Auf dieser polarisationsoptischen Aufnahme des Marsmeteoriten »Zagami« leuchten kristalline Minerale als farbige Bestandteile im homogen grauen Glas.

Gläsernes Universum

Was wir von Glas über unser Sonnensystem lernen können.
Auf dieser polarisationsoptischen Aufnahme des Marsmeteoriten »Zagami« leuchten kristalline Minerale als farbige Bestandteile im homogen grauen Glas.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Materie, die auf der Erde vorkommt, gibt es auch im Weltall, denn von dort stammt sie schließlich. Zumeist ist sie kristallin, doch sehr unterschiedliche Prozesse konnten aus den gleichen chemischen Bestandteilen Glas bilden. Jenaer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren dieses Glas aus dem All und simulieren seine Entstehung. Dadurch öffnet sich für sie ein Fenster in weit entfernte Regionen des Weltalls, zeitlich bis zurück in die Kinderstube unseres Sonnensystems – und manchmal sogar darüber hinaus.

Text: Sebastian Hollstein


Wenn Meteoriten auf der Erde landen, dann schickt das All Post aus einer längst vergangenen Zeit. Denn viele dieser extraterrestrischen Gesteinsstücke sind uralt und stammen von Himmelskörpern, den Asteroiden, die vor etwas mehr als 4,5 Milliarden Jahren entstanden sind und sich seitdem kaum verändert haben. Diese primitiven Meteorite nennt man auch Chondrite. Ihr Name leitet sich von den Chondren ab – winzige, nur wenige Millimeter große Silikatkügelchen, die einen Großteil dieser außerirdischen Gesteine ausmachen. Sie enthalten häufig Glas.

Im Sonnennebel, der Gas-Staub-Wolke, aus der unser Sonnensystem hervorgegangen ist, gab es Prozesse, die räumlich und zeitlich begrenzt zu Temperatursteigerungen führten. Was genau diese Erhitzungen verursacht hat, wissen wir bis heute nicht. In dieser Umgebung bildete die silikatische Materie Schmelztropfen, die dann wieder abkühlten und sich verfestigten. »Erfolgte die Abkühlung sehr schnell, so entstand Glas«, erklärt Prof. Dr. Falko Langenhorst. »Wie schnell das passierte, können wir noch heute mit thermischen Analyseverfahren bestimmen.«

Noch älteres Glas lässt sich möglicherweise in Kometen finden. Sie enthalten Staubteilchen, von denen einige aus dem interstellaren Medium – dem Raum zwischen den Sternen einer Galaxie – stammen. Die winzigen Partikel wurden beim Sterben von uralten Sternen ins All entlassen und sind somit älter als unser Sonnensystem. Während der Entstehung unseres Sonnensystems wurden diese Teilchen in Planeten, Aste­roiden und Kometen eingebaut.

»Uns ist es nicht möglich, Proben aus den weit entfernten Bereichen zwischen den Sternen zu holen. Aber wir können Staub auch in für uns näheren Zonen des Weltalls sammeln, zum Beispiel aus dem Schweif von Kometen, etwa mit der Raumsonde Stardust, oder auf Himmelskörpern, wie dem Asteroiden Itokawa, von dem die Raumsonde Hayabusa 2010 Bodenproben auf die Erde brachte«, berichtet Langenhorst. »Mittels Untersuchung der Isotopenzusammensetzung können dann Partikel identifiziert werden, die aus dem interstellaren Medium stammen.«

 

Mineraloge Prof. Dr. Falko Langenhorst stellt in Labor­experimenten die extremen Bedingungen nach, unter denen im Weltall Glas entsteht.

Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Es wird vermutet, dass insbesondere der silikatische Sternenstaub ursprünglich amorph war und in dieser glasigen Form die beste Überlebenschance in Kometen hatte, da sie seit der Entstehung des Sonnensystems nie aufgeheizt wurden.

Der Nachweis dieser Gläser gestaltete sich aber sehr schwierig, da die Partikel in der Regel kleiner als ein Millionstel Meter sind. Solche Teilchen gelangten im Rahmen der Stardust-Mission auch in die Hände des Jenaer Experten, der gemeinsam mit seinem Team unter dem Transmissionselektronenmikroskop, einem Bildgebungsverfahren mit nahezu atomarer Auflösung, erfolgreich nach diesen Partikeln suchte.

»Das Glas im Sternenstaub entsteht im Wesentlichen durch die kosmische Strahlung, einem Strom hochenergetischer Elementarteilchen wie z. B. Protonen, der von Sternen ausgeht und kristalline Materie in Glas umwandelt. Solche Prozesse passieren im All fortwährend und da der Staub meist aus Silikaten besteht, kann man davon ausgehen, dass im interstellaren Medium sehr viel Glas vorhanden ist«, sagt Langenhorst.

Die Folgen des Weltraumwetters

Das Bombardement mit hochenergetischen Elementarteilchen verändert aber nicht nur die Materie im interstellaren Medium, sondern auch die Oberflächen von Himmelskörpern im Sonnensystem, die keine Atmosphäre besitzen und somit dem Teilchenstrom ungeschützt ausgesetzt sind.

Man spricht hierbei von Weltraumverwitterung, die in unserem Sonnensystem vor allem vom Teilchenstrom der Sonne – dem sogenannten Sonnenwind – ausgelöst wird. So wie auf der Erde das Wetter und damit verbundene chemische Prozesse Gestein zersetzen, so verändern äußere Einflüsse auch Asteroiden oder den Mond.

Und häufig entsteht dabei Glas, wenn hochenergetische Kleinstteilchen auf die Oberfläche aufschlagen. Die Teilchen dringen nur Bruchteile eines Millimeters in die Materie ein und sorgen dafür, dass die Oberflächen von einem gläsernen Film überzogen sind.

Um zu verstehen, wie genau diese Verwitterungsprozesse ablaufen, haben Langenhorst und sein Team mit Hilfe von Gaskanonen und Laserbeschuss solche Hochgeschwindigkeitskollisionen simuliert. Dabei konnten sie nachvollziehen, dass die Verwitterung nicht nur die Oberflächenstruktur von atmosphärelosen Himmelskörpern verändert, sondern auch eine Umverteilung von chemischen Elementen im All bewirkt.

Durch den Kontakt mit dem Sonnenwind beispielsweise werden Sulfide auf Itokawa oder auch auf dem Mond in amorphe Strukturen umgewandelt. Dabei wird Schwefel gasförmig ins All freigesetzt. »Zurück bleibt Eisen, das sich nadelförmig auf den Oberflächen ablagert«, berichtet Langenhorst. »Diese Informationen helfen uns dabei, Fernbeobachtungsspektren zu interpretieren und beispielsweise zu erklären, warum Asteroiden sehr variable Schwefelkonzentrationen aufweisen: Sie müssen unterschiedlich stark von der Raumverwitterung betroffen gewesen sein.«

Unter Druck

Extraterrestrische Einflüsse und Regionen bringen zudem ein Glas hervor, das auf ganz ungewöhnliche Weise entstanden ist. Während bei den Chondren das Ausgangsmaterial durch hohe Temperaturen geschmolzen und dann zu Glas abgeschreckt wurde, zerstört bei sogenannten diaplektischen Gläsern hoher Druck die kristalline Ausgangsstruktur eines Minerals und sorgt zudem für eine höhere Dichte des erzeugten Materials – ein wichtiges Erkennungsmerkmal.

»Die dafür benötigten Drücke liegen im Bereich von hunderttausenden Bar und kommen auf der Erde vor allem dann vor, wenn ein Aste­roid oder Komet auf dem Planeten einschlägt«, informiert der Jenaer Experte. »Solche Impaktereignisse lassen sich auf der Erde häufig nur schwer nachweisen, da Plattentektonik, Erosion und Verwitterung die morphologischen Spuren der Krater beseitigt haben. Ein deutliches Indiz ist allerdings das Vorhandensein dieses Glases im Auswurfmaterial von Impaktkratern, das teilweise weltweit verteilt sein kann.«

Diaplektisches Glas findet sich auf der Erde beispielsweise in ausgeworfenen Impaktgesteinen des Nördlinger Ries – einer Region östlich von Stuttgart, in der vor etwa 14,6 Millionen Jahren ein ein Kilometer großer Asteroid eingeschlagen ist.

Wie genau die Prozesse bei der Glasbildung unter Druck aussehen, das erforscht Falko Langenhorst mit Kolleginnen und Kollegen am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg. Hierbei setzen sie Proben in einer Diamantstempelzelle großem Druck aus und beobachten zeitaufgelöst, wann die Probe verglast. »Dabei haben wir herausgefunden, dass die Verglasung nicht direkt passiert, sondern dass das Material ein metastabiles Zwischenstadium durchläuft«, berichtet der Jenaer Mineraloge.

»Das Glas bildet sich dabei nicht willkürlich im Volumen des Kristalls, sondern in Form von Lamellen. Der Ausgangskristall wird also von amorphen Lamellen durchzogen, die sich dann unter erhöhtem Druck verbreitern, so dass der ganze Kristall in ein Glas überführt wird.« Solche Forschungsergebnisse legen den Grundstein für mögliche Anwendungen diaplektischer Gläser.