Prof. Dr. Christoph Demmerling

Ohne Bewusstsein und Vernunft

KI ist ein Werkzeug und greift nicht nach der »Weltherrschaft«.
Prof. Dr. Christoph Demmerling
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

KI ist ein mächtiges und immer mächtiger werdendes Werkzeug. Doch über diesen Status wird sie nach Ansicht des Philosophen Prof. Dr. Christoph Demmerling nicht hinauskommen. Warum die Übernahme der »Weltherrschaft« durch KI nicht zu befürchten ist und dass dieses Szenario vor allem etwas über tiefsitzende menschliche Ängste aussagt, erklärt er im Gespräch mit unserem Autor.

Text: Stephan Laudien


Es gibt Dinge, die lassen sich schwer beschreiben. Etwa das Gefühl, in einen reifen Pfirsich zu beißen, das faserige Fruchtfleisch zu schmecken und den Saft zu spüren, der die Mundwinkel hinabrinnt. Und obwohl sich dieses Empfinden nur schwer in Worte fassen lässt, werden sicherlich die meisten Menschen diese oder eine ähnliche Erfahrung abrufen können.

»Eine Künstliche Intelligenz hingegen kann vielleicht die Inhaltsstoffe des Pfirsichs bestimmen, doch den Genuss wird sie niemals nachempfinden können«, ist Prof. Dr. Christoph Demmerling überzeugt. Denn Geschmackserfahrungen setzen Bewusstsein voraus, über welches künstliche Systeme nicht verfügen. Der Philosoph von der Universität Jena kann die aktuell weit verbreitete KI-Euphorie nicht teilen. »KI ist ein Werkzeug, so wie eine Säge, ein Auto oder ein Taschenrechner Werkzeuge sind.«

Ein Werkzeug, das auch missbraucht werden kann

Im Vergleich zu Hammer oder Säge sehe er höchstens graduelle Unterschiede, keine qualitativen. Es komme darauf an, wie Menschen diese Werkzeuge nutzen. Das schließe die missbräuchliche Verwendung mit ein, etwa das Erstellen und Verbreiten von Deepfakes im Internet. Natürlich seien Fälschungen mit Hilfe von KI heute einfacher, aber Fälschungen habe es schon immer gegeben, in Zeiten von KI erfordere das Erkennen von Fälschungen einfach mehr Aufmerksamkeit.

Christoph Demmerling sieht mit Blick auf Künstliche Intelligenz eher andere Gefahren. Wer sich beispielsweise stets auf sein Navigationssystem verlasse, sei buchstäblich verlassen, wenn die Technik einmal ausfällt. Als nicht unproblematisch sieht er auch KI-Anwendungen in der Verwaltung. Sie könnten zwar durchaus Vorgänge beschleunigen und vereinfachen, stießen jedoch an ihre Grenzen, wenn Sonderfälle auftreten, die »mit Augenmaß« behandelt werden müssten. Und das erfordere eigene menschliche Urteilskraft. »Datengestützte KI-Tools können dem Menschen zuarbeiten, zu eigenständigen bürokratischen oder gar wissenschaftlichen Leistungen sind sie jedoch nicht in der Lage.«

Vielfältige Verbindung zur Welt

Im vergangenen Jahr sorgte die Forderung nach einem Moratorium für KI-Modelle für Schlagzeilen: Es solle eine Pause in deren Entwicklung eingelegt werden, um die potenziellen Gefahren zu diskutieren.

Übernimmt KI eines Tages die Weltherrschaft? Christoph Demmerling schmunzelt. Solche Vorstellungen seien Ausdruck tiefsitzender menschlicher Ängste nach dem Muster von Goethes »Zauberlehrling«, in dem sich das Werkzeug gegen seinen Meister wendet. Eine solche Umkehrung der Verhältnisse von Mensch und Maschine würde jedoch voraussetzen, dass der Maschine etwas wichtig ist, sie von etwas betroffen wird und relevante Zusammenhänge herstellen kann. All das könnten Maschinen nicht, die über kein Bewusstsein verfügen. »Ein solches Bewusstsein lässt sich nicht künstlich erschaffen, weil es vielfältige, auch emotionale Verbindungen zur Welt voraussetzt«, sagt Christoph Demmerling.

Ebenso wenig könne KI vernünftige Entscheidungen treffen, weil allein der Zugriff auf große Datenmengen dazu nicht ausreiche, sondern man die für eine Situation relevanten Zusammenhänge erkennen müsse. »Das«, so Demmerling, »geht nicht ohne Bewusstsein und Gefühle.« Man muss ein Gespür für dasjenige besitzen, das wichtig ist.