Generative KI-Tools erobern derzeit viele Bereiche der Gesellschaft. Der Einsatz von Verfahren des Maschinellen Lernens in großen künstlichen neuronalen Netzen verspricht einerseits wissenschaftliche Fortschritte, stellt Forschende und Lehrende an den Universitäten aber andererseits auch vor Herausforderungen. Wie sich die Universität Jena dazu positioniert und wie Jenaer Forschende zur Weiterentwicklung von KI-Verfahren im Rahmen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur beitragen, darüber spricht der Vizepräsident für Digitalisierung der Universität Jena, Prof. Dr. Christoph Steinbeck, im Interview.
Interview: Ute Schönfelder
Die Universität Jena verfolgt eine umfassende Digitalisierungsstrategie. Welche Rolle spielt KI dabei?
Es geht um eine ganzheitliche digitale Transformation der Universität. Wir gehen diesen Prozess mit drei Teilstrategien an: die Digitalisierung von Studium und Lehre, von Forschung und Bibliothek sowie von Verwaltung und Infrastruktur.
Und in allen drei Bereichen geht es auch um Anwendungen von KI. Das reicht von Entwicklungen im Bereich Forschungsdatenmanagement und Forschungsdateninfrastruktur über die Nutzung von KI-Tools in Studium und Lehre bis hin zu KI-Anwendungen in der Verwaltung, die Mitarbeitende unterstützen können, effizient und zügig Fragen zu beantworten oder Informationen bereitzustellen.
Wie verändert KI die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern?
KI ist zweifellos eine der »disruptiven« Technologien, die unsere Gesellschaft – und nicht nur die Wissenschaft – verändern. Was mit KI gemeint ist, ist natürlich sehr im Fluss. In der Forschung ist KI bereits seit mehreren Jahrzehnten ein Thema und mittlerweile weit verbreitet, etwa mit Anwendungen des Maschinellen Lernens. Schon in den 1990er Jahren konnte man Algorithmen mit kleinen künstlichen neuronalen Netzen trainieren, die ganz spezielle Probleme lösen konnten. Seit einigen Jahren nun sind wir in der Lage, extrem große künstliche neuronale Netze zu trainieren, zum Beispiel Large Language Models wie ChatGPT, die jetzt so viele Menschen begeistern.
Allerdings stehen wir in der Forschung auch vor Herausforderungen durch KI: Denn die Tools zum Maschinellen Lernen arbeiten nur so gut, wie die Daten sind, mit denen sie trainiert werden. Und nicht für alle Forschungsbereiche gibt es bereits genügend solcher Trainingsdaten. Nur wenn die Algorithmen mit sehr großen Datenmengen trainiert sind, können sie das Versprechen von Big Data Analysis einlösen. Wenn das nicht der Fall ist, liefern diese Tools oftmals nur scheinbar sinnvolle Resultate. Auf der anderen Seite sehen wir vor allem dort große wissenschaftliche Durchbrüche mit KI, wo diese großen Datenmengen zur Verfügung stehen.
Solche Datensammlungen aufzubauen, ist das Ziel der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI). Inwieweit sind Forschende der Uni Jena daran beteiligt?
Die NFDI wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und aufgebaut. Damit sollen sämtliche Datenbestände aus Wissenschaft und Forschung für das gesamte deutsche Wissenschaftssystem systematisch erschlossen werden. Das heißt, Daten, die bislang dezentral, projektbezogen oder auf Zeit verfügbar waren, werden gebündelt und vernetzt und so nachhaltig und für vielfältige Fragestellungen nutzbar gemacht.
Es gibt mittlerweile 26 unterschiedliche NFDI-Konsortien bundesweit, die sich jeweils auf ein Forschungsgebiet fokussieren. Und an etlichen dieser Konsortien sind auch Forschende der Uni Jena beteiligt, etwa in den Bereichen Biodiversität, Geowissenschaften, Mikrobiologie, Geschichtswissenschaften und nicht zuletzt in meinem Fach, der Chemie. Den entsprechenden Verbund »NFDI4Chem« leite ich selbst mit meinem Kollegen Oliver Koepler vom Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften in Hannover.
Nutzen Sie KI auch für Ihre eigene Forschung?
Ja, schon in den 1990er Jahren haben mein Team und ich Maschinelles Lernen verwendet, um aus chemischen Strukturen Kernresonanzspektren vorhersagen zu können. Solche Methoden kann man dann verwenden, um die Strukturen bisher unbekannter Substanzen aufzuklären. Allerdings konnten und können wir Algorithmen dafür auch erst mit einer begrenzten Menge an Daten trainieren. Denn auch für diesen Bereich liegen einfach noch nicht die großen Datensammlungen vor. Die erhoffen wir uns nicht zuletzt aus der NFDI.
So richtig Spaß machen uns aktuell unsere Arbeiten, in denen wir Deep Learning verwenden, um chemische Strukturformeln aus Fachpublikationen automatisch in maschinenlesbaren Code übersetzen zu lassen. Damit entdecken wir »altes Wissen« in den Publikationen der Vergangenheit und machen es in offenen Datenbanken für die Wissenschaft verfügbar (Vom Spielbrett zum chemischen KI-Werkzeug).
Mittlerweile spielt KI nicht mehr nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre eine Rolle. 2023 ist eine Arbeitsgruppe »KI in der Lehre« an unserer Universität gegründet worden. Wie setzt sich diese zusammen?
Das war eine Initiative der Akademie für Lehrentwicklung (ALe), als deutlich wurde, dass wir mit dem Auftauchen von generativen KI-Tools, die sowohl von Lehrenden als auch Studierenden mehr und mehr genutzt werden, Handreichungen für den Umgang damit brauchen. Die Arbeitsgruppe setzt sich aus Mitgliedern der ALe zusammen, aber auch aus Vertreterinnen und Vertretern der Fakultäten, der Studierenden, des Vizepräsidiums für Studium und Lehre, der Servicestelle LehreLernen, des Michael-Stifel-Zentrums, des Multimediazentrums, des Rechtsamtes und des Studierendendezernats. Ich selbst als Vizepräsident für Digitalisierung habe den Vorsitz der Arbeitsgruppe inne.
Welche Themen bearbeitet die Gruppe?
Ganz generell machen wir uns Gedanken darüber, wie sich KI-Werkzeuge wie ChatGPT oder Dall-E in der Lehre und beim Lernen nutzen lassen und wie wir das Wissen um solche Anwendungen in den Curricula verankern können. Daneben geht es aber vor allem um sehr konkrete Fragestellungen. So war unser erstes Thema beispielsweise die Anpassung der Eigenständigkeitserklärung, die Studierende routinemäßig zusammen mit ihren Abschlussarbeiten abgeben müssen. In dieser Erklärung bestätigen die Studierenden, dass sie die Arbeit eigenständig und nur mit den erlaubten Hilfsmitteln angefertigt haben. Und mit dem Aufkommen der zahlreichen KI-Tools stellte sich die Frage, wie damit umzugehen ist.
Welchen generellen Regulierungsbedarf sieht die Uni-Leitung denn hinsichtlich KI-Anwendungen in der Lehre?
Wir haben uns als Universitätsleitung entschlossen, die Nutzung von KI möglichst wenig zu regulieren und einen positiven, ermöglichenden Standpunkt einzunehmen. Das heißt, wir wollen keine restriktive Politik machen, sondern Lehrende und Studierende unterstützen, diese Tools einzusetzen. Das bedeutet auch, dass Lehrende selbst entscheiden können, inwieweit sie die Nutzung von KI-Tools etwa bei der Anfertigung von Abschlussarbeiten von Studierenden erlauben wollen.
In der Arbeitsgruppe »KI in der Lehre« haben wir dafür zum Beispiel ein interaktives Formular entwickelt, aus dem die Lehrenden ein für sie passendes Regularium erstellen können, und die Erklärung der Studierenden daran anpassen. In der Konsequenz bedeutet das natürlich, dass Betrug und Betrugsversuche auch weiterhin sanktioniert werden.