Um die chemische »Sprache« zu entschlüsseln, mit der sich Mikroorganismen im Wasser verständigen, sammelt die Crew des französischen Forschungsseglers »Tara« noch bis Mitte 2024 Tausende Wasserproben an den Küsten Europas. Für einen Teil der Reise war die Doktorandin Maïa Henry von der Uni Jena mit an Bord.
Text: Ute Schönfelder
Kleine Wesen mit großer Bedeutung
Mikroplankton, im Wasser driftende Kleinstlebewesen wie Bakterien und Mikroalgen, spielen eine enorme Rolle für den Planeten. Nicht nur, dass sie einen erheblichen Teil des globalen Sauerstoffs bilden. Sie stellen auch das Baumaterial für Riffe und Küsten und bilden als Teil der Nahrungskette die Lebensgrundlage für Meerestiere und damit die Wirtschaftsgrundlage der Fischerei.
Seit April 2023 nimmt ein internationales Forschungsteam eine gigantische Bestandsaufnahme vor: Entlang von mehr als 25 000 Kilometern europäischer Küsten sammeln Forschende Wasserproben an Bord des Schoners »Tara«. Parallel zur Segelroute werden an Land Proben aus Flachgewässern und dem Boden entnommen. Die Expedition »TREC – Traversing European Coastlines«Externer Link hat das Ziel, sämtliche Lebensformen im Wasser, in den Sedimenten, im Boden und in der Luft entlang der europäischen Küsten zu kartieren, um ein tiefes Verständnis der Wechselwirkungen und biologischen Funktionen zwischen Arten und Ökosystemen zu gewinnen. Außerdem sollen die Auswirkungen chemischer Schadstoffe sowie des Klimawandels auf die biologische Vielfalt im Wasser untersucht werden.
Die Expedition wird vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Zusammenarbeit mit mehr als 70 wissenschaftlichen Einrichtungen koordiniert. Rund 150 Forschende aus rund 30 Ländern sind beteiligt. Von der Universität Jena ist Prof. Dr. Georg Pohnert als Projektleiter im Forschungsteam.
Seekrankheit und Schichtarbeit
Mit an Bord der »Tara« war auch die Nachwuchswissenschaftlerin Maïa Henry. Die 24-Jährige arbeitet an ihrer Doktorarbeit im Team von Prof. Dr. Georg Pohnert im Exzellenzcluster »Balance of the Microverse« und erforscht den Metabolismus von marinen Kleinstlebewesen, indem sie die chemischen Substanzen analysiert, die die Mikroorganismen unter bestimmten Umweltbedingungen ins Wasser abgeben.
Sie hat während zwei Etappen als Teil der Wissenschaftscrew der »Tara« gearbeitet – von Oostende in Belgien bis Aarhus in Dänemark und von Galway in Irland bis Bilbao in Spanien. Während der insgesamt zwei Monate hieß das für Maïa Henry, wie für alle anderen der 14 Personen an Bord, täglicher Schichtdienst und das nicht nur als Wissenschaftlerin: Zwischen dem Sammeln und Aufbereiten von Wasserproben bringt das Team seine Forschung Schulklassen und der Öffentlichkeit näher und ist auch für die Hausarbeit zuständig – vom Geschirrspülen bis zum Halten der Nachtwache.
Gearbeitet wird an Bord der »Tara« rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Dabei richtet sich der Schichtplan an den Gezeiten aus, manchmal beginnt eine Schicht morgens um 8 Uhr, manchmal schon morgens um 4 Uhr. Seekrankheit, wie sie auch für Maïa Henry, die zuvor keinerlei Segelerfahrung hatte, ein Thema war, ist übrigens keine Entschuldigung. An Bord wird jede Hand gebraucht.
Untergetaucht
Die »Rosette« ist ein Tauchgerät, das Wasserproben aus unterschiedlichen Tiefen sammeln kann. Es ist mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, die gleichzeitig Parameter wie Salz- und Sauerstoffgehalt, Druck und Temperatur messen.
Neben der »Rosette« verfügt das Segelschiff über unterschiedliche Netze: ein sogenanntes »Manta-Netz«, das an der Oberfläche treibende Objekte wie Plastikmüll einfängt und Planktonnetze, die aus bis zu 700 Metern Tiefe Wasser und kleine Organismen an die Oberfläche holen können. Durch die Wahl der Maschengröße können die Netze unterschiedliche Planktonbestandteile selektieren. Darüber hinaus werden auch Wasserproben von der Oberfläche und Aerosole über dem Meer gesammelt, die ebenfalls Bakterien und Viren enthalten können.
Noch an Bord werden die Wasserproben aufbereitet. Sie werden in mehreren Schritten durch Filterkartuschen gepumpt und dabei die darin befindlichen Organismen und Substanzen aufkonzentriert. Anschließend werden die Proben bei minus 20° Celsius eingefroren und in die beteiligten Labors an Land transportiert.
Chemische Spurensuche im Labor
Zurück im heimischen Labor werden die Tausenden Proben weiter bearbeitet, die nun extrahiert und konzentriert werden müssen. Anschließend werden sie mittels Flüssigchromatographie-Massenspektrometrie analysiert. Jede Probe durchläuft zunächst eine Säule, in der die einzelnen Bestandteile in Abhängigkeit von ihrer Wechselwirkung mit dem Säulenmaterial getrennt werden. Danach werden die chemischen Verbindungen in das Massenspektrometer geleitet, wo sie ionisiert und abhängig von ihrem Masse-Ladungs-Verhältnis analysiert werden. Die erhaltenen Massenspektren werden mit Datenbanken abgeglichen und ermöglichen so die Identifizierung der chemischen Verbindungen in der ursprünglichen Probe.
Das Team interessiert sich besonders für Stoffwechselprodukte, die von Meeresmikroben produziert werden und sie gegen bestimmte Stressfaktoren resistent machen. Ein Beispiel ist das Molekül »Ektoin«, ein sogenannter Osmolyt, der einige Planktonarten vor Umweltbelastungen wie Temperaturschwankungen oder hohem Salzgehalt im Wasser schützt.
Die Daten über die chemische Zusammensetzung der Planktongemeinschaften werden mit den Erkenntnissen aus den anderen Forschungsgruppen zu einer Meereskarte der Mikroorganismen und ihrer Chemie zusammengesetzt. Sie wird die Grundlage für ein besseres Verständnis mikrobieller Dynamiken in den Ozeanen bilden.