Geologie-Doktorandin Madeline Richter präsentiert Gesteinsproben aus dem taiwanischen Yuli-Gürtel.

Forschung auf Abstand

Reportage über den Uni-Alltag während des Lockdowns
Geologie-Doktorandin Madeline Richter präsentiert Gesteinsproben aus dem taiwanischen Yuli-Gürtel.
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Bedingt durch die Corona-Pandemie spielte sich das Sommersemester 2020 an der Universität Jena größtenteils online ab. In der Lehre zogen die Veranstaltungen aus den Hörsälen und Seminarräumen in virtuelle Lernplattformen und Videokonferenzen um. Die Forschung war gleichermaßen von der Pandemie betroffen: Analoge Meetings und Exkursionen fielen aus, Hygienevorschriften schränkten die Laborarbeit stark ein. Auch drei Forschungsprojekte aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, klinische Psychologie und Strukturgeologie mussten sich anpassen und umstellen. Ihre Beispiele zeigen, dass die Krise mit Rückschlägen verbunden war und zugleich Räume für neue Ideen öffnete.

Selbst über das kleine Bildfenster des Videochat-Programms sieht man Madeline Richter die Leidenschaft für ihr Forschungsfeld an. Die junge Doktorandin aus dem Bereich Strukturgeologie der Universität Jena strahlt über das ganze Gesicht, als sie davon erzählt, als »Steineklopferin« mit Karte und Kompass durchs Gelände zu ziehen. Doch schon bald mischt sich Enttäuschung in ihre Stimme. Das Coronavirus habe ihrem Forschungsprojekt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Richter, die am Schreibtisch ihrer Jenaer Wohnung sitzend in die Kamera blickt, wäre jetzt buchstäblich lieber am anderen Ende der Welt als den LICHTGEDANKEN ein Interview zu geben. Eigentlich wollte sie im Sommersemester nach Taiwan fliegen, um den Yuli-Gürtel im dortigen Zentralgebirge zu erforschen. Vor allem interessiert sie die Verformungsgeschichte des Gebirges, das Geologinnen und Geologen ein weltweit einzigartiges Labor bietet: Zwei tektonische Platten, die Eurasische und die Philippinische, schieben sich dort übereinander und drücken relativ junges Gestein aus den Tiefen der Erdkruste – sogenannte Metamorphite – an die Oberfläche.

Richter ist dem Wie und dem Warum dieses Phänomens auf der Spur. Um mehr darüber herauszufinden, wollte sie vor Ort Proben sammeln und Messungen durchführen. Doch schon beim Antritt ihrer Promotion im März 2020 zeichnete sich ab, dass sie die zwei Monate später angesetzte Forschungsreise aufgrund des weltweit grassierenden Virus' nicht würde antreten können – zumal Taiwan schon früh strenge Einreisebedingungen aufstellte. »Täglich gab es neue Informationen zu COVID-19 und wir mussten eine Entscheidung treffen«, erinnert sie sich. »Also haben wir die Reise provisorisch auf November verschoben.« Nicht nur wegen der Pandemie wäre ein früherer Zeitpunkt unmöglich gewesen: Wenn im Sommer nicht gerade Wirbelstürme vor dem ostasiatischen Inselstaat aufziehen, sorgt die extreme Hitze dafür, dass Feldforschung nur unter den größten Anstrengungen durchgeführt werden könnte.

Forschung am heimischen Schreibtisch statt Feldstudie

Durch die Verschiebung entstehen für Madeline Richter zahlreiche Nachteile: Theorie und Praxis ihrer Forschung kann sie jetzt nicht mehr wie geplant parallel voranbringen. Außerdem muss das bis 2023 laufende, DFG-finanzierte Projekt, an dem auch Forschende aus Taiwan und der Universität Bonn teilnehmen, um ein weiteres Halbjahr finanziert werden. Auch kann ihr jetzt eine andere Geologie-Doktorandin aus Jena, die vom chinesischen Festland kommt, nicht mehr dabei helfen, sich in dem fernen Land zurechtzufinden. Während Richters Geduld auf die Probe gestellt wird, läuft der Vertrag der Kollegin aus.

Ihr bleibt zunächst nichts anderes übrig, als von zu Hause aus wissenschaftliche Studien zum Thema zu lesen und die nötigen Vorarbeiten zu leisten. Sie hat nun mehr Zeit, um sich mit verschiedenen Analysemethoden auseinanderzusetzen, mit denen sie die Eigenschaften der Metamorphite bestimmt, beispielsweise deren Kristallstruktur. Doch ohne Feldstudie bleiben alle Forschungsbemühungen lückenhaft: »Man muss das Material sehen und anfassen können und sich auch eine räumliche Vorstellung davon machen, um wirklich gute Arbeit zu leisten«, erklärt die Geologin. »Es würde nicht genügen, sich die Proben mit der Post schicken zu lassen und sie dann hier in Jena im Labor zu analysieren.«

Doch nicht nur der Zeitplan sei nun durcheinander geraten, die unerwartete Situation schlage auch auf die Stimmung, gesteht Madeline Richter. Sie zählt die Feldforschung zu ihren Stärken, sowohl beruflich als auch in ihrer Freizeit ist sie gerne in der Natur unterwegs. Entsprechend motiviert wollte sie mit der Taiwan-Reise in ihrer Promotion richtig durchstarten. Jetzt falle es ihr manchmal schwer, den Kopf nicht hängen zu lassen. Immerhin sieht momentan alles danach aus, dass sie die Feldstudie in Taiwan wie geplant im November nachholen kann. Und es gibt noch einen Lichtblick: Ihr Doktorvater, Prof. Dr. Kamil Ustaszewski kann sie dann voraussichtlich für zwei Wochen begleiten.

Psychologin Dr. Barbara Schmidt führt Hypnose-Experimente derzeit online durch.

Foto: Jan-Peter Kasper (Universität Jena)

Laborversuch wird zum Online-Test umfunktioniert

Für gewöhnlich forscht Dr. Barbara Schmidt im Gebäude des Instituts für Psychologie der Universität Jena, einem imposanten Fachwerkbau am Fuße des Landgrafen. Wer die Treppe hinauf in den ersten Stock nimmt, muss zunächst an einer verschlossenen, mit Sicherheitskameras versehenen Tür klingeln, bevor man das Labor betreten kann. Dort angekommen blickt man auf eine Reihe von Bildschirmen und klobigen Apparaturen, die neben- und übereinander angeordnet sind. Dahinter befindet sich das Herzstück des Labors: eine fensterlose Kammer mit zwei Türen und einem einzelnen Stuhl darin. Hier untersucht Schmidt mittels Elektronenenzephalogramm (EEG), was bei der Hypnose im menschlichen Gehirn vor sich geht. Sie will mehr über diesen besonderen Bewusstseinszustand erfahren, auch weil er die Lebensqualität in vielen Bereichen verbessern kann: Hypnose kann Ängste nehmen, Depressionen behandeln oder dabei helfen, mit dem Rauchen aufzuhören.

In ihrer neuesten Studie wollte Schmidt das EEG-Labor für einen weiteren Versuch nutzen. Sie möchte zeigen, dass sich mittels Hypnose die menschliche Erinnerungsleistung steigern lässt. Doch dann durchkreuzte die Corona-Pandemie auch ihre Pläne. Ohne ein Hygienekonzept konnte sie das Labor ab März vorerst nicht benutzen. Für das EEG müssten die Probanden in der Kammer verkabelt werden und der Mindestabstand von 1,5 Metern ließe sich nicht ohne Weiteres einhalten. Also fasste sie den Entschluss, die Studie von Grund auf neu zu konzipieren und den Versuch online durchzuführen.

Entstanden ist ein neuer Online-Test, für den die Probanden nicht mehr zu Schmidt ins Institut kommen müssen, sondern den sie zu Hause absolvieren können. Er beginnt mit einer Audio-Hypnose, während der die Probanden ein »E« für Erinnern und ein »K« für Kontrolle auf je einen Zettel schreiben. Anschließend lernen die Probanden Wortlisten, wobei sie sich einzelne auf dem Bildschirm präsentierte Begriffe merken müssen. Beim eigentlichen Gedächtnistest, also dem Wiedererkennen der gelernten Worte, dient der »E«-Zettel als Auslöser für erleichtertes Erinnern, während der »K«-Zettel in der Kontrollbedingung für normales Erinnern steht. Die verbesserte Erinnerungsleistung wird dann als Differenz zwischen der »E«- und der »K«-Bedingung ermittelt. In einer weiteren Sitzung eine Woche später wird dann getestet, ob der Effekt über die Zeit stabil ist.

Video-Interview zur Hypnoseforschung auf Distanz:

Hypnose erfordert Vertrauen – auch auf Distanz

Um den Test zu konzipieren, musste Schmidt nicht nur ein geeignetes Programm finden und es den Testbedingungen anpassen, sondern auch den Hypnosetext selbst einsprechen. In der Aufnahme spricht sie mit deutlicher und zugleich beruhigender Stimme: »Genau wie du, nachdem du als Kind das Lesen gelernt hast, heute Wörter siehst und automatisch liest, erinnerst du dich jetzt leicht an automatisch Gelerntes.« Eine solche Audio-Hypnose ist nicht ungewöhnlich. Sie findet sich beispielsweise in der Intensivmedizin, wo sie eingesetzt wird, um das Wohlbefinden von Patienten zu verbessern oder das Schmerzempfinden zu lindern.

Aber funktioniert die Hypnose auf Distanz auch zuverlässig? »Bei der Hypnose ist entscheidend, dass sich die Probanden darauf einlassen und der Hypnotiseurin vertrauen«, erläutert Schmidt. »Nur so können sie einen hypnotischen Zustand erreichen, in dem sie bereit sind, die Dinge einfach passieren zu lassen.« Insbesondere dieses Sich-Einlassen auf die Hypnose kann Schmidt mit dem neuen Online-Test nicht mehr kontrollieren – anders als im Labor. Deshalb hat sie vorerst nur Probanden zu der Studie eingeladen, die sie bereits aus früheren Untersuchungen kennt. Ein weiterer Nachteil: Online lässt sich zwar relativ zuverlässig die Erinnerungsleistung bestimmen, doch es kann kein EEG angeschlossen werden, um so ein neuronales Maß für das Erinnern zu erstellen. »Andererseits können jetzt beliebig viele Probanden gleichzeitig mitmachen und das Labor muss nicht extra gebucht werden«, zählt Schmidt die Vorzüge auf. »Außerdem habe ich insgesamt viel weniger Arbeit, weil ich nicht selbst bei jeder Hypnose anwesend sein muss.«

Barbara Schmidt ist nun auf die Ergebnisse gespannt. Erste Rückmeldungen von Probanden zeigen bereits, dass die Hypnose auch zu Hause gut funktioniert, was Schmidt sehr hoffnungsvoll stimmt. Denkbar ist eine Erweiterung der Studie auf Personen, die noch keinen Kontakt mit Hypnose hatten, was die Möglichkeiten der Datenerhebung drastisch erweitert. Somit war der Schritt zur Online-Studie zwar zunächst unfreiwillig, eröffnet aber neue vielversprechende Perspektiven für die Zukunft. »Ich habe meine Komfortzone verlassen und bin nun positiv überrascht über meine neuen Möglichkeiten. Dieser Prozess ist in gewisser Weise ähnlich wie das Sich-Einlassen auf die Hypnose, bei der man neue ungeahnte Ressourcen in sich entdeckt.«

Bei den Corona-bedingten Online-Meetings des Forschungsprojekts ELIKASA herrscht gute Laune.

Screenshot: Till Bayer

Digitale Tools bringen Forschende von überall zusammen

Für Julia Edeleva und Zeynep Arslan hat sich durch die Corona-Krise auf den ersten Blick nicht viel verändert. Anders als Madeline Richter und Barbara Schmidt sind die beiden Jenaer Sprachwissenschaftlerinnen aus dem Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache nicht auf Laborkapazitäten und derzeit auch noch nicht unbedingt auf Forschungsreisen angewiesen. In ihrem Forschungsprojekt ELIKASA entwickeln sie verschiedene Instrumente – zum Beispiel Sprachtests – mit denen man den Lernfortschritt erwachsener Personen erfassen kann, die Lesen und Schreiben im Deutschen als Zweitsprache erlernen. Dafür arbeiten sie mit Sprachforscherinnen und -forschern mehrerer Hochschulen in Deutschland zusammen. Diese sind nicht nur Expertinnen und Experten für Herkunftssprachen wie Arabisch, Türkisch oder Farsi, sondern wissen auch, wie sich kontrastive Alphabetisierungskurse, die auf den Vergleich zwischen Deutsch und den Herkunftssprachen angelegt sind, praktisch umsetzen lassen.

Durch Corona hat sich diese Forschungsarbeit zwar nicht inhaltlich, dafür aber organisatorisch verändert: Als das Team im April seine Arbeit aufnahm, traten die ersten Corona-bedingten Einschränkungen in Kraft. Zu einem Eröffnungsmeeting konnte sich die Gruppe nicht wie geplant treffen. Zugleich verlagerte sich die gesamte Wissenschaft zunehmend ins Homeoffice und verschiedene Online-Tools für Videokonferenzen und Gruppenarbeit gewannen an Bedeutung. Also beschloss das Team um Prof. Dr. Christine Czinglar von der Universität Jena, das Projekt soweit wie möglich in den virtuellen Raum zu verlagern. Statt sich nur per Mail auszutauschen, arbeitet die Projektgruppe jetzt permanent auf einer virtuellen Plattform zusammen und bespricht sich mindestens einmal pro Woche per Videokonferenz.

Auch an einem Freitagvormittag im Juli trifft sich die achtköpfige Gruppe online: Gegen neun Uhr öffnen sich im virtuellen Besprechungsraum nach und nach kleine Fenster, aus denen die Teammitglieder einander begrüßen. Sie alle befinden sich im Homeoffice – in Jena, Leipzig, Berlin und anderen Städten. Einige sitzen vor Bücherregalen im privaten Arbeits- oder Wohnzimmer. Bei Zeynep Arslan hängt ein Landschaftsbild im Hintergrund. Julia Edeleva hat ein virtuelles Bibliotheksmotiv gewählt, das die Software zur Verfügung stellt.

Zweifellos wird durch die Kommunikation aus dem Homeoffice mehr Privates sichtbar – und auch hörbar, wie die anschließende Präsentation eines Testbogens zeigt, mit dem Lernstrategien überprüft werden sollen: Mitten im Vortrag ertönt plötzlich ein lautes Krächzen. Es ist der Papagei der Referentin, der sich im selben Raum wie sie befindet. Der gefiederte Unruhestifter sorgt für viel Gelächter. Alle zeigen sich verständnisvoll – obwohl das Meeting einem straffen Zeitplan folgt. »Es ist ein großer Vorteil, dass sich viele von uns schon vor der Krise persönlich getroffen haben und wir uns vertrauen«, erklärt Julia Edeleva. »Das erleichtert das digitale Zusammenarbeiten enorm.« Tatsächlich gibt es keine weitere Unterbrechung, nachdem sich der Papagei wieder beruhigt hat. Der Umgangston bleibt freundlich, die Arbeitsatmosphäre entspannt.

Gute Organisation ist der Schlüssel

Für Letzteres sorgt insbesondere Zeynep Arslan, die das Meeting moderiert. Sie muss dabei nicht nur den Vortrag aufmerksam verfolgen, sondern auch Fragen sammeln, die parallel im Gruppenchat eingehen: »Wo im Test kann man die Zahl »90« sinnvoll unterbringen? Sollen Zahlen überhaupt abgefragt werden?« Arslan ruft alle Fragesteller zum geeigneten Zeitpunkt nacheinander auf. Zumeist entwickelt sich eine kleine Diskussion, in der sich das Team schnell auf eine Lösung einigt. Dabei spricht immer nur eine Person, die anderen Mikrofone bleiben stumm geschaltet.

»Online in einer größeren Gruppe zu arbeiten klappt nur, wenn es eine gute Organisation gibt«, weiß Julia Edeleva, die verschiedene Arbeitsgruppen im Team koordiniert. Das Team hat selbstorganisiert geeignete Tools erprobt: Die Software »Teams« hat sich wegen der Möglichkeiten zum gemeinsamen Bearbeiten und Speichern von Dokumenten für die interne Kommunikation bewährt, für externe Sitzungen verwendet das Team »Zoom«. Einen Vorteil von Videokonferenzen sieht Edeleva darin, dass schnell und einfach externe Fachleute zugeschaltet werden können, die sonst nur schriftliches Feedback geben würden. An diesem Freitag ist zum Beispiel Prof. Dr. Karen Schramm aus Wien mit dabei.

Julia Edeleva ist überzeugt, dass es aufgrund dieser positiven Erfahrung in Zukunft leichter fallen wird, auch mit weit entfernten Projektpartnern zu kooperieren. Selbst wenn die Corona-Einschränkungen vollständig aufgehoben sind, wird ein Teil der digitalen Forschungsarbeit bleiben. Und dennoch: Das gesamte Team kann es kaum erwarten, die Kolleginnen und Kollegen endlich nicht mehr nur auf dem Computerbildschirm zu sehen. Und wenn demnächst die Teilnehmenden der Alphabetisierungskurse getestet werden sollen, werden Reisen unumgänglich – mit dieser Unsicherheit in der Planung muss das Team derzeit leben.


Text: Till Bayer