Testkassetten mehrerer COVID19-Antigen-Schnelltests.

Gemeinschaftsgefühl verbessert Akzeptanz

Studie zur Corona-Pandemie zeigt, dass sich nationale Identifikation positiv auf die Bereitschaft auswirkt, Einschränkungen zu akzeptieren
Testkassetten mehrerer COVID19-Antigen-Schnelltests.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Psychologinnen und Psychologen haben im Rahmen eines internationalen Forschungsnetzwerks die Akzeptanz von Corona-Maßnahmen weltweit untersucht. Sie fanden dabei heraus, dass sich eine hohe nationale Identifikation positiv auf die Bereitschaft auswirkt, einschränkende Regeln zu akzeptieren. Offenbar motiviert ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl mit den eigenen Landsleuten Menschen dazu, sich für die öffentliche Gesundheit zu engagieren. Für die Studie wurden mehr als 50 000 Personen in 67 Staaten befragt.

Text: Sebastian Hollstein


Nahezu jedes Land auf der Welt war von der COVID-19-Pandemie betroffen. Dem­ent­sprechend haben Regierungen weltweit weitreichende Maßnahmen veranlasst, die tiefgreifende kollektive Verhaltensänderungen der Bürgerinnen und Bürger erforderten und teilweise immer noch erfordern. Vor allem im ersten Jahr der Pandemie, als Impfstoffe noch nicht zur Verfügung standen, war es von beson­ders großer Bedeutung, dass Menschen den Anweisungen folgten und beispielsweise physische Kontakte einschränkten, auf Reisen verzichteten sowie Masken trugen.

Ein Netzwerk aus mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – unter ihnen Psycho­logen und Psychologinnen der Universität Jena – ging bereits zu Beginn der Pandemie der Frage nach, was die Akzeptanz solcher Maßnahmen besonders fördert. Ihr Ergebnis: Die nationale Identifikation motiviert Menschen besonders, sich stärker für die öffentliche Gesundheit zu engagieren. Wer ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl besitzt, unterstützt die gesund­heits­politischen Vorgaben stärker. Über ihre Forschungsergebnisse berichteten die Forschenden im Wissenschaftsmagazin »Nature Communications«.

»Eine nationale Identität ist der stärkste Prädiktor, also eine Vorhersagevariable, für die Unterstützung gesundheitspolitischer Maßnahmen während der Pandemie«, sagt Flavio Azevedo. »Personen, die sich stärker mit ihrer Nation identifizieren, sind am meisten bereit, die hohen Belastungen in Kauf zu nehmen, die sich aus schützenden Verhaltensweisen und der Unterstützung der öffentlichen Gesundheitspolitik ergeben.« Wichtig dabei: Der Wert der nationalen Identität gibt den Grad der Identifikation mit der eigenen Nation wieder, der anhand eines Fragenkatalogs erhoben wurde, etwa durch die Selbsteinschätzung der Befragten in einer vorgegebenen Skala. Er ist nicht gleichzusetzen mit Nationalismus.

Kommunikationswissenschaftler Flavio Azevedo hat den Jenaer Teil der internationalen Studie geleitet.

Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Diese Erkenntnisse gehen aus einer einzigartigen Studie hervor. Um zu erforschen, wie Menschen welt­weit mit der Ausnahmesituation einer Pandemie und den entsprechenden Schutzmaßnahmen in den jeweiligen Staaten umgehen, rief eine Gruppe von Psychologinnen und Psychologen um den US-Amerikaner Jay van Bavel während der ersten Welle der Pandemie über Twitter Kolleginnen und Kollegen auf, Daten in den jeweiligen Ländern zusammenzutragen.

Daraufhin beteiligten sich mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie befragten im April und Mai 2020 rund 50 000 Personen in 67 Staaten darüber, wie stark sie die Einschränkungen physischer Kontakte und Hygienevorgaben befolgten sowie die politischen Maßnahmen unterstützten.

Ihre Ergebnisse verifizierten die Forschenden durch eine weitere Studie. Hierfür verglichen sie Daten zur nationalen Identifikation aus dem World Values Survey – einer regelmäßigen inter­nationalen Umfrage zu menschlichen Werten – aus einem Zeitraum vor der Pandemie mit von Google erhobenen Mobilitätsdaten aus dem Frühjahr 2020.

Die Untersuchung bestätigte das Ergebnis der ersten Studie: In Ländern mit einer durchschnittlich höheren nationalen Identifikation schränkten die Bürgerinnen und Bürger während der Monate April und Mai 2020 ihre Mobilität stärker ein.

Durch Gemeinschaftsgefühl Gefahrensituation bewältigen

»Wir wissen, dass bereits vor 100 Jahren drei psychologische Faktoren die Ausbreitung der Spanischen Grippe unterstützt haben: eine falsche Risikobewertung, Widerstand gegen soziale Isolation und die Unfähigkeit, Präventivmaßnahmen gegen eine unsichtbare Bedrohung einzu­halten«, sagt Flavio Azeve­do.

»Deshalb ist es für uns Verhaltenswissenschaftlerinnen und -wis­senschaftler besonders wichtig, eine solche Ausnahmesituation intensiv zu beobachten, in der Menschen kollektiv dazu aufgerufen sind, ihre Gewohnheiten zu ändern«, erklärt der Psychologe. »Sie liefert grundlegende Einblicke in die Verhaltensweisen sowie in die Entschei­dungsfindung der Menschen und kann so dabei helfen, die Schutzmaßnahmen vor und während einer Pandemie zu gestalten.«

Aus den aktuellen Forschungsergebnissen lässt sich beispielsweise ablesen, wie wichtig die Förderung eines Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühls für die Bewältigung einer solchen globalen Gefahrensituation ist.

Die gesammelten Daten wird das Netzwerk weiterhin auswerten und weitere Forschungsergeb­nisse vorlegen.

Information

Original-Publikation:

National identity predicts public health support during a global pandemic, Nature Communications, 2022, https://doi.org/10.1038/s41467-021-27668-9Externer Link