Der Psychologe, der den Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie der Universität Jena innehat, forscht ebenfalls im IMPULS-Team und hat zudem in den zurückliegenden Jahren das von der VolkswagenStiftung geförderte internationale Längsschnittprojekt »Altern als Zukunft« geleitet. Er macht vor allem Unterschiede in der subjektiven Alterswahrnehmung, aber auch in gesellschaftlichen Altersnormen aus. »Altern ist ein individuell gestaltbarer Prozess und in vielerlei Hinsicht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.« So bestimme das eigene Bild vom Alter ganz entscheidend, in welcher psychischen, vor allem aber auch körperlichen Verfassung eine Person diese Lebensphase erlebe.

Unklar ist, wie beide Aspekte des Alterungsprozesses – die Physiologie und die Psychologie – ineinandergreifen. Bislang haben Forschende das Alter und seine Prozesse in mehr oder weniger getrennten Welten untersucht. Das Team um Christoph Englert und Klaus Rothermund hat jetzt die unterschiedlichen Sichtweisen miteinander verknüpft und ein ganzheitliches Modell des Alterungsprozesses erstellt, das die Forschenden in der Fachzeitschrift »Gerontology« veröffentlicht haben.

Das Neuartige am Modell des Jenaer IMPULS-Teams ist, dass es erstmals einen interdisziplinären Zugang zum menschlichen Altern, seinen Ursachen, Folgen und seinem subjektiven Erleben bietet, indem es sämtliche – biologische, psychologische, lebensstilbezogene und soziokulturelle – Faktoren integriert. »Damit wollen wir uns und anderen Forschenden ermöglichen, empirisch überprüfbare Hypothesen aufzustellen und gezielte Interventionsmaßnahmen zu identifizieren, die die Widerstandsfähigkeit des Einzelnen gegen das Altern erhöhen und seine negativen Folgen abfedern können«, sagt Englert. Langfristig gehe es darum, die durch die individuelle genetische Ausstattung theoretisch mögliche Lebensspanne auch praktisch und bei guter Gesundheit zu erleben.

Alterungsprozesse abfedern

»Unser Modell unterscheidet zwischen dem Phänomen des Alterns, dem subjektiven Erleben, den Ursachen und Folgen dieser Prozesse«, erläutert Rothermund. Ein Hauptaugenmerk des Modells liegt auf der Rolle von Puffermechanismen, die die körperliche und psychische Gesundheit beeinflussen und so die Alterungsprozesse regulieren. »Dazu zählen biologische Reparaturmechanismen ebenso wie die persönliche Anpassung an die jeweilige Lebenssituation«, ergänzt Englert.

Zu den biologischen Puffermechanismen, die dem Altern entgegenwirken, gehören beispielsweise die Reparatur von DNA-Schäden und die Zellerneuerung, die das Funktionieren von Geweben und Organen gewährleisten. Puffermechanismen, die vom individuellen Verhalten abhängen, sind etwa körperliche Bewegung, gesunde Ernährung, aber auch das Vermeiden von schädlichen Einflüssen wie Rauchen oder sich übermäßiger Sonneneinstrahlung auszusetzen. Zusätzlich können bestimmte soziale Aspekte den Alterungsprozess abpuffern: Menschen, die vielfältige soziale Beziehungen pflegen und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben, altern im Schnitt langsamer als Menschen, die das nicht tun. Dass die Effizienz dieser Puffermechanismen individuell und über die Lebensspanne variiert, führt dazu, dass Menschen unterschiedlich schnell altern.

Umfangreiche Probanden-Studie

Als nächstes wollen die Forschenden ihr Modell in einer IMPULS Studie anwenden und herausfinden, ob sich das persönliche Altersempfinden direkt auf biologischer Ebene ablesen lässt. Dafür analysieren sie Blut- und Speichelproben von mehreren Hundert Versuchspersonen, die in der zurückliegenden Studie »Altern als Zukunft« bereits hinsichtlich ihrer Alterswahrnehmung und -einstellung über mehrere Jahre untersucht worden sind. »Interessant wird sein, ob sich zum Beispiel eine positive Einstellung zum Alter epigenetisch in den Zellen der Versuchsperson niederschlägt bzw. epigenetisch jung gebliebene Personen auch psychologisch dem Alter trotzen«, erwartet Rothermund. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchung rechnet das Team Anfang 2025.

Sicher sind sich Englert und Rothermund aber bereits jetzt darüber, dass gesundes Altern auch eine gesellschaftliche Herausforderung ist. »Insbesondere ältere Menschen profitieren von vielfältigen sozialen Beziehungen und Teilhabe«, betont Klaus Rothermund, der als Mitglied der Sachverständigenkommission auch den aktuellen »Altersbericht der Bundesregierung« mitverfasst. Vielfach sei es heute jedoch so, dass sich alte Menschen, sobald sie aus dem Berufsleben ausscheiden, mehr und mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Das sei nicht nur ein soziales Problem, sondern auch ein gesundheitliches. »Das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, das sich bei vielen mit dem Eintritt in den Ruhestand einstellt, kann sich erheblich auf die körperliche und psychische Fitness niederschlagen und somit das Altern beschleunigen«, sagt Christoph Englert.

Das Projekt IMPULS wird seit 2021 im Rahmen des Förderprogramms „Durchbrüche“ von der Carl-Zeiss-Stiftung gefördert. IMPULS steht für »Identifizierung und Manipulation der physiologischen und psychologischen Uhren der Lebensspanne«. Zum Projektteam gehören neben Alternsforschern auch Expertinnen und Experten aus Biochemie und Epigenetik, Medizin, Neuro- und Ernährungswissenschaft, Pharmazie, Epidemiologie, Bioinformatik, Biostatistik, Psychologie und Sozialwissenschaften.

Information

Original-Publikation: 

Explaining variation in individual aging, its sources, and consequences [...] Gerontology (2023), 69 (12): 1437–1447 https://doi.org/10.1159/000534324Externer Link

Kontakt:

Christoph Englert, Univ.-Prof. Dr.
Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
Beutenbergstraße 11
07745 Jena Google Maps – LageplanExterner Link
Klaus Rothermund, Univ.-Prof. Dr.
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Professur Allgemeine Psychologie II
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Am Steiger 3
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