Diese Darstellung eines menschlichen Schädels fertigte Nikolai Miklucho-Maclay als Illustration zur Vorlesungsmitschrift bei Carl Gegenbaur an.

(Auf)Zeichnungen aus Haeckels Hörsaal

Mitschriften und Skizzen geben Einblick in die Lehre in Zoologie und Anatomie Mitte des 19. Jahrhunderts
Diese Darstellung eines menschlichen Schädels fertigte Nikolai Miklucho-Maclay als Illustration zur Vorlesungsmitschrift bei Carl Gegenbaur an.
Foto: RGO St. Petersburg/Russland

Mit Bleistift und Tusche hielt der russische Forschungsreisende Nikolai Miklucho-Maclay die Vorlesungen von Ernst Haeckel und Carl Gegenbaur fest, die er Mitte des 19. Jahrhunderts an der Universität Jena hörte. Biologiedidaktiker haben diese Mitschriften im Archiv der Russischen Geographischen Gesellschaft aufgespürt und nun veröffentlicht. 

Text: Stephan Laudien


»Diese Entdeckung ist eine Sensation!«, schwärmt Prof. Dr. Uwe Hoßfeld. Der Biologiedidaktiker hatte gemeinsam mit seinem Kolle­gen PD Dr. Georgy S. Levit die Vorlesungsmitschriften aus Lehrveranstaltungen des Anatomen Carl Gegenbaur und des Zoologen und Evolutionsforschers Ernst Haeckel 2018 entdeckt. Beide Gelehrte wirkten Mitte des 19. Jahrhunderts an der Universität Jena. Aufgespürt wurden die Schriften im Nachlass des russischen Forschungsreisenden Nikolai Miklucho-Maclay, der im Archiv der Russischen Geographischen Gesellschaft in St. Petersburg aufbe­wahrt wird. Gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben Hoßfeld und Levit die beiden wertvollen Vorlesungsmitschriften jetzt publiziert. 

 

Zeichnung eines Froschskeletts, die Student Nikolai Miklucho-Maclay während einer Vorlesung von Ernst Haeckel anfertigte.

Foto: RGO St. Petersburg/Russland

Nikolai Miklucho-Maclay brach mit Ernst Haeckel

»Die Mitschriften erlauben uns spannende Einblicke in die Geschichte und Visualisierung der Zoologie und der vergleichenden Anatomie jener Jahre«, sagt Uwe Hoßfeld. Tatsächlich seien die beiden Texte die bislang einzig überlieferten Mitschriften dieser Dozenten. Sie zeigen den Wissensstand und die Methoden der Wissensvermittlung in den Fachbereichen von Zoologie und vergleichender Anatomie in der Mitte des 19. Jahrhunderts, konkret aus dem Jahr 1865.

Ihr Autor ist der Haeckel-Schüler Nikolai Miklucho-Maclay, der als Forschungsreisender 1870 erstmals nach Neuguinea reiste, um die dortige einheimische Bevölkerung, die Papua, zu er­for­schen.

Miklucho-Maclay stand in einem spannungsvollen Verhältnis zu Ernst Haeckel. Er war Student bei Haeckel, ging als Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter mit ihm auf Forschungsreisen. Später kam es jedoch vermutlich zum Bruch, weil der russische Gelehrte Haeckels Ansichten zu den Menschenrassen in Frage stellte und wissenschaftlich widerleg­te.

»Miklucho-Maclay kann mit gutem Recht als erster empirischer Antirassist in den Natur­wissenschaften bezeichnet werden«, sagt Uwe Hoßfeld. Seine Beobachtungen und Er­lebnisse bei den Papua zeigten, dass die Annahme Haeckels falsch war, es gebe verschie­dene Entwicklungsstufen unter den derzeit lebenden Menschen und damit verschiedene menschliche »Arten/Rassen«.

Pikant war zudem, dass Ernst Haeckel selbst postuliert hatte, wissenschaftliche Erkenntnisse setzten voraus, die Organismen in ihrem natürlichen Lebens­umfeld zu beobachten und zu untersuchen. Nikolai Miklucho-Maclay hielt sich an diese Kri­terien. Der Russe weilte zudem noch mehrere Male bei den Menschen in Neuguinea.

Zeichnung einer Gottesanbeterin, die sich in Miklucho-Maclays Mitschrift einer Haeckel-Vorlesung findet.

Foto: RGO St. Petersburg/Russland

Die Aufzeichnungen aufzubereiten, war eine Mammutaufgabe

Die nun publizierten Vorlesungsmitschriften zeigen nicht nur den Forschungsstand der Zeit, sie weisen auch Haeckel, Gegenbaur und Miklucho-Maclay als kunstfertige Zeichner und Ästheten aus. Werden die Mitschriften doch durch zahlreiche detailgetreue Illustrationen ergänzt, die offensichtlich in den Vorlesungen gezeigt wurden.

»Nikolai Miklucho-Maclay übertrug die Vorlesungen auf den Tag genau in seine Aufzeichnungen«, sagt Uwe Hoßfeld. Dabei schrieb er mal auf Deutsch, mal auf Russisch, zudem gespickt mit zahlreichen Abkür­zungen. Die Texte zu transkribieren, sei deshalb eine Mammutaufgabe gewesen, die drei Jahre beanspruchte.

Weitere Jenaer Expertise war gefragt

Möglich wurde das nur durch die Unterstützung weiterer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Anatomin Dr. Rosemarie Fröber brachte ihre Kenntnis der anatomischen Fachtermini und des Kontextes ein; bei der Trans­kription der Zoologie-Vorlesungen haben Gerta Puchert und Achim Blankenburg mit ihrer Exper­tise unterstützt.

Information

Original-Publikation:

Vorlesungen über Menschliche Anatomie von Carl Gegenbaur, THK-Verlag, Arnstadt 2022, ISBN: 978-3-945068-56-4

Kontakt:

Uwe Hoßfeld, apl. Prof. Dr.
Leiter der Arbeitsgruppe
vCard
AG Biologiedidaktik
Stoy´sches Haus/Institutsgebäude/Bienenhaus, Raum 103
Am Steiger 3
07743 Jena Google Maps – LageplanExterner Link
Sprechzeiten:
nach Vereinbarung