Während die Dichterinnen und Dichter der Romantik in Jena im Salon neue Ideen austauschten und geistige Räume öffneten, experimentierte sich der junge Forscher Johann Wilhelm Ritter wie besessen durch die großen Fragen der Zeit. Dabei entdeckte er die UV-Strahlung, legte den Grundstein für die Elektrochemie und erfand vor 220 Jahren den Vorläufer heutiger Akkus.
Text: Sebastian Hollstein
»Am 22. Febr. ½ 1 Uhr Hornsilber in das Farbenspektrum gelegt...« – mit diesem schlichten Eintrag vermerkte Johann Wilhelm Ritter im Winter 1801 ein Experiment in seinem Tagebuch, das zu einer wissenschaftlichen Sensation führen sollte. Der junge Forscher brach in einem abgedunkelten Raum das Licht der Mittagssonne in einem Prisma und lenkte das farbige Spektrum auf ein weißes Blatt Papier, das mit einer Schicht aus Silberchlorid bestrichen war. Das Salz reagierte mit dem Licht und verfärbte sich neben dem violetten Bereich des Spektrums besonders dunkel – dort, wo eigentlich kein farbiges Licht zu sehen war. Ritter wies so in Jena erstmals die für das menschliche Auge nicht sichtbare ultraviolette Strahlung nach. Er hatte sich bei diesem Versuch von dem Astronomen Wilhelm Herschel inspirieren lassen, der ein Jahr zuvor auf ähnliche Weise die Infrarotstrahlung entdeckt hatte, nur, dass dieser dabei keine chemische Reaktion beobachtet, sondern die Temperatur gemessen hatte.
Wie wohl kaum eine andere Person verkörpert Johann Wilhelm Ritter die Einheit von Natur- und Geisteswissenschaften um 1800. Seine Forschung war getrieben von der Suche nach einem alles vereinenden Prinzip. Der Jenaer Romantik-Zirkel bewunderte ihn für seine Genialität und seinen kompromisslosen Entdeckerdrang. Besonders freundschaftlich verbunden war Ritter mit Novalis, von dem das Zitat überliefert ist: »Ritter ist Ritter und wir sind nur Knappen.« Clemens Brentano bezeichnete ihn als »größten Menschen unserer Zeit«. Selbst Geistesgrößen wie Goethe zollten dem jungen Forscher Respekt. So schrieb der Dichterfürst in einem Brief an Schiller: »Rittern habe ich gestern bei mir gesehen; es ist eine Erscheinung zum Erstaunen, ein wahrer Wissenshimmel auf Erden.« Den Eindruck des Genies verstärkten möglicherweise Ritters Lebensumstände. So schreibt Novalis über das erste Zusammentreffen 1799: »Er lebte damals in der größten Zurückgezogenheit in einer abgelegenen Gasse, in einem kümmerlich ausgestatteten Zimmer, und welches er oft vier Wochen lang nicht verließ; im Grunde, weil er nicht wußte, warum, und zu wem es übrigens auch der Mühe wert sey, zu gehen.«
Fasziniert von »tierischer Elektrizität«
Geboren 1776 in Schlesien schrieb sich Ritter im April 1796 an der Universität Jena ein, um dort Naturwissenschaften zu studieren. Vorgebildet durch eine fünfjährige Tätigkeit als Apothekerlehrling und -geselle tauchte er sofort in den brodelnden Wissenschaftskosmos ein, der sich ihm an der »Alma Mater Jenensis« bot. Geradezu besessen stürzte er sich ins Experimentieren und machte sich schnell einen Namen. Bereits 1797 bat ihn Alexander von Humboldt darum, seine neueste Schrift gegenzulesen und »aufzuzeichnen, wo er gefehlt oder sich allzu einseitig ausgedrückt habe«. Humboldts Arbeit – wie auch Ritters erstes eigenes 1798 erschienenes Buch (»Beweis, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensproceß in dem Thierreich begleite«) – beschäftigte sich mit einer Frage, die zu dieser Zeit ein großes Publikum auch außerhalb der Wissenschaftskreise elektrisierte: Warum zucken Froschschenkel, wenn sie sich zwischen zwei Metallen befinden?
Der italienische Arzt Luigi Galvani hatte dieses Phänomen 1789 zufällig beobachtet und mit einer vermeintlichen »tierischen Elektrizität« zu erklären versucht, die sich beispielsweise auch in Zitteraalen finden würde. Die Vorstellung einer scheinbar geheimnisvollen Kraft im Körper von Lebewesen fiel bei den Romantikern auf fruchtbaren Boden, wie etwa der Roman »Frankenstein« der englischen Schriftstellerin Mary Shelley zeigt. Galvanis Landsmann Alessandro Volta kritisierte jedoch diesen Ansatz und führte die Elektrizität auf den Kontakt der Metalle zurück. Ritter, der bereits seit Anfang 1797 im Spannungsfeld des sogenannten »Galvanismus« experimentierte, widersprach ihnen, indem er beide Ideen miteinander verband: Er legte nahe, dass die Spannungsdifferenzen, die den elektrischen Strom auslösen, auf chemische Reaktionen zwischen Metall und Elektrolyt – dem Froschschenkel – zurückzuführen seien. Seine Untersuchungen machen ihn zu einem Begründer der Elektrochemie.
Ritter’sche Ladungssäule ist Vorläufer heutiger Akkus
Inspiriert von Volta schloss Ritter 1802 weitere Experimente mit Elektrizität an. So stapelte er Kupferplatten und in Salzsäure getränkte Pappen übereinander und leitete eine Spannung mithilfe einer sogenannten »Volta’schen Säule« in den Versuchsaufbau. Das Ergebnis: Das Material speicherte die Ladung, gab die Energie schließlich wieder ab und ließ sich erneut aufladen. Die »Ritter’sche Ladungssäule« gilt somit als Vorläufer heutiger Akkumulatoren.
Gefeiert in der Wissenschaft – gescheitert im Leben
Doch so erfolgreich Ritter in der Wissenschaft war, so desaströs waren seine Lebensumstände. Das obsessive Experimentieren wirkte sich auf seine Gesundheit aus: Er schlief wenig, war dem Alkohol sehr zugetan und er schreckte bei der Erforschung des Galvanismus nicht vor Versuchen am eigenen Körper zurück. So legte er sogar Spannung an seine Augen an, um die Auswirkungen auf die Sinne zu beobachten. Zudem begleiteten ihn Zeit seines Lebens Geldsorgen. Bereits 1798 hatte er sein Studium abgebrochen und sich zum Privatgelehrten ernannt. Zwar war er ein gern gesehener Gast an den Thüringer Höfen zwischen Gotha und Weimar, doch regelmäßige Einnahmen fehlten. Eine Anstellung als Hochschullehrer, die von Studenten gefordert worden war, verweigerte ihm die Universität Jena, da er keinen akademischen Abschluss vorweisen konnte. Deshalb zog Ritter 1805 mit Frau und Kind von der Saale nach München, wo ihm die Bayerische Akademie der Wissenschaften eine feste Anstellung angeboten hatte. An seiner Lebensführung änderte sich allerdings auch in Bayern wenig. Ausgezehrt und hoch verschuldet starb er schließlich am 23. Januar 1810 mit gerade einmal 33 Jahren.