Am Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) Septomics untersucht Doktorandin Alessandra Marolda für das Projekt BLOODi am 13.11.2017 neutrophile Granulozyten.

Lebensrettende Diagnostik

Die Forschungsgruppe »Angewandte Systembiologie« um Prof. Dr. Marc Thilo Figge wendet KI-Methoden in der biomedizinischen Forschung an.
Am Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) Septomics untersucht Doktorandin Alessandra Marolda für das Projekt BLOODi am 13.11.2017 neutrophile Granulozyten.
Foto: Jan-Peter Kasper (Universität Jena)

Text: Ute Schönfelder


Die Forschungsgruppe »Angewandte Systembiologie« um Prof. Dr. Marc Thilo Figge wendet KI-Methoden in der biomedizinischen Forschung an. Ziel des Teams vom Institut für Mikrobiologie und des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI) ist es, damit Infektionen mit humanpathogenen Pilzen schneller und präziser identifizieren zu können.

Pilzinfektionen sind vor allem für Menschen mit geschwächtem Immunsystem ein lebensgefährliches Risiko. Sie werden meistens von Schimmelpilzen wie Aspergillus fumigatus und Hefepilzen wie Candida albicans verursacht. Diese Mikroorganismen kommen praktisch überall in der Umwelt vor und auch der menschliche Körper ist von ihnen besiedelt. Ein intaktes Immunsystem hält das Wachstum der Pilze auf und im menschlichen Körper in der Regel gut in Schach. Ist die Immunabwehr aber geschwächt, etwa durch eine Erkrankung oder durch die Einnahme von Immunsuppressiva, dann können sich die Erreger ausbreiten und zu einer lebensbedrohlichen Sepsis führen.

Das Problem bisher: »Blutinfektionen beispielsweise durch Candida-Arten sind nur schwer und langwierig zu diagnostizieren, was die Therapie- und letztlich die Überlebenschancen der Patientinnen und Patienten einschränkt«, sagt Prof. Figge. Eine präzise und vor allem rasche Diagnose könne im Falle von invasiven Pilzinfektionen buchstäblich Leben retten.

Und hier kommen KI-Methoden ins Spiel: Mittels künstlicher neuronaler Netze analysieren die Forschenden sowohl mikroskopische Bilder als auch Videodaten von Vollblut-Proben. Zwar sind die in kleiner Zahl vorkommenden Erreger selbst im Blut von Patientinnen und Patienten nicht direkt beobachtbar – ihre Interaktionen mit den in großer Zahl vorkommenden Blutzellen aber schon. So zeigen gezielt aus dem Vollblut isolierbare Zellen des Immunsystems, die sogenannten »Neutrophilen«, eine charakteristische dynamische Veränderung ihrer äußeren Gestalt, nachdem sie Kontakt mit den Pilz-Erregern hatten.

Morphodynamik eines »Neutrophilen« nach Infektion mit Candida im Vollblut. Diese Zellen weisen eine dynamische Veränderung ihrer Morphologie auf, nachdem sie Kontakt mit Candida-Erregern hatten. Diese Morphodynamik zeigt charakteristische Unterschiede für die verschiedenen Arten Candida albicans und Candida glabrata, die mittels KI zur Unterscheidung der Erreger einer Blutinfektion genutzt werden können. Hier zu sehen ist die morphologische Veränderung von ein und demselben »Neutrophilen« über einen Zeitraum von zwei Minuten (von links nach rechts).

Abbildung: AG Figge

»Dieses sich zeitlich verändernde Erscheinungsbild – wir nennen das die Morphodynamik von Neutrophilen – ist ein Indikator dafür, dass eine Infektion vorliegt«, verdeutlich Figge. Was bislang ganz klassisch – per menschlichem Auge – analysiert wurde, funktioniert inzwischen auch automatisch mit KI-Unterstützung. Mit einhundert-prozentiger Genauigkeit könnten Vollblut-Proben ohne Erreger von solchen mit Erregern unterschieden werden, sagt Figge. Doch nicht nur das. »Sogar zwei eng miteinander verwandte Pilzerreger wie Candida albicans und Candida glabrata kann die KI sicher unterscheiden.« Und dies nicht nur schneller, sondern auch präziser, als es Menschen können.

Es kommen verschiedene neuronale Netze zum Einsatz, wie Faltungsnetze für die Analyse individueller Mikroskopiebilder oder Transformer-basierte Netze für Videodaten, welche jeweils von aus dem Vollblut isolierten Neutrophilen trainiert werden.

»Inhärent undurchsichtige Blackboxes«

So überaus erfolgreich KI-Methoden in diesem Bereich bereits angewendet werden, das Forschungsteam um Prof. Figge sieht die künstlichen neuronalen Netze und ihren wachsenden Einsatz auch kritisch: »Es hat den unbefriedigenden Beigeschmack, dass diese Werkzeuge inhärent undurchsichtige Blackboxes sind«, erklärt er. Erkenntnisse über die Merkmale, auf denen Entscheidungsprozesse künstlicher neuronaler Netze beruhen, blieben verborgen. »Dieser Mangel an Transparenz gibt durchaus Anlass zur Sorge, insbesondere bei kritischen Anwendungen in der biomedizinischen Forschung, wo KI-basierte Entscheidungen in der Diagnostik Auswirkungen auf die Behandlung von Menschen haben.«

In Zukunft, so Figge, müssten sich Forschende vermehrt auf die Entwicklung von Methoden zur Verbesserung der Interpretierbarkeit von KI-Methoden konzentrieren, um ein Gleichgewicht zwischen der Komplexität fortschrittlicher Algorithmen und der Notwendigkeit von Transparenz und Verantwortlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu schaffen.