Natur, mitten in der Stadt: eine Elster, beobachtet im Paradiespark in Jena.

Das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen

Eine Einladung, die urbane Umgebung mit anderen Augen zu sehen
Natur, mitten in der Stadt: eine Elster, beobachtet im Paradiespark in Jena.
Foto: Doreen Kirsche (Universität Jena)

Romantik verbinden viele heutzutage mit der rosaroten Brille, mit Kitsch und roten Rosenblättern. Aber romantische Elemente, wie sie Novalis und seine Mitstreiter definieren würden, sind auch jenseits der Klischees im modernen Stadtbild zu finden. Eine Art der Romantisierung heute ist das »Urban Birding«, das »Vögel beobachten«, das seinen Ursprung im angelsächsischen Raum hat. Die Amerikanistin Prof. Dr. Caroline Rosenthal erklärt, wie »Urban Birding« mit der Romantik zusammenhängt.


Text: Vivien Busse

 

Die Amerikanistik-Professorin Dr. Caroline Rosenthal ist selbst keine Vogelbeobachterin. Im Rahmen des Seminars »Literarische Ornithologie« diskutierte sie jedoch mit den Studierenden über deren Erfahrungen mit »Urban Birding«.
Die Amerikanistik-Professorin Dr. Caroline Rosenthal ist selbst keine Vogelbeobachterin. Im Rahmen des Seminars »Literarische Ornithologie« diskutierte sie jedoch mit den Studierenden über deren Erfahrungen mit »Urban Birding«.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Täglich gehen wir die gleichen Wege, etwa zum Arbeitsplatz oder zum Supermarkt. Dass einem auf diesen täglichen Wegen – mitten in der Innenstadt, mitten im städtischen Trubel – Romantik begegnet, erscheint zunächst unwahrscheinlich. Romantik, das sind doch Träumerei und Weite der Natur, oder? »Das Ungewöhnliche im Gewöhnlichen zu finden«, das war für Novalis das Wesentliche an der Romantik.

Die »Urban Birders«, die Vogelbeobachter im städtischen Raum, haben diese Sichtweise verinnerlicht. Während zu Novalis’ Zeiten Stadt und Land als Gegensätze betrachtet wurden, verschwimmen diese Grenzen heute. Die Natur hat Einzug in die Stadt gehalten. Und ganz in diesem Sinne steht »Urban Birding« dafür, die Natur im Stadtgebiet wahrzunehmen, erläutert Caroline Rosenthal.

Um den Bezug zur Romantik besser zu verstehen, muss aber ein viel größeres Feld in den Blick genommen werden. »Die Menschen haben die Tendenz, immer das zu schätzen, was verloren geht und schwindet«, sagt sie. Die Vögel sind von diesem Schwund betroffen: Die Landwirtschaft und der Einsatz von Pestiziden vertreiben sie zunehmend aus ihrem natürlichen Lebensraum. Die Vögel passen sich an den städtischen Raum an und finden dort immer mehr Lebensmöglichkeiten.

»Urban Birding« – Natur dringt in den städtischen Raum

Und an dieser Stelle setzt das »Urban Birding« ein. Im städtischen Raum taucht auf einmal Natur auf und die Konturen zwischen Stadt und Land, Mensch und Natur verschwinden. Das wohl bekannteste Beispiel, so Rosen­thal, sind die brütenden Falkenpaare, die es inzwischen mitten in New York gibt. Dies führt dazu, dass selbst Börsianer in ihrer Mittagspause regelmäßig zu »Birdern« werden, um die Falken zu beobachten.

Dieses Phänomen zeigt das Romantische – nämlich das Ungewöhnliche im gewöhnlichen Umfeld zu entdecken. Hinzu kommt, dass der Vogel in der Romantik ein Symbol für Wildheit im Sinne der Freiheit war und sich im vom Menschen konstruierten städtischen Umfeld nicht dem Willen der Menschen unterordnet, erläutert Rosenthal.

Auch in Deutschland nimmt »Urban Birding« zu, wobei es dabei nicht darum geht, die verschiedenen Vogelarten unterscheiden zu können oder sich mit einem Feldstecher auf die Lauer zu legen. Es geht darum, den eigenen Lebensraum neu zu begreifen – als Lebensraum für eine Vielzahl von Organismen.

Die Wiederverzauberung der Natur

»Der städtische Raum erfährt eine Romantisierung, weil die Wertigkeit, die sonst wilden Naturräumen innegewohnt hat, auf einmal auch in die Stadt gebracht wird«, sagt Rosenthal. Es finde eine »Wiederverzauberung« statt, denn die Menschen nähmen die Natur in urbanen Räumen anders wahr. »Und diese Wiederverzauberung kann jeder bewusst wahrnehmen«, sagt sie. Auf dem Weg zur Universität oder zur Arbeit sieht man auf einmal die Blumen am Wegrand oder die bunte Herbstfärbung der Blätter mit ganz anderen Augen.