Text: Ute Schönfelder
Gesichter erkennen und sich merken, das ist für den Menschen seit Beginn seiner Evolution überlebenswichtig: Schon im Babyalter erkennen wir vertraute Personen und lernen zeitlebens weitere Gesichter kennen. Zu unterscheiden, wer der eigenen Sippe angehört, zu erkennen wer uns wohlgesonnen ist und wer nicht, hilft im persönlichen Umgang und stabilisiert das soziale Gefüge – damals wie heute. Bis zum Erwachsenenalter hat ein Mensch durchschnittlich 5 000 verschiedene Gesichter kennengelernt und kann sie von unbekannten unterscheiden.
»Trotz intensiver Forschungsarbeit wissen wir jedoch immer noch wenig darüber, wie sich die neuronalen Repräsentationen im Gehirn entwickeln, wenn uns jemand vertraut wird«, sagt Prof. Dr. Gyula Kovács. Um diese Vorgänge besser zu verstehen, haben Prof. Kovács und Dr. Géza Gergely und ihr Team EEG-Experimente durchgeführt. Dafür haben sie Probandinnen und Probanden in drei Gruppen eingeteilt.
Eine Gruppe bekam Fotos von Prominenten gezeigt, die sie nicht kannten. Die zweite Gruppe musste sich eine Fernsehsendung mit unbekannten Schauspielerinnen und Schauspielern ansehen. Eine dritte Gruppe unterhielt sich mit zwei Labormitgliedern persönlich. Dabei zeichneten die Forscher die Gehirnaktivität der Probanden auf, während sie Fotos der Prominenten, der Schauspieler der Sendung oder der Labormitglieder betrachteten.
In weniger als einer halben Sekunde ist klar, ob ein Gesicht bekannt ist
Die im Fachmagazin »Journal of Neuroscience« veröffentlichten EEG-Untersuchungen lieferten wichtige Hinweise darüber, wie sich die Repräsentationen im Gehirn verändern, wenn Menschen ein Gesicht kennenlernen. Bereits nach ca. 400 Millisekunden – weniger als einer halben Sekunde – zeigen sich über den rechten temporalen Kortex messbare Gehirnaktivitäten, ein Zeichen dafür, dass Gesichter als »bekannt« wahrgenommen werden.
Das Ausmaß der Vertrautheit (der Ausschlag des EEG-Signals) war jedoch abhängig davon, wie die Probandinnen und Probanden die Gesichter gezeigt bekommen haben. Es war besonders stark sichtbar nach dem persönlichen Kontakt, schwächer nach der Fernsehsendung, aber nicht messbar nach dem Betrachten von Fotos.
Vertrautheit durch persönliche Begegenung
»Wenn wir das Gesicht einer Person sehen, wissen wir sofort, ob wir sie schon einmal gesehen haben oder nicht«, ordnet Kovács ein. »Unsere Experimente zeigen, dass sich das Gefühl der Vertrautheit besonders stark und dauerhaft nach einer persönlichen Begegnung einprägt.« Wollen wir einander also wirklich kennenlernen, so müssen wir uns persönlich treffen.
Original-Publikation:
Ambrus GG et al. Getting to know you: emerging neural representations during face familiarization, Journal of Neuroscience (2021), https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.2466-20.2021Externer Link