Fünf römische Glasbalsamarien aus Garizim (Palästina) aus dem 3./4. Jh. n. Chr., Teil der Antikensammlung des Instituts für Altertumswissenschaften der Uni Jena.

Material der Menschheitsgeschichte

Wie Glas entsteht und wie es von Menschen genutzt, hergestellt und verarbeitet wird.
Fünf römische Glasbalsamarien aus Garizim (Palästina) aus dem 3./4. Jh. n. Chr., Teil der Antikensammlung des Instituts für Altertumswissenschaften der Uni Jena.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Die Möglichkeit, Glas herzustellen, zu formen und mit unterschiedlichsten Eigenschaften zu versehen, hat die Menschheit in ihrer Entwicklung immer wieder entscheidend vorangebracht: In Glasgefäßen konnten Lebensmittel haltbar gemacht und über lange Zeiten aufbewahrt werden; Fensterscheiben und Glühlampen aus Glas brachten Licht in Gebäude; mit Hilfe von Mikroskopen, Teleskopen und anderen optischen Geräten, die Linsen, Spiegel oder Prismen aus Glas enthalten, sind fundamentale Entdeckungen gemacht worden; Glasfaserkabel umspannen heute den gesamten Erdball und ermöglichen Kommunikation in Echtzeit und mit höchster Datenkapazität.

Text: Ute Schönfelder


Der Werkstoff Glas begleitet uns schon seit Jahrtausenden. Bereits in der Steinzeit nutzten Menschen natürlich vorkommende Gläser. Diese stammten aus Vulkanen, wie »Obsidian«, und lieferten scharfe Werkzeuge, Speerspitzen und Klingen. Oder sie entstanden, wenn einschlagende Meteoriten Sand und Gestein auf der Erdoberfläche schmolzen, wie »Tektit«. Daraus ließen sich Gebrauchsgegenstände oder Schmuck herstellen.

Seit gut 4 000 Jahren beherrschen die Menschen das Handwerk, selbst Glas herzustellen und inzwischen hat es Einzug in beinahe jeden Lebensbereich gefunden. Und doch gibt dieser vielleicht älteste von Menschen hergestellte Werkstoff noch immer Rätsel auf: Gläser faszinieren durch Transparenz, Reinheit und sanfte Formen. Sie sind gleichzeitig fest und sprichwörtlich zerbrechlich. Wie passen diese Eigenschaften zusammen? Und was ist Glas überhaupt?

Diese Frage lässt sich unterschiedlich beantworten. Antwort 1: Glas bildet einen von nur zwei Zuständen, den ein Feststoff annehmen kann. Entweder liegt er als Kristall vor, das heißt, die Atome, aus denen er besteht, ordnen sich in einer periodischen Struktur an. Das ist etwa bei Salzen oder Metallen der Fall. Oder die Atome eines Feststoffes befinden sich in Unordnung und es gibt keine periodische Gitteranordnung. Zu diesen »amorphen« Festkörpern gehören Gläser.

Glas ist eine Flüssigkeit

Antwort 2: Wenn man Glas aus seiner Entstehung heraus versteht, dann ist Glas eine »Flüssigkeit«. Allerdings eine erstarrte Flüssigkeit und damit nicht flüssig, sondern fest, wobei der Übergang buchstäblich »fließend« verläuft und vor allem vom Zeitraum abhängt, in dem man den Zustand beobachtet. Würde man nur lange genug darauf schauen, so könnte man eine Fensterscheibe durchaus als »Wasserfall« wahrnehmen (allerdings reicht dafür nicht einmal das Alter des Universums aus).

Interessant: Aus beiden Antworten folgt, dass sich unter geeigneten Bedingungen beinahe jede Schmelze in ein Glas überführen lässt: nicht die chemische Zusammensetzung, sondern die Unordnung der Struktur und der Flüssigkeitscharakter entscheiden über die Glasigkeit. Das weit verbreitete »Quarzglas« besteht wie der »Quarzkristall« aus Siliziumdioxid (SiO2). In beiden Formen besteht das Material aus Silizium- und Sauerstoffatomen, die sich zu symmetrischen Tetraedern anordnen.

Während diese Baueinheiten im Kristall jedoch in festen Winkeln zueinander verknüpft sind und so eine hochgeordnete Struktur bilden, an der jedes Atom seinen festen Platz hat, variieren im Glas diese Verknüpfungswinkel. Der Unterschied ergibt sich beim Abkühlen der flüssigen Schmelze: Erfolgt dies sehr langsam, so haben die Baueinheiten ausreichend Zeit, ihre kristalline Ordnung einzunehmen. Wird die Schmelze jedoch schnell abgekühlt, so bleibt für die Ausbildung der Kristallordnung nicht genügend Zeit und die Schmelze erstarrt in Form eines Glases.

Glas ist also als ein physikalischer Zustand definiert. Aufgrund seines Charakters als »eingefrorene Flüssigkeit« besitzt Glas auch ganz ähnliche Eigenschaften wie echte Flüssigkeiten. Es ist beispielsweise in hohem Maße transparent, hat eine glänzende Oberfläche, lässt sich unterschiedlich einfärben und zeigt ein ähnliches Bruchverhalten wie Flüssigkeiten.

Wie Glas entsteht

Um Glas herzustellen, braucht es nur wenige Rohstoffe, die beinahe überall auf der Welt verfügbar sind: Quarzsand, Kalk, Soda und Pottasche. Die ersten Verfahren zur Glasherstellung wurden vermutlich in Mesopotamien und Ägypten um 3 000 v. Chr. entwickelt: Zerkleinertes Quarzgestein wurde mit Pflanzenasche vermengt und in mehreren Schritten zu Glasbarren geschmolzen, die zu Tiegeln, Kelchen oder Schmuckgegenständen weiterverarbeitet wurden. Durch Beimischen von Metalloxiden oder Königswasser ließ sich das Glas in unterschiedlichen Tönen färben.

Mit der Erfindung der Glasmacherpfeife um das Jahr 100 v. Chr. konnten größere und dünnwandigere Gefäße hergestellt werden, wie Trinkgläser, Karaffen und andere Behälter. Im 12. Jahrhundert wurden dann runde Fensterscheiben in Kirchenfenstern eingesetzt (die Butzenscheiben), die aus einer vorgeblasenen Glaskugel durch Drehen ihre Form erhielten. Größere Fensterscheiben ließen sich erst ab dem 17. Jahrhundert herstellen, als entsprechende Walzverfahren entwickelt worden sind.

Glasfassade der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena.

Foto: Jan-Peter Kasper (Universität Jena)

Das Glaszeitalter

Heute lässt sich Glas in nahezu jeder Form und Zusammensetzung für Anwendungen maßschneidern: von optischen Gläsern und Glaskeramiken über flexible Displays und Beleuchtungsglas bis zu kilometerlangen Glasfaserkabeln, Solarzellen und Baustoffen. Je nach gewünschter Glaseigenschaft kommen weitere Zuschlagstoffe zum Einsatz. Boroxid verändert die thermischen, chemischen und elektrischen Eigenschaften des Glases, Aluminiumoxid erhöht die Bruchfestigkeit.

Neben den klassischen Silikat-Gläsern lassen sich auch Gläser herstellen, die statt Siliziumdioxid als glasbildende Substanz andere Oxide verwenden, wie Phosphor- und Boroxide, wobei bioaktive Phosphat- oder besonders resistente Borosilikatgläser entstehen. Für Laser­optiken wird Glas mit Ytterbium oder Germanium dotiert, um Licht leiten, erzeugen und verstärken zu können.

Aus einer weiter gefassten Perspektive sind auch viele technische Kunststoffe Gläser, also »eingefrorene Flüssigkeiten«. Es gibt hochfeste metallische Gläser, infrarottransparente Chalcogenidgläser und viele weitere mehr. Glas, so viel steht fest, ist nicht gleich Glas. Es ist vielfältig, vielseitig und allgegenwärtig. Die Welt heute ist eine Welt des Glases.

Glasfasern in einem Labor des Instituts für Angewandte Physik der Universität Jena.

Foto: Jens Meyer (Universität Jena)