Caspar David Friedrich (1774–1840) feierte zu seinen Lebzeiten große Erfolge, geriet in seinen späten Jahren jedoch aus der Mode. Erst im 20. Jahrhundert wurden seine Werke wiederentdeckt. Ein Editionsprojekt, initiiert durch den Kunsthistoriker Prof. Dr. Johannes Grave, will jetzt eine umfassende, historisch-kritische und kommentierte Ausgabe der Schriften Friedrichs erarbeiten.
Interview: Irena Walinda
Herr Grave, worum geht es in Ihrem Projekt?
Es geht um alle Texte und Schriften, in denen sich Caspar David Friedrich geäußert hat. Zwar sind die meisten Schriften schon bekannt und gedruckt worden. Sie liegen aber häufig nicht in einer wissenschaftlich befriedigenden Form vor – mit Ausnahme des überwiegenden Teils seiner Briefe.
Nehmen wir beispielsweise das Manuskript mit dem etwas sperrigen Titel »Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden von größtentheils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern«, in dem sich Friedrich zu vielen Bildern seiner Zeitgenossen äußert. Hier wird der Maler zum Kunstkritiker – das ist natürlich spannend. Seit langem ist der Forschung bekannt, dass es sich bei vielen der besprochenen Bilder um Werke von Zeitgenossen aus Dresden handeln muss. Da Friedrich die Maler nicht benennt, sondern anonymisiert, sind viele dieser Bilder noch nicht eindeutig identifiziert. Hier hoffen wir, ein gutes Stück weiterzukommen. Zudem muss man sagen, dass dieses Manuskript zwar mehrfach gedruckt, aber nie wissenschaftlich korrekt ediert wurde: Die Schreibweise wurde normalisiert, die Reihenfolge der einzelnen Absätze ist fraglich, und gelegentlich wurden sogar Wörter oder Formulierungen ausgelassen. Vor allem fehlt eine tiefergehende Kommentierung, die einzelne Begriffe erklärt, sachliche Zusammenhänge erläutert und versucht, möglichst viele der erwähnten Personen und Werke zu identifizieren.
Von wem ist wohl dies Thierstück? Der Hund ist vortrefflich gemahlt wie von XXX, aber der Kerl, so den Hund führt, sieht aus, als wenn ihn der Hund gemahlt hätte.
Caspar David Friedrich in seinen »Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden
von größtentheils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern« (überwiegend um 1830).
Was wollen Sie und Ihr Team anders machen?
Für dieses Manuskript und andere Texte wie kleinere Schriften, Gedichte, Gebete, tagebuchartige Einträge und Briefe erarbeiten wir nach strengen, einheitlichen und wissenschaftlich korrekten Maßstäben eine Edition, die die Äußerungen Friedrichs getreu wiedergibt – mit allen scheinbaren Unzulänglichkeiten der Orthografie oder Interpunktion und mit einer ausführlichen Kommentierung. Unser Ziel ist es, dass der Quellenwert dieser Schriften klarer hervortritt und die Forschung dazu auf eine neue Grundlage gestellt wird.
Warum ist eine Edition für die aktuelle Forschung so wichtig?
Diese Schriften können für die Erforschung des Oeuvres des Malers bedeutsam sein. Viele Friedrich-Forschende sind zum Beispiel der Meinung, der Maler sei nicht besonders gebildet gewesen, weniger intellektuell, sondern eher etwas naiv. Viele nehmen an, er hätte sich nur in seinen Bildern differenziert ausdrücken können. Wenn man sich aber die Schriften genauer ansieht, kann man in ihnen einen durchaus komplexen, anspruchsvollen und auch intertextuellen Umgang mit Sprache entdecken. Die Texte können dabei helfen, die Bilder besser zu begreifen und auch Friedrich selbst besser zu verstehen.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Manchmal führt die unzureichende Auseinandersetzung mit Friedrichs Texten zu falschen Annahmen oder Schlussfolgerungen. Beispielsweise benutzt Friedrich den auf den ersten Blick derben, ungehobelten Ausdruck »in Verschiss gekommen«, umgangssprachlich würde man heute sagen »aus der Mode gekommen«. Solche Formulierungen gibt es allerdings auch bei Goethe. Das ist also nicht so skandalös, wie es zunächst klingen mag. Ein anderes Beispiel: Teilweise haben Kunsthistorikerinnen und -historiker darin ein Indiz schlechter Bildung gesehen, dass Friedrich die Kommata nicht richtig setzte oder Worte nicht korrekt schrieb. Aber finden Sie mal jemanden um 1800, der das durchgängig richtig macht. Da kann man lange suchen.
Wo werden die Briefe und Schriften aufbewahrt und/oder gezeigt?
Das Manuskript »Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden« befindet sich im Kupferstich-Kabinett in Dresden. Allerlei kleinere Texte stammen teilweise aus dem Nachlass von Caspar David Friedrich. Ein gewichtiger Teil dieser Manuskripte gehört heute der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden. Die Briefe sind an sehr vielen verschiedenen Orten zu finden. Ein großer Teil ist vom Pommerschen Landesmuseum in Greifswald angekauft worden. Dabei handelt es sich vor allem um Briefe, die er an seine Familie gerichtet hat. Friedrich stammt ursprünglich aus Greifswald und er hat viel an seine Brüder geschrieben. Aber wie das mit Briefen so ist, sind diese auch oft in den Nachlässen der Empfänger zu finden.
Erfährt man aus den Briefen an die Familie etwas über den Menschen Caspar David Friedrich?
Ja, natürlich. Ein Brief aus dem Jahr 1808 zeigt beispielsweise sehr deutlich Friedrichs Abneigung gegen die Franzosen, die Anfang des 19. Jahrhunderts unter Napoleon auch Sachsen besetzt hatten. Darin bittet er seinen Bruder, der gerade in Lyon weilte, dass er ihm erst wieder schreiben möge, wenn er die Landesgrenze überschritten habe. Ausdrücklich hält Friedrich hier fest, dass er keine Briefe aus Frankreich erhalten wolle.
In einem anderen Brief deutet er an, dass er Angst habe, seine Briefe würden von staatlichen Stellen geöffnet und gelesen. Das ist wahrscheinlich und war nicht ungefährlich, zumal Friedrich gelegentlich auch zu politischen Fragen Stellung bezog. Tatsächlich ist 1821 ein Schreiben Friedrichs zum Gegenstand eines Verhörs geworden, dem Ernst Moritz Arndt unterzogen wurde.
Von besonderem Interesse für die Forschung sind Briefe oder Briefbeilagen, in denen Friedrich sich über eigene Bilder äußert, so etwa über den Tetschener Altar, ein vergleichsweise frühes Hauptwerk, oder über den berühmten »Mönch am Meer« und sein Pendant »Die Abtei im Eichwald«.
In einem weiteren Brief schildert er leicht ironisch sein neues Leben als Ehemann, nachdem er spät geheiratet hat. »Seit sich das Ich in Wir verwandelt« habe, so schreibt er im Januar 1818 an seine Verwandten in Greifswald, »ist gar manches anders geworden«. Nun müsse er selbst beim Anbringen eines Nagels darauf achten, dass er ihn nicht zu hoch einschlage, damit auch seine Frau ihn noch erreichen könne. Friedrich war also nicht nur der strenge, vermeintlich sauertöpfische Maler. Er konnte durchaus humorvoll sein.
Das Editionsprojekt »Schriften Caspar David Friedrichs und seines Dresdner Umfelds« wird aus Mitteln des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises finanziert, mit dem Prof. Grave 2020 ausgezeichnet wurde. Kooperationspartner ist das Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Neben Prof. Grave sind Dr. Petra Kuhlmann-Hodick und PD Dr. Johannes Rößler am Projekt beteiligt.