Statt verstaubter Aktenstapel effiziente digitale Prozesse – das ist das Ziel, das Informatikerinnen und Informatiker gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Wirtschaft verfolgen.

Digitale Baukästen für die Verwaltung

Nachhaltige digitale Verwaltungsstrukturen mittels KI
Statt verstaubter Aktenstapel effiziente digitale Prozesse – das ist das Ziel, das Informatikerinnen und Informatiker gemeinsam mit Partnern aus Forschung und Wirtschaft verfolgen.
Illustration: Midjourney

Der Weg zum digitalen Staat ist lang und steinig, das haben bereits einige Bundesregierungen, die sich große Ziele im Bereich Verwaltungsdigitalisierung gesetzt haben, erfahren müssen. Eine Arbeitsgruppe an der Friedrich-Schiller-Universität entwickelt derzeit nachhaltige digitale Verwaltungsstrukturen und greift dabei auch auf Künstliche Intelligenz zurück.

Text: Sebastian Hollstein

Marianne Mauch leitet die Arbeitsgruppe »Offenes Design digitaler Verwaltungsarchitekturen« an der Uni Jena und koordiniert mehrere Projekte zur Digitalisierung von Verwaltungsprozessen – dicke Ordner aus Papier gehören dann der Vergangenheit an.

Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Digitalisierung von Verwaltung bedeutet unkomplizierte und effiziente Verfahren für alle Beteiligten: Bürgerinnen und Bürger sollen bequem von Zuhause aus den Personalausweis beantragen oder online etwa ihren Wohnsitz nach einem Umzug ummelden können.

Die Ämter sollen die dabei eingegangenen Daten digital verarbeiten können, ohne ausgedruckte Formulare bewegen zu müssen. Dafür braucht es Systeme, die für beide Seiten einfach zu verstehen sind und langfristig funktionieren.

Im Rahmen dreier Projekte entwickeln Informatikerinnen und Informatiker der Universität Jena gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Stadtverwaltung Jena, vom Institut für Datenwissenschaften des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Jena, von der Universität Bielefeld, vom Thüringer Finanzministerium und weiteren Partnern aus Forschung und Wirtschaft solche nachhaltigen Strukturen.

»Wir wollen den kompletten Pfad vom Gesetz zur digitalisierten Leistung abbilden und nutzbar machen«, sagt Marianne Mauch, die Leiterin der Arbeitsgruppe »Offenes Design digitaler Verwaltungsarchitekturen«. »Und am Anfang einer jeden neuen Regelung steht dabei der Gesetzestext.«

Im Projekt »Computerunterstützte Analyse elektronisch verfügbarer Rechtsnormen « – kurz: »Canarėno« – entwickeln die Expertinnen und Experten aus der Informatik und der Computerlinguistik ein System, das alle wichtigen Informationen im Text automatisiert herausliest und zuordnet. Ziel ist eine mit entsprechenden Daten trainierte KI, die selbstständig im Gesetzestext identifiziert, welcher Hauptakteur – in der Regel ein Amt – eine Verwaltungsleistung erbringt, wer diese in Anspruch nehmen kann und was der- oder diejenige dafür tun muss.

Die Kategorisierung für die Begriffe in den Rechtsnormen orientiert sich am bundesweiten Standard des Föderalen Informationsmanagements – ein Projekt des Bundes und der Länder, das Verwaltungsleistungen möglichst bundesweit vereinheitlichen will.

»Auf diese Weise wollen wir automatisch alle Datenfelder herausfiltern, die ein digitales Antragsformular benötigt, und welche Unterlagen vorliegen müssen«, erklärt Marianne Mauch. »Ämter können so neue Verwaltungsleistungen schneller zur Verfügung stellen, flexibler auf Änderungen bereits bestehender Rechtsnormen reagieren und sowohl Formulare als auch Informationsmaterialien entwerfen und anpassen. Das spart Zeit und Geld.«

Einfach nutzbar durch Baukastensysteme

Um solche Systeme unkompliziert einsetzen zu können, ist es wichtig, dass die zugrundeliegenden Technologien einfach handhabbar sind. Deshalb konzentriert sich das Jenaer Team im Projekt »simpLEX: Vereinfachung der Erstellung und Verarbeitung elektronischer Dokumente durch Zuhilfenahme maschinenlesbarer Normentexte und Dokumentenbausteine« darauf, digitale Bearbeitungsprozesse vom Text bis zur Leistung so einfach und nachhaltig wie möglich zu beschreiben. Dazu greifen die Informatikerinnen und Informatiker bei der Entwicklung eines Vorschlages für eine Referenzarchitektur auf sogenannte No-Code- bzw. Low-Code-Plattformen zurück – also Software, die Programmieren mittels visueller Diagramme in einer Art Baukastensystem ermöglicht.

»Die Fachleute in der Verwaltung können sich so auf die rechtlichen Verfahrensweisen und die amtlichen Prozesse konzentrieren und müssen nicht Programmiersprachen beherrschen, wenn sie in den digitalisierten Systemen Änderungen vornehmen wollen«, erklärt die Arbeitsgruppenleiterin. Zudem nutzen die Forschenden offen strukturierte, auf Open-Source-Anwendungen basierende Systeme und integrieren in diese offene Standards und für Maschinen interpretierbares Wissen. Kleinere Firmen und Start-ups können die Ergebnisse so für sich nutzen, was verhindert, dass öffentliche Einrichtungen im Rahmen digitaler Verwaltungsstrukturen von einzelnen Anbietern abhängig werden.

Gemeinsam mit der Stadtverwaltung Jena und der betterlaw Knowledge Tools Automation GmbH erproben die Expertinnen und Experten bereits den Prototyp eines solchen Verwaltungsprozesses für einen konkreten Bürgergeldfall. Um dieses System, das als Basis für die Forschung an nachhaltigen und intelligenten Services genutzt wird, dauerhaft zu nutzen und auf andere Anwendungsbereiche auszuweiten, müssen weitere Fragen beantwortet werden – etwa die, wie es sich in vorhandene Systeme integrieren lässt.

Wissenschaft und Verwaltung greifen ineinander

Um die Strukturen langfristig mit Basiswissen zu unterfüttern, arbeitet das Jenaer Team parallel an einem digitalen Verwaltungswörterbuch. »Wir wollen eine deutschlandweite Plattform aufbauen, auf der Informationen jederzeit abrufbar sind und die in eine Vielzahl von Systemen integrierbar ist«, erklärt Marianne Mauch das Vorhaben.

Die Daten sind hierbei in Form von Wissensgraphen gespeichert – ein Modell, das nicht nur eine eindeutige Definition einer Sache festhält, sondern auch Beziehungen untereinander herstellt und das auf eine Art und Weise, die es auch Maschinen erlaubt, diese zu interpretieren und daraus Schlüsse zu ziehen. So lässt sich zum Beispiel die Zuständigkeit verschiedener Ämter für einen Verwaltungsakt schnell klären. »Genau solche Datenschätze sind die Grundlage für KI«, hebt sie hervor.

Hier bewegen sich die Projekte nah an aktueller Forschung, womit sich auch die Beheimatung der Arbeitsgruppe an der Heinz-Nixdorf-Professur von Prof. Dr. Birgitta König-Ries und dem Kompetenzzentrum Digitale Forschung der Universität Jena erklärt.

Dessen Leiter, Dr. Frank Löffler, unterstreicht gerade hier die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Verwaltung: »Dank der intensiven Zusammenarbeit von Verwaltungsfachleuten aus ganz Deutschland und Europa wird die von uns entwickelte Plattform nicht nur der Forschung dienen, sondern vor allem eine offene, transparente Wissensquelle über Behörden und deren interne Abläufe und Schnittstellen schaffen.« Marianne Mauch ergänzt: »Und besonders in der Verwaltung braucht es eine Basis aus verlässlichem Wissen.« Zukünftige Entwicklungen könnten davon nur profitieren.