Dichter und Wissenschaftler Dirk von Petersdorff im Garten des Frommannschen Anwesens.

Trost und Freude finden im Gedicht

Dirk von Petersdorff — Dichter und Wissenschaftler
Dichter und Wissenschaftler Dirk von Petersdorff im Garten des Frommannschen Anwesens.
Foto: Jens Meyer (Universität Jena)

Dirk von Petersdorff ist Dichter. Prof. Dr. Dirk von Petersdorff ist Universitätslehrer. Neben Seminaren und Vorlesungen in Germanistischer Literaturwissenschaft gibt er Kurse in kreativem Schreiben. Wie bringt er die eigene künstlerische Arbeit und den Uni-Alltag unter einen Hut? Das Porträt eines vielseitigen Menschen.

Text: Stephan Laudien

Welche Signale empfängt der Stift? Welche Inspiration befeuert sein Schaffen, woher bezieht er seine Ideen? Dirk von Petersdorff lebt nicht in stiller Klause, fern der Welt, um sie in Reimen zu erkunden. Der Mann steht mitten im Leben, als Universitätsprofessor und Familienvater. Ausgerechnet Germanistische Literaturwissenschaft unterrichtet von Petersdorff, also ein Fach, in dem er selbst zum Gegenstand wissenschaftlichen Interesses werden könnte. Immerhin ist der 55-Jährige, der seit 2008 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt, einer der bekanntesten deutschen Lyriker. Für seine Werke »Wie es weitergeht« und »Zeitlösung« wurde er 1998 mit dem Kleistpreis ausgezeichnet. Die Widersprüche, die diese Konstellation mit sich bringt, hält von Petersdorff aus. »Gegenwartslyrik unterrichte ich allerdings nicht, da bin ich einfach nicht neutral«, sagt er. Weniger groß sind die Berührungsängste in seinem Kurs »Kreatives Schreiben«, hier sei anfängliche Skepsis inzwischen fruchtbaren Synergieeffekten gewichen: »Die Kurse sollen den Studierenden helfen, an ihrer sprachlichen Sensibilität zu arbeiten – und manchmal helfen sie auch mir!«

 

Aber die Wolken, Zottelwesen,
langen ins Blau, mächtige Pranken
am Fenster einer neuen Heimat,
mein silberner Bleistift empfängt Signale.

Aus »Kurzbiografie« von Dirk von Petersdorff

Gemeinsame Dozentur mit Hans Magnus Enzensberger

Seinen ersten Gedichtband hat Dirk von Petersdorff mit 26 Jahren veröffentlicht. »Wie es weitergeht« erschien 1992. Sein Interesse an Lyrik wurde weit früher geweckt. Von Petersdorff, der in Kiel aufwuchs, nennt die Begeisterung seiner Mutter für Gedichte eine erste Prägung. Eine neue Richtung erhielt seine Beschäftigung mit Lyrik durch eine Lehrerin, die den Schüler mit Ingeborg Bachmann, Bertolt Brecht und Hans Magnus Enzensberger vertraut machte. »Am Anfang verstand ich einige dieser Gedichte, etwa die von Bachmann, überhaupt nicht«, sagt Dirk von Petersdorff, dessen Neugier damit geweckt war. Später sollte er Hans Magnus Enzensberger kennenlernen und mit ihm 2013 die Tübinger Poetik-Dozentur teilen.

Seine Lyrik sei nah am Leben, sagt Dirk von Petersdorff. Er schreibt derzeit über Familie, das Aufwachsen von Kindern, das Altwerden, das Lieben und das Sterben. Dabei gehe es immer um den Versuch, besondere Momente und Erinnerungen einzufangen, sie im Gedicht aufzubewahren. Die Kunst dabei: Eigene Erfahrungen in exemplarische Situationen zu überführen: »Ich versuche, Erfahrungen des Schmerzes, des Leidens nicht zu beschönigen, sie vielmehr so zu verwandeln, dass daraus Trost entstehen kann.« Seine Anregungen entspringen verschiedenen Quellen, besonders Gesprächen, Bildern, Songs und Beobachtungen. »Beobachtungen und Ideen füllen viele wilde Zettel und ein großes Notizbuch. Manches davon wird genutzt, anderes verworfen.«

Die Morgenstunde lässt die Gedanken fließen

Für die Arbeit sei Ruhe unabdingbar, sagt von Petersdorff. Das heißt für ihn, sich morgens, wenn alle das Haus verlassen haben, mit gespitztem Bleistift und Radiergummi an den Wohnzimmertisch zu setzen. In der Morgenstunde sei der Kopf frei, da treiben die Gedanken. Dieser Gedankenfluss lasse sich mit dem Bleistift bestens einfangen, später gerinnen die Worte, wird es fester, kommen das bedruckte Papier und die Feinarbeit. Wann ist etwas gelungen? Dirk von Petersdorff beherzigt die Regel, fertig Geschriebenes liegen zu lassen, um Distanz zu gewinnen. Hilfreich sei auch das »stille laute Lesen«, das Dirk von Petersdorff den Studierenden im Kurs Kreatives Schreiben empfiehlt. Obwohl er sich selbst einen kritischen Blick attestiert, bekommen die Texte zunächst seine Frau und noch drei bis vier Freunde zu lesen. Der erste offizielle Kritiker ist aktuell Martin Hielscher, der Lektor des Beck-Verlages: »Ich bin dankbar für jeden kritischen Hinweis!« Ganz anders ist es mit negativen Rezensionen, die »tun richtig weh«.

Seine akademische Laufbahn hat Dirk von Petersdorff in Kiel an der Christian-Albrechts-Universität begonnen. Der Sohn zweier Pädagogen studierte Deutsch und Geschichte auf Lehramt, promovierte 1995 mit einer Arbeit über »Mysterienrede. Zum Selbstverständnis romantischer Intellektueller«. Im Rückblick bezeichnet er es als »unglaubliche, sehr schöne Fügung«, dass er in seiner Dissertation über Novalis und die Jenaer Romantik gearbeitet hat. Die nächste Station war die Universität des Saarlandes, an der Dirk von Petersdorff seine Assistentenzeit verbrachte. Zwölf Jahre lehrte er in Saarbrücken und dort kamen auch seine Kinder zur Welt. Zuerst Zwillinge, ein Mädchen und ein Junge, die beide gerade ihr Abitur gemacht haben, und später noch ein zweiter Sohn. Inzwischen lehrt Dirk von Petersdorff seit vielen Jahren in Jena und die Faszination an der Romantik hat sich bis heute erhalten. »Diese neue Form des Schreibens, dieser erweiterte Blick, auf das Unendliche gerichtet.« Die neue, sehr dynamische und bewegungsvolle Sprache stehe für Menschen, die in Bewegung geraten sind.

Der Frage nach Vorbildern für sein eigenes Schaffen weicht Dirk von Petersdorff aus. Er möchte lieber von Einflüssen sprechen. Ein solcher sei zur Zeit der polnische Dichter Adam Zagajewski, dem er beinahe begegnet sei, bevor Corona kam und Zagajewski im März 2021 verstarb. Anregungen für von Petersdorffs Schaffen kommen auch aus der Musik. So hört er beispielsweise Tocotronic und Element of Crime. »Es gibt für mich keine Trennlinie zwischen Lyrik und Songs«. Bestes Beispiel sei Bob Dylan, der singende Dichter.

Ansporn wächst aus dem weniger Gelungenen

Was bleibt von der Lyrik des Dirk von Petersdorff? Der Dichter gibt sich entspannt. Klar sei, dass Lyrikbände kaum einmal die Bestseller-Listen anführen. Die Auflagen bleiben bescheiden. Erfolgreich läuft ein Büchlein, das Dirk von Petersdorff 2017 herausgebracht hat: »Wie schreibe ich ein Gedicht? Kreatives Schreiben: Lyrik«. Hier finden Dichter und Hochschullehrer zusammen. Der Dichter sagt: »Ich finde es gut, dass es Ausgaben mit den gelungenen Werken eines Dichters gibt«. Bei Goethe seien das sicher ziemlich viele, Gottfried Benn dagegen habe selbst »drei bis fünf« seiner Gedichte genannt. Er selbst, so von Petersdorff, sortiere gerne aus und hadere eher mit den weniger gelungenen Texten, anstatt sich an den gelungenen zu erfreuen. Das führt jedoch nicht etwa zu Frustration, sondern ist Ansporn, weiter Signale zu empfangen. Nahezu programmatisch heißt der Titel des aktuellen Gedichtbandes deshalb: »Unsere Spiele enden nicht«.