Immer häufiger beziehen Forschende Bürgerinnen und Bürger in ihre wissenschaftliche Arbeit ein. Dabei sollen diese jedoch nicht – wie häufig üblich – als Probanden die Forschung unterstützen. Vielmehr wird bei »Citizen Science« gemeinsam geforscht. Auch die Universität Jena lädt zu Mitmachprojekten ein. Hier stellen wir zwei Beispiele vor.
Von: Vivien Busse
»Citizen Science« definiert das Oxford Dictionary als »wissenschaftliche Arbeit, die von Mitgliedern der allgemeinen Öffentlichkeit« ausgeführt wird. Dabei arbeiten diese häufig gemeinsam oder unter Anleitung von professionellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder wissenschaftlichen Einrichtungen. In Deutschland wird dafür auch der Begriff »Bürgerwissenschaft« verwendet. Es sind also Laien, die bei »Citizen Science« beim Erheben, Sammeln, Recherchieren und Auswerten von Forschungsdaten helfen.
Pflanzen beobachten vom Stadtrand bis in die Innenstadt
Die Mitarbeit der breiten Öffentlichkeit hilft aktuell Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Projektes »PflanzeKlimaKultur«. Das Verbundprojekt, an dem u. a. die Universitäten Jena, Halle und Leipzig beteiligt sind, hat zum Ziel, die Phänologie, also die saisonalen Entwicklungsstadien, von heimischen Pflanzen zu beobachten. Denn Pflanzen spiegeln klimatische Veränderungen wider – zum Beispiel wird ihr Lebenszyklus stark von der Temperatur beeinflusst.
Das Jenaer Projektteam hat über Naturschutzorganisationen, Kleingartenvereine, Schulen und über einen Aufruf in der Lokalpresse Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme aufgerufen: Seit März läuft das Projekt: Die Teilnehmenden haben Pflanzenpakete erhalten und in eigenen Beeten angepflanzt. Seitdem beobachten sie ihre Pflanzen – und das Ganze über eine Dauer von zwei Jahren.
Wöchentlich werden die phänologischen Stadien der Pflanzen dokumentiert, z. B. der Austrieb, die erste Blüte und auch die Blattverfärbung. Über eine App werden die Daten in einer Datenbank gesammelt. Zur Erfassung und Dokumentation der benötigten Beobachtungen und Daten stellten die Forschenden zusätzlich Anleitungen zur Verfügung. Parallel zur manuellen Erhebung wurden in allen Beeten Sensoren angebracht, die die Luft- und Bodentemperatur und Bodenfeuchte messen.
Die teilweise privaten und teilweise öffentlichen Beete in Jena sind quer über die Stadt verteilt, vom Stadtrand bis in die Innenstadt. Zwei Modellbeete befinden sich im Botanischen Garten der Universität Jena und auf dem Naturerlebniszentrum am Schottplatz. Erstere werden durch die Arbeitsgruppe Biodiversität der Pflanzen des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Jena betreut, die Betreuung im Naturerlebniszentrum hat der Stadtforst des Kommunalservice Jena übernommen.
Bei den Modellpflanzen handelt es sich um insektenfreundliche und leicht zu kultivierende Wildpflanzen wie Wildtulpen, Kronwicken, Steppen-Salbei und Winterlinge. »Wir haben viele passionierte und engagierte Bürgerinnen und Bürger dabei, auch viele Schulen beteiligen sich am Projekt«, berichtet Prof. Dr. Christine Römermann, Projektleiterin des Projektteils in Jena. »Sie möchten einen Beitrag zur Klimafolgenforschung leisten.« Auch die Umweltbildung spiele eine Rolle, so Römermann. Eine Schule habe gleich zwei Beete mit ganz unterschiedlichen Umweltbedingungen angelegt, um auch im Kleinen Unterschiede beobachten zu können.
In Bürgerdialogen erfolgt parallel zur Datenerhebung ein Austausch mit den Forschenden und gemeinsam werden Konzepte für Naturschutz und Klimaanpassung erarbeitet. Mit Hilfe der gesammelten Daten wollen die Forschenden den Einfluss des Mikroklimas auf die Entwicklung von Pflanzen erfassen, der insbesondere in Städten groß ist.
Die Forschenden nutzen die Daten zudem im Forschungsprojekt »PhenObs«, welches die Phänologie an über 200 Pflanzen in Botanischen Gärten weltweit dokumentiert. Der Vergleich der Auswertung gibt Aufschluss über den Einfluss des Makro- im Vergleich zum Mikroklima.
Perspektiven der Geschichte
Eine andere Art der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Öffentlichkeit plant derzeit die Masterstudentin Emilia Henkel. Während die Studentin der Geschichte und Politik des 20. Jahrhunderts an ihrer Masterarbeit schrieb, stellte sie sich die Frage, wer eigentlich dazu berechtigt ist, historische Geschichten aufzuschreiben oder zu erzählen. »Wie verändert sich die Geschichte durch die individuelle Biografie des Erzählers oder der Forscherin? Was sehen wir in Quellen und was bleibt uns verborgen, das anderen auffällt?« Am Beispiel der ersten Thüringer Asylunterkunft bei Tambach-Dietharz will sie diesen Fragen auf den Grund gehen – gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern.
»Mich interessieren vor allem die unterschiedlichen Sichtweisen auf die damaligen Ereignisse von Betroffenen: den ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern des Asylheims sowie des benachbarten Ortes, Menschen, die in anderen Zeiten und an anderen Orten Erfahrungen mit Flucht und Massenunterbringung gemacht haben, Historikerinnen und Historiker sowie Menschen, die nicht vom Fach sind«, so die Studentin. Um an ihre Gesprächspartnerinnen und -partner zu gelangen, nutzt sie ihre Kontakte aus vorherigen Arbeiten und aus ihren Recherchen. Vor allem über Vereine will Emilia Henkel Teilnehmerinnen und Teilnehmer für ihr Projekt gewinnen, etwa den Verein Camp Impact e. V., der in den Gebäuden der ehemaligen Asylunterkunft christliche Kinderfreizeiten anbietet.
Im Herbst sollen zudem junge Menschen mit migrantischer Geschichte und ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner der Asylunterkunft eingeladen werden. Emilia Henkel hofft, dass durch die Auseinandersetzung mit dem historischen Ort spannende, die Generationen übergreifende Gespräche entstehen werden.
Ziel des Projektes ist es, herauszufinden, welchen Einfluss eigene Erfahrungen und persönliche Hintergründe auf die Interpretation und das Verständnis von geschichtlichen Quellen haben. Dafür nutzt sie verschiedene Textquellen, die die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger interpretieren sollen. Diese Quellen, etwa ein Protestbrief ehemaliger Bewohnerinnen und Bewohner der Asylunterkunft und ein Lokalzeitungsartikel, werden in den historischen Kontext der Asylunterkunft eingeordnet, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projektes erfahren, zu welcher Zeit und unter welchen Umständen die Texte entstanden.
Zur Interpretation der Quellen geben Henkel und ihr Team den Beteiligten einige Fragen an die Hand, die zum Nachdenken über die Inhalte anregen. In gemeinsamen Workshops soll anhand der Fragen ein Austausch entstehen.
Wer nicht an den Workshops teilnimmt, kann die Quellen, Hintergrundinfos und die bereits im Projektverlauf gesammelten Interpretationen auf einer Webseite einsehen. Dort ermöglicht die Kommentarfunktion, auch von zu Hause neue Perspektiven hinzuzufügen. »Über die Webseite möchte ich die Öffentlichkeit einladen, über den von persönlichen Erfahrungen geprägten Entstehungskontext von geschichtswissenschaftlichem Wissen nachzudenken und auch nach den Lücken zu suchen. Die Asylunterkunft bei Tambach-Dietharz eignet sich hervorragend, um etwa zu hinterfragen, was verloren geht, wenn die Geschichte von einer weißen, deutschen Studierenden geschrieben wird und nicht von einer Person mit Fluchterfahrung.«