Prof. Dr. Markus Reichstein und sein Team nutzen KI-Methoden, um aus historischen Klimadaten künftige Wetterereignisse präzise prognostizieren zu können.

Mit KI der Klimakrise begegnen

ELLIS Unit Jena verbessert die Vorhersage von Extremwetterereignissen.
Prof. Dr. Markus Reichstein und sein Team nutzen KI-Methoden, um aus historischen Klimadaten künftige Wetterereignisse präzise prognostizieren zu können.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

In der ELLIS Unit Jena wird unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Reichstein und seinem Kollegen Prof. Dr. Joachim Denzler daran geforscht, Auswirkungen von Extremwetterereignissen mithilfe von KI vorherzusagen. So sollen die davon betroffenen Menschen rechtzeitig gewarnt werden können.

Text: Marco Körner


Damit sich Menschen vor Extremwetterereignissen und deren Folgen rechtzeitig schützen können, müssen diese präzise vorhergesagt werden. Wie Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt werden kann, um sich an diese Auswirkungen der Klimaveränderung anzupassen, das erforscht die Gruppe von Markus Reichstein. Der Professor für globale Geoökologie der Universität Jena ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie und einer der Leiter der ELLIS Unit Jena.

ELLIS, das ist das »European Laboratory for Learning and Intelligent Systems« – ein paneuropäisches Exzellenz-Netzwerk für KI. Der ELLIS Unit Jena gehören seit 2021 mit der Universität, dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie und dem Institut für Datenwissenschaften des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt drei Forschungseinrichtungen an.

»Beim Thema Klimakrise gibt es zwei Aspekte: Klimaschutz auf der einen Seite und Klimaanpassung auf der anderen«, erklärt Prof. Reichstein. Die Notwendigkeit, sich an den Klimawandel anzupassen, sei bereits real, betont er und nennt die zunehmenden Extremwetterereignisse als ein deutliches Indiz dafür.

»Game-Changer« in der Wettervorhersage

In der KI sieht Reichstein dabei einen »Game-Changer«: »Bestimmte Situationen wie Feuer oder lokale Überflutungen sind so komplex, dass sie sich nicht leicht mit physikalischen Modellen vorhersagen lassen. Das können wir aber mit KI prognostizieren«, erklärt er. »KI-Methoden wie Maschinelles Lernen können Muster in historischen Klimadaten erkennen – von Satellitenbildern bis hin zu Temperaturmessungen – und daraus zukünftige Ereignisse mit größerer Genauigkeit abschätzen. Und wir haben nun den Vorteil, dass es recht viele Daten gibt.« Als Beispiel nennt Reichstein Satellitendaten, die für einzelne Regionen etwa Vegetation, Temperatur, Feuchtigkeit und Weiteres über Jahre und Jahrzehnte hinweg abbilden.

»Damit trainieren wir ein künstliches Denkmodell und sagen diesem zum Beispiel, wie diese bestimmte Landschaft aussieht. Daraus lässt sich mithilfe der KI dann zu jeweiligen Wetterlagen prognostizieren, ob und wo es zu Überflutungen, zu Trockenheit oder auch zu Bränden kommen könnte.«

Dass die jeweiligen Auswirkungen des Klimawandels regional sehr unterschiedlich sind, spielt in der Forschung der ELLIS Unit eine wichtige Rolle. »Die regionalen Variationen sind entscheidend, um zu verstehen, wie unterschiedliche Ökosysteme und geografische Gebiete auf Klimaveränderungen reagieren«, sagt der Forscher und illustriert dies anhand eines Beispiels: »Ein paar Monate vor dem großen Niederschlagsereignis im Ahrtal im Juli 2021 sind ähnlich starke Niederschläge in der Uckermark in Norddeutschland gefallen. Doch dort ist relativ wenig passiert. Der Grund sind die sandigen Böden und der weiche Untergrund, das Wasser konnte relativ gemächlich abfließen.«

An diesem Beispiel zeige sich, so erklärt er, wie wenige Faktoren entscheiden können, ob es zur Katastrophe kommt – oder eben nicht. »Und hier stoßen klassische physikalische Modelle an ihre Grenzen, denn letztendlich muss jeder infrage kommende Faktor bekannt sein und berücksichtigt werden.« KIs dagegen erkennen Muster, ohne dass bekannt sein muss, durch welche einzelnen Faktoren diese Muster entstehen. Das liefere oft nicht nur präzisere Ergebnisse, sondern spare auch Rechenaufwand und damit Zeit und Energie.

»Wir trainieren also die KI zunächst mithilfe von Fernerkundungsdaten, beispielweise aus ganz Afrika. Wenn wir uns dann zum Beispiel dafür interessieren, ob es etwa in Ruanda zu Ernteausfällen kommen könnte, dann kann sich die KI Ruanda anschauen. Neben diesen Daten geben wir lokale Informationen dazu, wie den aktuellen Wetterbericht, die Vorhersage für die nächsten Tage oder den Zustand der Vegetation«, führt er aus.

»Auf diese Weise können wir uns jede Wettersituation auf dem Globus anschauen und modellieren, welche Auswirkungen entstehen können, beispielsweise Dürren in Ost-Afrika oder Waldbrände, wie wir sie zuletzt in Kanada erlebt hatten.« Allerdings habe die Datengrundlage aus der Fernerkundung auch ihre Grenzen. »Anhand von Mikrowellendaten lässt sich etwa schlussfolgern, ob die Oberfläche des Bodens feucht ist. Über die Tiefe lässt sich damit aber keine Aussage treffen.«

Die prognostizierten Klimadaten und -risiken müssen jedoch auch angemessen kommuniziert werden, damit die Betroffenen sich schützen können. »Die Ergebnisse und damit gegebenenfalls auch die Warnungen und Verhaltensempfehlungen angemessen an die Betroffenen zu vermitteln, ist wahrscheinlich die Hauptaufgabe dabei«, sagt Reichstein. Dies zeige sich beispielsweise in der Herausforderung, komplexe Daten wie erhöhte Flusspegel und deren mögliche Auswirkungen für ein breites Publikum verständlich zu machen, von der betroffenen Bevölkerung bis zu den zuständigen Behörden.

Komplexe Klimadaten kommunizieren – mit KI

Auch hier spielt KI eine Rolle: »Wir können etwa Prognosen anstellen und verschiedene Szenarien sehr plastisch darstellen«, erklärt Reichstein. »Wir können zum Beispiel mit KI, wie sie auch für die Erzeugung von künstlichen Bildern verwendet wird, anhand von Google Maps oder OpenStreetMap zeigen, wie eine Überflutung in einer Stadt ganz konkret aussehen kann.« Er verdeutlicht, dass ein Unterschied von einem Meter Pegelstand durchaus darüber entscheiden könne, ob ein bestimmtes Haus überflutet wird oder nicht. »Mit KI lässt sich sehr anschaulich zeigen, wer genau von solchen Ereignissen bedroht ist und auch, wie weit das Haus unter Wasser stehen kann«, erklärt er.

Aus der Sicht von Prof. Reichstein gehört daher auch die Vermittlung möglicher Auswirkungen von bevorstehenden Wetterereignissen an die Betroffenen zur Klimaresilienz: »Gerade weil wir möchten, dass die Menschen sich auf konkrete Ereignisse vorbereiten, ist aus meiner Sicht die Kommunikation der Forschungsergebnisse ein wesentlicher Teil der Klimawissenschaft.«