Berthold Delbrück führte an der Universität Jena den Ruhestand für Professoren ein.

Der Meister der Syntax

Berthold Delbrück prägte nicht nur als Forscher die Indogermanistik, sondern als viermaliger Rektor auch die Universität Jena.
Berthold Delbrück führte an der Universität Jena den Ruhestand für Professoren ein.
Foto: UAJ, Bestand FNS Nr. 207/3

Vor 100 Jahren starb Berthold Delbrück. Der Sprachwissenschaftler gilt hierzulande als bedeutender Indogermanist, der mehr als 40 Jahre lang an der Universität Jena forschte und lehrte. Darüber hinaus verließ sich die Universität vier Mal auf sein organisatorisches Talent als Rektor – unter anderem auch im wichtigen Jubiläumsjahr 1908.

Text: Sebastian Hollstein


In seiner letzten Amtszeit als »Prorektor«, was dem heutigen Rektor bzw. Präsidenten entspricht, setzte Berthold Del­brück eine wichtige Neuerung durch, von der sowohl alte als auch junge Wissenschaftler profitierten: Er ermöglichte Jenaer Professoren, sich mit 70 Jahren in den Ruhestand verabschieden zu können und sich nicht bis ins hohe Alter verschleißen zu müssen.

»Das gab wohl vielen die Möglichkeit, bei geistiger Frische von der Stätte der Wirksamkeit abzutreten und bei Kollegen und Hörern ein Gefühl des Bedauerns zu hinterlassen, daß der Schritt eigentlich zu früh erfolge. Denn der Professor, der über gesunde Organe verfügt, altert bei seinem steten Verkehr mit der Jugend und infolge eines Berufs, den er über alles zu lieben pflegt, meist nicht so schnell wie andre Menschen«, schreibt Delbrücks Biograf Eduard Hermann zu dieser Maßnahme, die auch eine Verjüngung des Lehrpersonals bedeutete.

Das Gefühl des Bedauerns dürfte sowohl unter Schülern als auch unter Kollegen sehr groß gewesen sein, als Delbrück selbst fünf Jahre später den Ruhestand antrat. Denn der Sprachforscher hatte als »Meister der Syntax« (Hermann), also der Satzlehre, nicht nur seine noch junge Wissenschaft, die Indogermanistik, bereichert, sondern auch die Universität Jena als Institution.

Geboren 1842 in Putbus auf Rügen als Sohn eines Juristen gelangte Berthold Delbrück nach dem Tod des Vaters 1852 nach Halle/Saale. Dort nahm er 1859 ein Studium der vergleichenden Sprachwissenschaften auf, das er 1861 in Berlin fortführte und ein Jahr später in Halle beendete. Nach dem anschließenden Staatsexamen, einer Tätigkeit als Lehrer sowie einem Forschungsaufenthalt in St. Petersburg, aus dem auch seine Habilitationsschrift hervorging, berief ihn die Universität Jena 1870 zum außerordentlichen – und 1873 zum ordentlichen – Professor des Sanskrit und der vergleichenden Sprachforschung.

Jena war ein Zentrum der jungen Disziplin Indogermanistik

Jena hatte sich bereits früh als Zentrum der noch jungen Indogermanistik etabliert – vor allem dank August Schleicher, der sich von 1857 bis 1868 als erster Linguist intensiv mit der Rekonstruktion einer indogermanischen Ursprache beschäftigte.

Zwei Jahre später übernahm Berthold Delbrück in Jena die Erforschung der indogermanischen Sprachen – und ergänzte sie um einen wichtigen Aspekt: »Er führte nicht nur das bis dahin in der Indogermanistik vorhandene Wissen zusammen, er etablierte auch ein völlig neues Forschungsgebiet, nämlich die Syntax der indogermanischen Sprachen«, schreibt seine Nachfolgerin Rosemarie Lühr 2011. Zuvor hatten seine Kollegen ausschließlich die Formen- und die Lautlehre in den Blick genommen.

Schriften wie seine »Altindische Syntax« und die »Vergleichende Syntax der indogermanischen Sprachen« gelten nach wie vor als Standardwerke. In späteren Jahren widmete er sich vor allem der germanischen Syntax. Außerdem machte Delbrück immer wieder Ausflüge in andere Disziplinen, etwa die Rechtswissenschaft, und er konzentrierte sich neben der Forschung intensiv auf die Lehre.

Der Indogermanist fügte sich mit seiner Präsenz in die Riege wichtiger Gelehrter dieser Zeit in Jena ein. Mit Ernst Haeckel, Rudolf Eucken, Ernst Abbe sowie Eduard Rosenthal stand er in regem Austausch oder war sogar freundschaftlich mit ihnen verbunden. Viele schätzten seine Aufgeschlossenheit und holten sich gern Rat bei ihm. Gleichzeitig war Delbrück nicht frei von antisemitischem Gedankengut, auch wenn er gesetzlich verankerten Antisemitismus ablehnte.

Auch politisch war Delbrück aktiv. Als Bewunderer Bismarcks hatte er sich der Nationalliberalen Partei angeschlossen und war für sie bei der Reichstagswahl 1887 als Kandidat angetreten. Vor allem sein rhetorisches Talent brachte ihn bis in die Stichwahl, die er aber verlor, möglicherweise aufgrund von »Fake News«. Die Konkurrenz hatte das Gerücht in Umlauf gebracht, dass die Liberalen einigen Wahlzetteln als Entscheidungshilfe 20 Pfennig beigelegt hätten.

Zumindest blieben er und sein organisatorisches Talent so der Universität Jena erhalten, der er nach 1878 noch drei weitere Male als Rektor vorstand: in den Wintersemestern 1885 und 1897 sowie im Sommersemester 1908, als man für die Feierlichkeiten zum 350. Gründungsjubiläum eine erfahrene Persönlichkeit benötigte. Neben jenen Feierlichkeiten standen 1908 zudem wichtige Termine wie die Eröffnung des Universitätshauptgebäudes sowie des Phyletischen Museums an. Delbrück erhielt im Zuge der Festivitäten den Ehrenbürgerbrief der Stadt Jena.

Auch nach seiner Emeritierung 1913 setzte er seine wissenschaftliche Tätigkeit fort, veröffentlichte Schriften und hielt bis 1921 noch Vorträge. Doch ein Augenleiden, das ihn viele Jahrzehnte begleitet hatte, erschwerte zunehmend seinen Alltag. Am 3. Januar 1922 schließlich starb Berthold Delbrück in Jena.