Text: Ute Schönfelder
Das Meer oder der Sonnenuntergang, eine Bergkulisse oder ein Abendessen bei Kerzenschein – wenn etwas besonders schön, besonders gefühlsbetont und mit positiver Erwartung aufgeladen ist, heißt es fast immer: »Wie romantisch!« Kaum eine andere Epoche der Literaturgeschichte hat sich mit so vielen Klischeevorstellungen in der Alltagssprache verewigt, wie die Romantik. Und über kaum eine andere Epoche herrschen bis heute so viele Missverständnisse vor.
»Noch immer gibt es zum Beispiel die Vorstellung der ›finsteren Abgründe der deutschen Seele‹ und dass diese etwas mit Romantik zu tun hätten«, sagt Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Matuschek. Das Klischee der irrationalen romantischen Seele der Deutschen halte sich hartnäckig und rühre vom Schock der Nachkriegszeit her, angesichts des Ausmaßes der nationalsozialistischen Verbrechen. »Die Gräuel der Nationalsozialisten waren so gewaltig, dass es schwerfiel, sie nur aus dem Regierungshandeln weniger Jahre zu erklären, weshalb in der deutschen Geschichte nach einem Nährboden gesucht wurde.«
Die Nazi-Verbrechen als letzte Konsequenz der romantischen Nationalisierung der Deutschen? Dieser bis heute oft zitierte Mythos sei ebenso unhaltbar wie die Behauptung, die Romantik sei eine Gegenbewegung zur vorherigen Aufklärung gewesen, sagt Matuschek. Solche Irrtümer aus der Welt zu schaffen, versucht der Jenaer Romantik-Experte mit seinem Buch »Der gedichtete Himmel. Eine Geschichte der Romantik«Externer Link. Der knapp 400 Seiten starke Band richtet sich explizit an ein nicht fachspezifisches Publikum und wirft einen neuen, zeitgemäßen Blick auf die bislang so missverstandene Epoche.
Die Romantik – so wird beim Lesen schnell deutlich – ist ein europäisches Ereignis und die Deutschen sind keineswegs in besonderer Weise »romantisch veranlagt«. »Die Differenzierungen in der europäischen Romantik verlaufen auch nicht unbedingt entlang der Nationalgrenzen, sondern eher entlang der Milieus und Zeiten«, sagt Matuschek. Während sich in Deutschland die Jenaer Frühromantik als akademische Avantgarde mit den etablierten Aufklärern über die Kantische Philosophie stritt, setzten in Frankreich und Italien romantische Autoren volkstümliche Erzählweisen der etablierten akademischen Hochkultur entgegen. »Wenn wir also von Romantik sprechen, meinen wir unter Umständen ganz unterschiedliche europäische Entwicklungen«, macht Matuschek deutlich.
Gemeinsam ist der romantischen Literatur, so Matuschek, dass sie Fragen beantworte, die die Aufklärung unerledigt gelassen bzw. überhaupt erst in die Welt gebracht hat. Fragen, wie nach dem Sinn des Lebens oder einer Perspektive nach dem Tod, seien zentral für den modernen Menschen, jedoch könne es keine empirisch überprüfbaren Antworten darauf geben. Statt eines Abbiegens in einen verhängnisvollen Irrationalismus, sei es das Erbe der Romantik, dem Menschen einen Modus anzubieten, sich zur Beantwortung dieser Fragen seiner Vorstellungskraft zu bedienen und »imaginäre Luftschlösser« zu bauen und sich dabei – ganz aufgeklärt – bewusst zu machen, dass es eben Luftschlösser sind. Statt einer Gegenbewegung zur Aufklärung, so Matuscheks Botschaft, handelt es sich bei der Romantik um eine Fortschrittsbewegung, die mit eigenverantwortlicher Sinnstiftung das moderne Bewusstsein genauso prägt, wie die Aufklärung selbst.
Matuscheks Buch zeigt auf, wie die Romantik nicht nur literarisch neue Wege geht, sondern auch die bildende Kunst, die Musik, die Wissenschaft und die Politik beeinflusst. Vor allem aber ist es ein anschaulicher Streifzug durch die vielfältige romantische Literatur: von Novalis' »Blauer Blume«, über die »romantischen Klassiker« Goethe und Schiller, von der Weltschmerzliteratur Chateaubriands und Lord Byrons, über die »Fragmente« der Jenaer Frühromantiker, bis zu den fantastischen Erzählungen E.T.A. Hoffmanns, den Märchen der Gebrüder Grimm und der Schauerromantik wie Mary Shelleys »Frankenstein«.