Magdalena Steinhöfel als "Engel am Zug" auf dem Erfurter Hauptbahnhof.

Magdalena am Zug

Porträt der Seelsorgerin und Wissenschaftlerin Magdalena Steinhöfel​
Magdalena Steinhöfel als "Engel am Zug" auf dem Erfurter Hauptbahnhof.
Foto: Anne Günther (Universität Jena)

Wo andere ankommen oder sich auf den Weg machen, manche gehetzt, manche suchend, manche gestrandet, da gibt Theologie-Doktorandin Magdalena Steinhöfel Orientierung und Halt. Die 31-Jährige hat die Bahnhofsmission im Erfurter Hauptbahnhof mitgegründet und engagiert sich ehrenamtlich beinahe jede freie Minute.


Wenn man sich mit Magdalena Steinhöfel zum Interview verabredet, ist die Frage nach einem geeigneten Ort schnell geklärt. »Ich habe bereits einen Raum organisiert, wo wir uns in Ruhe unterhalten können«, sagt die Doktorandin zur Begrüßung bei unserem ersten Zusammentreffen im Foyer der Bibliothek und eilt los, um den Schlüssel zu holen. Organisieren ist für sie Alltag — nicht zuletzt am Hauptbahnhof Erfurt.

Dort verbringt die Jenaer Theologin seit Jahren viel Zeit. Gemeinsam mit Gleichgesinnten hat sie 2015 eine Bahnhofsmission gegründet. »Wir wollen uns als Christinnen und Christen für die Gesellschaft, in der wir leben, engagieren und etwas Gutes tun — aus dem Glauben heraus, aber nicht im Sinne einer Missionspraxis«, erklärt sie ihre Beweggründe. Der Bahnhof als Ort der Begegnung und des Abschieds, der Bewegung und des Anhaltens, des eher Neben- als Miteinander scheint besonders geeignet, um auch ohne kirchliche Strukturen als Gemeinde wirken zu können.

Die ersten zwei Jahre waren sie als »Engel am Zug« unterwegs, inzwischen tragen sie die von weitem sichtbaren Westen der Bahnhofsmission. »In der Regel sind wir in Teams zweimal in der Woche vor Ort und für jeden ansprechbar«, sagt Steinhöfel. »Das heißt, wir helfen bei Reiseproblemen, geben Auskünfte, beruhigen die Leute, wenn etwas schiefläuft bei der Bahn, unterstützen Senioren beim Ein- und Aussteigen. Das Wichtigste ist aber, Gespräche zu führen und Zeit zu haben.« Denn viele Menschen kommen nicht zum Bahnhof, weil sie verreisen wollen, sondern einfach um unter Menschen zu sein. Für sie sind Magdalena Steinhöfel und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter eine wichtige Anlaufstelle geworden. Einige schauen nur vorbei, um kurz »Hallo« zu sagen. Andere erzählen von ihren alltäglichen Problemen. »Wir haben mehr Zeit und dementsprechend mehr Geduld, um besser auf Obdachlose oder Menschen mit psychischen Problemen eingehen zu können, als etwa das Bahnhofspersonal oder die Bundespolizei, die uns für unsere Arbeit sehr dankbar sind«, sagt die 31-Jährige.

Wertschätzung ist wichtig für Steinhöfel. Denn das ehrenamtliche Engagement in der Bahnhofsmission verlangt einiges ab. Begegnungen wie die mit einem suizidgefährdeten Mann, den sie in eine psychiatrische Klinik begleitet hat, hängen lange nach. Regelmäßige Gespräche innerhalb der Gruppe sind deshalb sehr wichtig. »Und zu wissen, dass man eine sinnvolle Tätigkeit ausübt, das ist schon sehr erfüllend und befriedigend

Magdalena Steinhöfel besucht im Ehrenamt Frau Theresia Kroonen 86 Jahre im Seniorenwohnheim Am Villengang in Jena

Foto: Anne Günther (Universität Jena)

An Bahnhöfen hält sich Magdalena Steinhöfel auch auf, wenn sie keinen Dienst hat. Sie sei schon immer gern Zug gefahren — auf Reisen und im Alltag. Häufig bewegte sie sich dabei auf thüringischen Gleisen: geboren in Rudolstadt, aufgewachsen in Weimar, besuchte sie das Internat in Schulpforte, um schließlich 2008 — nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr an der Musikschule Ilmenau/Arnstadt — in Jena zu studieren. Eine Lehrerin hatte sie dazu motiviert, sich wissenschaftlich mit dem christlichen Glauben zu beschäftigen. Nachdem ihr ein Bachelorstudiengang nicht die gewünschte Tiefe eröffnete, nahm sie zusätzlich ein Diplomstudium der Evangelischen Theologie auf. Den Bachelor erlangte sie 2012; das Diplomstudium schloss sie vier Jahre später erfolgreich ab und begann kurz darauf ein Promotionsstudium. Ihr Dissertationsprojekt ist ebenfalls stark geprägt von ihrer Thüringer Herkunft. Denn sie beschäftigt sich momentan mit den Arbeitsrealitäten der Pfarrerinnen und Pfarrer in den weitgehend säkularisierten Neuen Bundesländern.

Die besondere Situation der Pfarrerinnen und Pfarrer in Ostdeutschland

Während ihres Studiums hatte sie festgestellt, dass es keine Pastoraltheologie gibt, die die kirchliche Situation im Osten Deutschlands ausreichend einbezieht. Diese Berufstheorie gibt Orientierung, wie Pfarrerinnen und Pfarrer ihre Rolle ausfüllen und ihren Beruf ausüben sollen. »Die akademischen Entwürfe dazu sind fast immer aus einer westdeutschen Perspektive geschrieben, wo kirchliche Strukturen stärker in der Gesellschaft verankert sind und ein Pfarrer beispielsweise weitaus weniger Gemeinden betreut als in Ostdeutschland«, erklärt Steinhöfel. »Wenn allerdings die wissenschaftliche Grundlagenarbeit die besondere Situation im Osten nicht im Blick hat, dann bereitet sie junge Pfarrerinnen und Pfarrer nicht ausreichend auf die Herausforderungen im Berufsleben vor, wo sie teilweise 15 Gemeinden gleichzeitig betreuen müssen.« Sich mit dieser Situation zu beschäftigen, sei nicht nur wichtig, um im Osten gute Arbeit zu leisten, sondern auch, um sich auf zukünftige Entwicklungen in Gesamtdeutschland einzustellen. Denn gesellschaftliche und kirchliche Transformationsprozesse seien in nahezu allen Regionen der Bundesrepublik zu beobachten. »Es ist wichtig, dass Pfarrerinnen und Pfarrer selbst aktiv und bewusst theologisch reflektiert an ihrem Berufsbild arbeiten, um sich auf Neues einzustellen«, erklärt die Promotionsstudentin. »Das heißt beispielsweise, wenn ich mit mehrheitlich konfessionslosen Menschen hier leben will, dann muss ich mich darauf einlassen, auch mal meine angestammten Räume und herkömmlichen kirchlichen Strukturen zu verlassen und neue zu schaffen. Ich muss mich fragen: Was ist hier vorhanden und was kann ich aus meiner Position heraus noch Gutes dazugeben?« Die Erfurter Bahnhofsmission ist hierfür ein gutes Beispiel.

Überhaupt liegen wissenschaftliche Arbeit und ehrenamtliches Engagement bei Magdalena Steinhöfel eng beieinander. Über beides spricht sie klar und aufgeräumt. Sie wägt auch schon mal einige Augenblicke ab, um treffend zu antworten, stellt Themen zurück, wenn sie zu weit wegführen, greift sie aber später wieder auf. Der Austausch mit anderen Menschen ist ihr wichtig, um sich selbst immer wieder zu reflektieren. Dafür nutzt sie jede Gelegenheit. Selbst ihre Reaktion auf die Anfrage, ob sie für ein solches Porträt zur Verfügung steht, klingt weniger vorsichtig als vor allem neugierig: »Klar, ich habe das noch nie gemacht, also warum nicht?«

Deshalb verwundert es nicht, dass sie einerseits nach dem Abschluss ihrer Promotion gern weiter in der Wissenschaft, gleichzeitig aber auch praktisch in der Kirche arbeiten möchte. »Ich brauche einfach beides — sowohl die theoretische Forschung als auch den unmittelbaren Kontakt zu Menschen.« Letzteres fand sie bis vor Kurzem als Seelsorgerin für Jenaer Seniorinnen und Senioren. Auch Kinderfreizeiten hat sie bereits organisiert und als Sterbebegleiterin gearbeitet. Wie lassen sich die Eindrücke, die solche Aufgaben mit sich bringen, eigentlich verarbeiten? »Meine Psychohygiene nach einem vollen Tag sieht häufig so aus: zuhause einfach mal eine Viertelstunde an die Raufasertapete starren, alles sacken lassen und mir vergegenwärtigen, was passiert ist«, erzählt die Theologin. »Außerdem hilft es mir, dass ich am Ende eines Tages alles vor Gott tragen und in ein Gebet einbinden kann

Abschalten und sich auf den Moment einlassen

Abschalten bedeutet auch, gelegentlich loszulassen. »Ich bin ein sehr strukturierter Mensch und übertreibe es schon mal mit planen und vorbereiten. Meine Freunde können das sicher bestätigen«, gesteht Steinhöfel. »Am Bahnhof erfahre ich regelmäßig, wie wichtig es ist, auch mal Kontrolle abzugeben und sich auf den Moment einzulassen

Gelegenheit dafür wird sie in Zukunft häufiger haben. Denn das Projekt am Erfurter Bahnhof soll spätestens in zwei Jahren richtig Fahrt aufnehmen. Magdalena Steinhöfel und ihre »Engel am Zug« haben — mal wieder — einen Raum organisiert. Aktuell laufen die Planungen für den Bau eines kleinen Pavillons auf einem Bahnsteig, damit die Bahnhofsmission zu einer dauerhaften Anlaufstelle für Hilfesuchende werden kann.

Text: Sebastian Hollstein