Text: Ute Schönfelder
Seit 60 Jahren wird im Thüringer Schiefergebirge der »Puls« der Erde gefühlt: Im Geodynamischen Observatorium der Universität Jena, eine knappe Stunde mit dem Auto Richtung Süden in der 80-Seelengemeinde Moxa, sammeln unterschiedliche, hochsensible Messsysteme Daten über das Innenleben unseres Planeten. Der »Herzschlag« der Erde erfolgt gemächlich, seine Signale sind zumeist erst aus jahr- oder jahrzehnte-umfassenden Aufzeichnungen herauszufiltern. »Um Aufschlüsse über die Prozesse zu erhalten, die im Inneren der Erde ablaufen, brauchen wir sehr lange und präzise Datenreihen«, sagt Prof. Dr. Nina Kukowski, an deren Lehrstuhl für Geophysik das Geo-Observatorium angesiedelt ist.
Neben klassischen Instrumenten wie einem supraleitenden Gravimeter zur Registrierung des Schwerefeldes der Erde verfügt das Observatorium in Moxa über eine Anzahl weiterer ausgefeilter Messsysteme. Als eine von wenigen Einrichtungen weltweit betreibt die Uni Jena hier drei sogenannte Strainmeter, die – in unterirdischen Stollen installiert – die Deformationen der Erdoberfläche im Nanometerbereich registrieren.
Auch Neigungsmesser (Tiltmeter) und eine knapp 100 Meter tiefe Bohrung, in der eine vom Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz bereitgestellte optische Faser die Temperatur im Erdinneren misst, gehören zum Repertoire. Alle zehn Sekunden werden zudem Wetterdaten aufgezeichnet. Durch die Kombination der unterschiedlichen Sensoren, seien die Datensätze nicht nur sehr umfangreich, sondern auch sehr heterogen, so Kukowski. »Die darin enthaltenen Signale zu entschlüsseln, ist eine komplexe Aufgabe. Dafür müssten sehr viele Menschen sehr lange arbeiten.«
Um diesen Prozess zu beschleunigen bzw. überhaupt erst zu ermöglichen, nutzen die Forschenden seit einigen Jahren zunehmend KI-Methoden, insbesondere Maschinelles Lernen. »Wir wenden KI in zwei unterschiedlichen Herangehensweisen an«, erläutert Doktorand Valentin Kasburg aus Kukowskis Team. Zum einen gehe es darum, in den Langzeitdaten Anomalien wie Messfehler und natürliche Signale zu identifizieren zu identifiziert und diese aus den Zeitreihen herauszufiltern. Zum anderen wollen die Forschenden mit KI die Ursachen in den Daten analysieren und so ein besseres Verständnis der im Untergrund ablaufenden Prozessen erlangen.
Dafür nutzt das Team um Prof. Kukowski und die Informatiker Prof. Dr. Alexander Breuer und Prof. Dr. Martin Büker im Rahmen eines von der Carl-Zeiss-Stiftung geförderten Projekts frei verfügbare künstliche neuronale Netze. Diese werden mit unterschiedlichen geodynamischen Langzeitdaten aus dem Observatorium in Moxa trainiert. Anschließend können die Forschenden die trainierten Modelle auf weitere Datenreihen anwenden und konkrete Fragestellungen bearbeiten.
KI unterscheidet Erdbebensignale von Steinbruchsprengungen
So ist es dem Team in einer aktuellen Studie gelungen, Daten verschiedener seismischer Netze zu analysieren und darin tektonische Erdbebensignale von anthropogen-verursachten Ereignissen wie Steinbruchsprengungen zu unterscheiden.
In anderen Untersuchungen geht es darum, in den Zeitreihen kausale Zusammenhänge der unterschiedlichen Messwerte zu identifizieren und diese von bloßen Korrelationen zu unterscheiden, erläutert Valentin Kasburg. »Wir schauen uns Wetterdaten, Niederschlagsereignisse und jahreszeitliche Effekte in Zusammenhang mit den geophysikalischen Daten an und versuchen herauszufinden, ob sich daraus Eigenschaften und Verhalten des Untergrunds herauslesen lassen.« Dabei interessiert sich das Team vor allem für das Grundwasser. »Wir wollen ergründen, welche Faktoren und Prozesse es beeinflussen, wie es sich beispielsweise durch den Klimawandel verändert und wie sich das in unseren Zeitreihen zeigt«, fasst Nina Kukowski zusammen.