Die Wurzeln der Moderne liegen in der Aufklärung und der Romantik. Die Wurzeln der Romantik in Deutschland liegen in Jena. Hier trafen Ende des 18. Jahrhunderts die akademisch führenden Köpfe zusammen, setzten neue künstlerische Maßstäbe und pflegten eine intensive, intellektuelle Geselligkeit. Die Romantik ist weit mehr als Naturverklärung und gefühlsbetonte Schwärmerei – und das bis heute.
Text: Ute Schönfelder
Was bedeutet überhaupt romantisch?
Der Begriff romantisch leitet sich von romanisch ab und bedeutete ursprünglich romanhaft, beschrieb also etwas »wie aus einem Roman«. Heute wird damit die Sprachfamilie bezeichnet, die sich aus dem Lateinischen ableitet und zu der Französisch, Spanisch und Italienisch gehören. In diesen Sprachen wurden seit dem Spätmittelalter bis ins 17. Jahrhundert die meisten Romane – vorwiegend Rittergeschichten – geschrieben. Die romantischen Dichter griffen mittelalterliche Themen und Geschichten auf und erzählten sie vielfach in Form von Märchen und Mythen.
Epoche des Aufbruchs
Die Romantik folgte auf die Epoche der Aufklärung unmittelbar nach der Französischen Revolution. In Deutschland nahm sie ihren Anfang in Jena und setzte etwa um 1796 ein. Die Hochromantik verbreitete sich ab 1805 vor allem von Heidelberg und Berlin aus. Zentren der Spätromantik waren ab 1818 Berlin, Wien und München. Gesellschaftlich und politisch waren es unruhige Zeiten: Nicht nur in Frankreich vollzog sich ein Wechsel von der ständischen feudalen Ordnung zur bürgerlichen Gesellschaft, mit neuen Freiheiten und Bürgerrechten. Die Romantiker nahmen diese Aufbruchsstimmung auf und entwickelten ein eigenes akademisches Selbstbewusstsein. In ihren Jenaer Anfängen war die Romantik eine progressive, avantgardistische Bewegung, die vollkommen neue Ausdrucksformen entwickelte.
Dass Jena zur Keimzelle der romantischen Bewegung in Deutschland wurde, ist seiner Universität zu verdanken: Zu jener Zeit lehrten hier Friedrich Schiller und Johann Gottlieb Fichte – Johann Wolfgang Goethe war als Minister für die Universität zuständig und weilte oft in der Stadt. Auf Schillers Vorschlag hin zog der damals 28-jährige Philologe und Literaturkritiker August Wilhelm Schlegel 1796 nach Jena. Sein jüngerer Bruder Friedrich – Philosoph, Kunst- und Literaturkritiker – folgte ihm nach. August Wilhelm erhielt 1798 einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität, im selben Jahr wie Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Dank seiner Universität war Jena das Zentrum des geistig-kulturellen Lebens in Deutschland. Ohne sie hätten sich die romantischen Philosophen und Literaten gewiss nicht hier versammelt.
Wohngemeinschaft und Werkstatt
Das eigentliche Zentrum der Jenaer Frühromantik war ein Wohnhaus in der damaligen Leutragasse 5, das August Wilhelm und Caroline Schlegel von 1796 an bewohnten. Friedrich Schlegel zog im selben Jahr ein, siedelte 1797 aber nach Berlin über. 1799 kam er mit seiner Geliebten Dorothea Veit nach Jena und in die Wohngemeinschaft zurück. Im November 1799 fand hier das berühmt gewordene »Romantikertreffen« statt, an dem außer den vier Bewohnern des Hauses auch Friedrich von Hardenberg (Novalis), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Ludwig Tieck teilnahmen. Fünf Tage lang arbeiteten und diskutierten sie miteinander, lasen sich gegenseitig vor, aßen und tranken gemeinsam und verbanden so Geselligkeit mit Workshopatmosphäre.
Wer den Standort der originalen Jenaer Romantik-WG sucht, braucht viel Fantasie. Denn das Romantikerhaus befand sich auf dem Areal des heutigen Eichplatzes – mitten auf dem Parkplatz. Das Haus ist zu Kriegsende 1945 zerstört, die Leutragasse – wie das gesamte historische Stadtzentrum – einige Jahre später abgerissen worden. Die Geburtsstätte der Jenaer Romantik markiert heute also weithin sichtbar der »Jentower«.
Vermutlich fänden die Jenaer Romantiker diesen architektonischen Fingerzeig ihrer Bedeutung durchaus angemessen. Ihre programmatische Idee war revolutionär: Friedrich Schlegel formulierte sie als »progressive Universalpoesie« und definierte damit die Literatur vollkommen neu. Er beschrieb diese als sprichwörtlich »grenzenlose«, genreübergreifende Kunstform, die sich stetig weiterentwickelt, sich einzig und allein aus der Vorstellungskraft und Kreativität des Autors oder der Autorin speist, ohne starres Korsett, wie es die bis dahin verbreitete Regelpoetik vorgab. Schlegel wollte Literatur, Philosophie und Kritik miteinander verbinden.
Markante Ausdrucksform der Frühromantiker war das Fragment, veröffentlicht meist in der Zeitschrift »Athenaeum«, von 1798 bis 1800 das Sprachrohr der Jenaer Frühromantik. Die wenigen Sätze dieser kurzen Texte gaben Gedanken zu Philosophie, Kunst und gesellschaftlichen Fragen wieder. Sie waren meist ironisch, polemisch und provokant formuliert, ganz bewusst in »unvollendeter« Form. Der Theologe Friedrich Schleiermacher, ebenfalls einer der Köpfe der Romantik, nannte die Fragmente »kritische Späne«, die das eigenständige Denken entzünden sollten. Viele Fragmente sind spielerisch und zeugen von dem Spaß, den die Autorinnen und Autoren während des Formulierens hatten.
Emanzipation und Geselligkeit
Experimentier- und Lebensfreude bewiesen die Jenaer Frühromantiker auch in ihrem Lebensstil. In der nonkonformen Jenaer Wohngemeinschaft herrschte freizügige Geselligkeit. Nach dem Vorbild der Pariser Salons traf man sich zum Theaterspielen, zum Vorlesen und Diskutieren. Gekleidet nach französischer Mode, fielen die Frühromantiker im damals kleinen Universitätsstädtchen mit seinen rund 4 500 Einwohnern auf. Als skandalös dürften die »wilde Ehe« von Friedrich Schlegel und Dorothea Veit und die nach heutigen Maßstäben eher offene Beziehung von August Wilhelm und Caroline Schlegel angesehen worden sein.
Bemerkenswert ist die Rolle der Frauen im Romantik-Zirkel nicht nur hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Stellung. Sie waren auch intellektuell emanzipiert – freilich nur innerhalb des eigenen Umfeldes. Studieren oder gar Lehren an der Universität blieb Frauen noch für mehr als ein Jahrhundert verwehrt. Caroline Schlegel arbeitete mit ihrem Mann August Wilhelm Schlegel an Shakespeare-Übersetzungen. Dorothea Veit schrieb selbst einen Roman (»Florentin«), der 1801 anonym von ihrem Partner Friedrich Schlegel herausgegeben wurde. Die männlichen Romantiker sahen in ihren Frauen gleichberechtigte Partnerinnen, auch wenn sie damit gesellschaftlich gehörig aneckten. Das frühromantische Partnerschaftsideal beschrieb Friedrich Schlegel in seinem Roman »Lucinde« als sinnlichen, emotionalen und geistigen Austausch zwischen den Figuren Julius und Lucinde und zeichnete damit einen starken Kontrast zur bis dato üblichen »Vernunftehe«.